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So wie Mitja hatte man auch Atmos die Ohren abgeschnitten. Der Tote hielt die Arme vor der Brust angewinkelt, seine Finger umschlossen einen großen, blutigen Fleischklumpen. In der kauernden Haltung sah es aus, als wolle er das Fleisch demütig als Geschenk überreichen.

»Er hält sein Herz in den Händen«, sagte Kolja mit belegter Stimme.

Volodi senkte den Blick. Auf dem Schrankboden lag ein kleiner Hund. Sein weißes Fell war jetzt von Blut durchtränkt. Er hatte schwarze Schlappohren und etwas Rosiges ragte aus seiner Schnauze hervor. Der Drusnier kniete nieder und schob die Lefzen des Hundes zurück. Zwischen den spitzen, kleinen Zähnen steckten Menschenohren.

»Übel …«

»Dieses Gemetzel macht mir keine Angst«, sagte Kolja leise. »Es ist etwas anderes. Atmos hat in einer Kammer mit drei anderen Männern geschlafen. Keiner von ihnen hat gehört, wie sie ihn geholt haben. Und ich versichere dir, sie haben allesamt nicht gesoffen. Sie hätten diese Scheißer hören müssen! Als kleines Geschenk haben sie noch jedem der Schläfer eine rote Feder auf die Kehle gelegt. Ziemlich unmissverständlich …«

Beide starrten sie schweigend auf Atmos. Endlich schloss Volodi die Schranktüre.

»Es hat nicht einmal jemand gehört oder gesehen, wie sie den Schrank hier abgestellt haben. Einen ganzen Schrank, verdammt! Mit Öllampen darin. Das Ding ist so schwer und groß wie ein Fels! Und keiner hat gesehen, wie es hierhergekommen ist.«

»Was schlägst du vor?«, fragte Volodi.

»Du bist hier der Hauptmann! Was sollen wir tun? Ich bin nur einer von denen, die den Kopf hinhalten, wie man mir ja unschwer ansehen kann.«

»Gestern hast du dich noch anders angehört …«

Wieder schwiegen sie eine Weile. Blut tröpfelte leise aus dem Schrank.

»Wir sollten ihnen ihren Dolch zurückgeben«, sagte Volodi endlich.

»Bist du verrückt? Der Dolch ist alles, was wir haben. Der ist unsere Geisel. Solange wir ihn besitzen, können wir sie erpressen. «

Volodi sah ihn zweifelnd an. »So, können wir das?«

»Wir drohen ihnen, dass wir ihn zerbrechen. Man muss ihn nur auf das Straßenpflaster hauen, dann bricht die Klinge ab.«

»Und dann?«

»Bist du blöd? Die werden eine Heidenangst haben, dass wir ihren kostbaren Dolch zerstören.«

»Du hast meine Frage nicht beantwortet. Und dann? Gegen was willst du den Dolch tauschen?«

»Gegen Frieden!«

Volodi schüttelte müde den Kopf. »Und du glaubst den Männern, die Atmos so zugerichtet haben, dass sie Frieden wahren werden? Männern, die lautlos in ein Zimmer voller Schlafender eindringen können, um einen unserer Kameraden zu entführen? Was sollte sie davon abhalten, uns alle so zuzurichten wie Atmos, wenn sie erst einmal ihren Dolch haben?«

»Wir könnten den Dolch behalten …«

»Was sollte sie dann davon abhalten, uns einen nach dem anderen abzumurksen, bis wir weich werden und ihnen den Dolch geben?«

»Kannst du auch einmal einen vernünftigen Vorschlag machen, statt nur herumzumosern?« Nie hatte er Kolja so aufgewühlt gesehen. Die Zapoter hatten dem Faustkämpfer das Geschenk der Angst gemacht. Wie würde es weitergehen? Volodi seufzte. »Du hast das Geschäft mit den Geiseln nicht verstanden, Kolja. Nur ein Idiot nimmt eine einzige Geisel. Womit willst du die anderen bedrohen? Wenn wir den Dolch zerbrechen, haben wir kein Druckmittel mehr und ihr ganzer Zorn wird uns treffen. Wenn wir sie damit bedrohen, werden sie uns nicht ernst nehmen.«

»Aber ihr Dolch wäre futsch.«

»Das ist er jetzt schon.«

Kolja seufzte. »Was also sollen wir tun? Den Schwanz einziehen und uns verpissen?«

»Das können wir nicht. Wir sind keine freien Männer. Wir schulden dem unsterblichen Aaron noch zwei Schlachten.«

»Das ist mir scheißegal!«, zischte Kolja.

