Bitte verzeih, wenn ich mich nicht vor dir verneige, Erstgeschlüpfter, aber meine Beschaffenheit erlaubt es mir nur, mich dem Wind zu beugen. Ihre Stimme in seinen Gedanken ließ ihn erschaudern. Er hatte das Gefühl, dass sie dem Dunklen noch andere Dinge sagte.
Plötzlich entfaltete der Drache seine weiten Schwingen. Wie riesige Fächer bewegten sie sich vor und zurück und erzeugten einen Sturmwind, der Gonvalon taumeln ließ.
Gerne helfe ich Euch, mir Ehre zu erweisen, Matha Naht. Nun war es die Stimme des Dunklen, die seine Gedanken füllte, und der Zorn, der in ihr schwang, ließ den Elfen erzittern. Eine Furcht ergriff ihn, die ihm schier das Herz zerspringen lassen wollte. Deutlich spürte er die Macht des Drachen. Sein Zorn reichte weit über ihn hinaus. Feiner blauer Rauch stieg von den Nüstern des Ungeheuers. Nie hatte Gonvalon so deutlich gespürt, dass die Himmelsschlangen fleischgewordene Urgewalten waren. Weltenformer, die allein von den Alben an Macht übertroffen wurden.
Die Zweige des Holunders beugten sich im Sturmwind der Flügelschläge. Etliche splitterten und wurden ins Dunkel der Nacht hinfortgerissen.
Warum quält Ihr diesen Elfen?
Weil ich Macht aus seinem Leid ziehe. So wie seine Geliebte mit der Misteldrossel verbunden ist, ist Gonvalon mit mir verbunden. Seine Leiden mehren meine Zauberkraft. Dies ist die Beschaffenheit meiner Magie, von der ich sehr wohl weiß, dass sie auch dir nicht unvertraut ist, Erstgeschlüpfter.
Gonvalon erschrak. Niemand, der den Zauber Matha Nahts untersucht hatte, hatte etwas Derartiges entdeckt. Hatte sie ihre Magie so geschickt verborgen? Oder belog sie den Erstgeschlüpften? Aber welchen Nutzen könnte sie aus dessen Zorn ziehen? Mehrte auch Zorn ihre Zaubermacht?
Gonvalon blickte auf den vom Wind gebeugten Holunder. Er hasste Matha Naht. Er wünschte sich, dass auch sie leiden sollte wie er. Aber was machte es einem Baum schon aus, wenn man ihm ein paar Äste abschnitt? Konnte er überhaupt Schmerz empfinden?
Ich verlange, dass Ihr den Zauber aufhebt, mit dem Ihr den Elfen belegt habt.
Ich habe einen Pakt mit ihm geschlossen, entgegnete Matha Naht störrisch. Und er kam aus freien Stücken hierher. Ich habe ihn zu nichts gezwungen.
Dieser Elf hat sich den Regenbogenschlangen verschrieben. Fügt Ihr ihm Schaden zu, wendet Ihr Euch auch gegen uns. Schwarzer Rauch quoll aus seinen Nüstern. Flammen schlugen aus seinem Rachen und setzten einige der dünneren Äste in der Krone des Holunders in Brand. Meine Langmut endet nun, Matha Naht. Gehorcht meinen Befehlen!
Dazu müsste dein Schützling sich noch einmal unter meine Äste begeben.
Gonvalon zögerte. Er vertraute dem Holundergeist nicht. Und doch musste der Zauber gebrochen werden, wenn er jemals wieder der Schwertkämpfer werden wollte, der er einmal gewesen war.
Ihr werdet ihm kein Leid zufügen. Nehmt Euren Zauber von ihm und ich werde vergessen, was Ihr ihm angetan habt.
Das Feuer in den dünnen Ästen der Baumkrone war verloschen, die Glut in den Astspitzen verglomm und Asche rieselte hinab. Ich schwöre, ich werde ihm keine Schmerzen zufügen, versicherte Matha Naht.
Gonvalon trat nahe an den Stamm heran. An jene Stelle, an der der Holunder erst vor wenigen Wochen von seinem Blut getrunken hatte. Ein dürrer Ast strich ihm durch das Haar. Ihn schauderte.
Ein Paktbrecher also bist du.
Gonvalon ahnte, dass Matha Naht diesmal nur zu ihm sprach.
Dabei ist Lyvianne so stolz auf dich. So große Stücke hält sie auf dich. Bist ihr liebster Sprössling, wusstest du das?
Dem Elfen war nicht klar, wie das zu verstehen sein sollte. Er war nie Lyviannes Schüler gewesen. Wie konnte der Holunder ihn da als ihren Sprössling bezeichnen? Aber wer vermochte schon die Gedanken eines Baumes zu verstehen?