»Hast du lieber einen Unsterblichen mit einem Geisterschwert zum Feind oder ein paar Jaguare und Adler?«

Kolja fluchte leise. »Du meinst, wir haben die Wahl zwischen Sterben und Verrecken?«

»Ich meine, wir müssen dafür sorgen, dass uns die Priester der Zapote genauso fürchten, wie wir sie fürchten. Dann werden sie Frieden mit uns schließen.«

Koljas Schultern sackten nach unten. »Nur leider haben wir keine verzauberten Krieger …«

Volodi blickte zu den Dächern empor. Er war sich sicher, dass sie beobachtet wurden. Sie mussten auch am Morgen in der kleinen Gasse gewesen sein. Deshalb hatten sie Atmos und den kleinen Hund als Opfer ausgewählt.

»Morgen, in der Stunde vor Morgengrauen, bringe ich euch den Dolch zum Portal eures Palastes. Ich erwarte, dass danach Frieden zwischen uns herrscht!« Volodi rief, so laut er konnte, und hoffte, dass unter den Spitzeln der Zapoter jemand war, der seine Sprache verstand.

»Ich bin unglaublich beeindruckt«, murrte Kolja. »Siehst du, wie mir die Knie schlottern?«

»Wirst du morgen dabei sein?«

»Siehst du die Narben in meinem Gesicht? Sehe ich aus wie jemand, der einem Kampf aus dem Weg geht? Aber wenn du erlaubst, werde ich noch vierzig weitere Kämpfer mitbringen. Ich glaube nämlich nicht, dass sich die Sache mit ein paar freundlichen Worten erledigt haben wird. Und sollte ich mit meinem Herz in der Hand enden, dann verspreche ich dir, werde ich deine Sippe in Drus als rächender Geist heimsuchen. Und ich werde …«

Volodi winkte ab. »Ich weiß, Kolja. Ich habe es verdient.«

Und er meinte es so. Er war ein Narr! Wie hatte er sich nur je mit dieser Frau einlassen können?

Das Ende einer Liebesgeschichte

Volodi blickte zum Himmel. Die Zwillingsmonde neigten sich zum Horizont. Es war beklemmend still und er konnte das Atmen der Männer hinter sich hören. Er stand in der Mitte eines weiten Platzes, dessen weiße Steinplatten merkwürdige Tiere und Göttergestalten zeigten. Riesige Schlangen, die sich um die Sonne wanden. Krieger in Federgewändern, die über den Leibern enthaupteter Feinde dahineilten. Einen Priester, der ein Messer zum Himmel emporstreckte. Hätte Quetzalli ihn am Ende hierher gebracht, damit sein Herz ihren grausamen Göttern geschenkt wurde? Sein Verstand stimmte zu, sein Herz sagte Nein. Immer noch. Volodi seufzte. War es wirklich nur Magie, die ihn und seine Gefühle narrte?

Der Drusnier blickte zu dem großen, schmucklosen Portal, hinter dem das weite Areal des Statthalterpalastes von Zapote lag – eine kleine Stadt innerhalb der Stadt. Keine Menschenseele zeigte sich, und doch spürte er, dass sie beobachtet wurden.

Hinter ihm erklangen Schritte. Kolja trat an seine Seite. »Wäre es nicht klug, langsam die verdammten Fackeln zu löschen? Wenn sie hier Bogenschützen …«

»Soweit ich weiß, haben sie keine Bogenschützen. Und was würde es helfen? Wir stehen hier auf einem Platz, so hell wie ein Schneefeld, und beide Monde sind voll.«

»Die Männer würden sich aber besser fühlen, wenn …«

»Die Männer werden mir noch dankbar sein. Mehr habe ich dazu jetzt nicht zu sagen.«

»Dann leg wenigstens den Dolch vor das Tor. Wir haben lange genug gewartet. Soll das Gemetzel endlich beginnen.«

Volodi nickte. »Was das angeht, hast du wohl recht.« Er hob den Dolch hoch über seinen Kopf, sodass er für jeden deutlich zu sehen sein musste. Dann ging er langsam auf das Tor zu. Es war riesig! Mehr als dreißig Schritt hoch. Man fühlte sich unbedeutend, wenn man vor diesem gewaltigen Rahmen aus sorgsam geglättetem Stein stand. Ein Zwerg an einem Ort, der für Götter erschaffen worden war.

Durch das Licht der Zwillingsmonde warf das Tor einen doppelten Schatten. Es war dieser Schatten, der ihn schon die ganze Zeit über beunruhigte. Da war etwas, dicht über dem Boden, ganz nahe am Tor, wo die beiden Schatten miteinander verschmolzen. Wenn man direkt hinsah, schien alles in Ordnung zu sein. Aber wandte man den Kopf ein wenig und beobachtete aus den Augenwinkeln, dann war da plötzlich Bewegung! Es sah aus, als triebe schwarzer Rauch über den Boden.