Plötzlich war da ein Gefühl, als würde in sein Innerstes gegriffen. Gonvalon taumelte zurück. Und zum ersten Mal spürte er seine Füße wieder. Erleichtert seufzte er auf. Der Bann war von ihm genommen. Endlich!
Tretet zurück, Gonvalon, fuhr der Dunkle mit unerwarteter Hitze in seinen Kopf.
Der Elf konnte den Zorn der Himmelsschlange spüren. Heiße, kaum noch gezügelte Wut. Nachtatem schien mit dem Holunder zu streiten.
Ich habe mich an meinen Eid gehalten, hörte er nun Matha Naht in seinen Gedanken. Ich habe ihm keine Schmerzen zugefügt, ganz wie ich es versprochen habe. Nun halte auch du dein Wort. Geh.Holunder. Äste
Ein Schwanzhieb des Drachen fuhr in den Holunder. Äste splitterten. Gonvalon riss schützend die Arme hoch und wich noch weiter zurück.
Gilt für dich kein Eid, Himmelsschlange? Gibt es kein Recht, an das du dich halten müsstest? Wie willst du dann herrschen?
Der Drache richtete sich zu seiner ganzen Größe auf. Mit ausgeweiteten Flügeln war er massiger als der Torturm einer Festung. Seine Augen funkelten wie kalte blaue Sterne.
Nein, ich kann es nicht mehr rückgängig machen. Das weißt du genauso, wie du um die Gefahr wusstest, protestierte Matha Naht. Ich habe nur getan, was du von mir verlangt hast.
Gonvalon sah zweifelnd an sich herab. Der Zorn des Drachen war wie eine heiße, ätzende Berührung. Warum sprach Nachtatem nicht in seinen Gedanken? Was sagte er dem Holunder? Was war verloren?
Erneut peitschte der Schwanz des Drachen den Boden und schleuderte Fontänen fauligen Laubs und tiefschwarzer Erde durch die Nacht. Im aufgewühlten Erdreich kamen Knochen zum Vorschein. Ein Koboldschädel, an dem noch krauses schwarzes Haar haftete, rollte vor Gonvalons Füße.
Ich kann es nicht mehr umkehren, beharrte Matha Naht. Es wird ihn begleiten, auch über den Seelenhort hinaus. Es wird sein Makel sein, für alle Zeiten.
»Was?«, fragte der Elf, doch keiner der beiden hörte ihm zu. Ein Prickeln überlief seine Haut. Wind heulte auf. Die Knochen in der Erde begannen sich zu regen. Zersplitterte Rippen und Schienbeine prasselten wie Pfeile gegen die Schuppen des Drachen. Ein Wurzelstrang versuchte den peitschenden Schwanz zu ergreifen – Matha Naht wuchs! Sie stieg aus der Erde empor. Ihr mächtiger Stamm hatte sich im Untergrund verborgen. Sie war mehr, als sie zu sein schien. Viel mehr als nur ein Holunder.
Gleißendes Licht umhüllte den Stamm. Gonvalon wich mit einem Schreckensschrei weiter zurück. Er war nur ein Elf. Nie zuvor war er vor einem Kampf geflohen. Doch dies hier … Voller Entsetzen wich er weiter zurück … Auf dem Hügel kämpften zwei Urgewalten. Gonvalon wandte sich ab und rannte, so schnell seine Füße ihn trugen. Seine Füße, die ihm endlich zurückgegeben waren.
Er war mehr als dreißig Schritt vom Stamm entfernt, da traf die Hitze ihn wie ein Schlag. Seine Gesichtshaut spannte sich, feiner Rauch stieg aus seinen Kleidern und selbst durch seine Stiefelsohlen spürte er die Hitze. Er vermochte nicht mehr zu atmen, so heiß war die Luft, die ihn umgab. Voller Entsetzen blickte er zurück. Der Holunder stand in hellen Flammen, mit einem scharfen Knall riss der Stamm, die Äste wogten wie winkende Arme – und dann fuhr ihre Stimme erneut in seinen Kopf, drängte sich dicken Wurzeln gleich in sein Fleisch und seinen Verstand und ließ ihn laut aufheulen vor Schmerz.
Ich verfluche dich, Gonvalon und alle Körper, die nach dir diese Seele tragen. So wie ich jetzt, wirst auch du durch Feuer sterben, sooft du auch wiedergeboren wirst. Bis deine Seele eines Tages für immer verlischt.
Gonvalon brach in die Knie – und mit ihm fiel auch der Holunder. Sein Stamm war nur noch schwelende Glut. Ein zweiter Flammenstoß des Drachen verwandelte selbst die schwarze Erde in glühende Lohe. Die Erde schmolz! Nie zuvor hatte Gonvalon so etwas gesehen.