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Dann senkte der Drache sein Haupt, schüttelte sich, als sei seine Wut immer noch nicht gestillt. Nun wandte der Dunkle sich erneut ihm zu. Sie ist vernichtet. Verbrannt bis in die feinsten Wurzelspitzen. Nie wieder wird sich dieses Übel erheben.

»Was hat dich so erzürnt?« Wieder sah Gonvalon an sich herab. Er konnte keine Veränderung feststellen. Abgesehen davon, dass er seine Beine wieder spürte.

Ihr Hochmut. Ihr Glaube, sich mir ungestraft widersetzen zu können. Sie hat nicht nur den Bannspruch von Euch genommen, Gonvalon. Euer Verborgenes Auge wird von nun an geschlossen bleiben. Sie hat einen Teil Eurer Aura verändert. Ihr habt die Fähigkeit verloren, Zauber zu weben. Es tut mir leid, Elfensohn. Ich hätte nicht erwartet, dass sie dies wagen würde.

Gonvalon spürte den weichen Waldboden unter seinen Füßen. Er war ein Schwertkämpfer, kein Zauberweber. Es war wichtiger, dass er wieder gehen konnte – und er würde nicht mit seinem Schicksal hadern. Als er zum ersten Mal hierhergekommen war, hatte er gewusst, dass er einen Preis würde zahlen müssen. Ihr Fluch ließ ihn unberührt. Sterben würden sie letztlich alle. Welche Bedeutung hatte es, ob es durch einen Axthieb oder durch Flammen geschah? Wichtig war allein, dass er ein Leben gewonnen hatte. Ein Leben mit Nandalee.

Der nächtliche Besucher

Bidayn erwachte, als sich ihr eine Hand auf den Mund legte. Sie wollte hochfahren, wurde jedoch im gleichen Augenblick kraftvoll zurück in ihr Bett gepresst. Verzweifelt versuchte sie sich aufzubäumen. Eine Schattengestalt beugte sich über sie. Es war zu dunkel, um das Gesicht zu erkennen. Schwacher Blütenduft haftete dem Fremden an.

»Ich bin nicht dein Feind«, sagte eine unvertraute Stimme. Sie klang nicht gerade freundlich.

Bidayn entschied, ihren Widerstand aufzugeben. Vorläufig. Ihre Gedanken überschlugen sich. Ein Mörder war der Fremde wohl nicht, denn dann wäre sie schon tot. Wenn es ihr gelänge zu rufen … In den Kammern in Hörweite schliefen noch ein halbes Dutzend andere Schüler der Weißen Halle. Wer immer über ihr stand, würde niemals entkommen! Hier waren die besten Krieger der Elfen versammelt. Wer war so tollkühn, hier einzudringen?

»Der Erstgeschlüpfte schickt mich«, sagte der Fremde leise. »Er wünscht dein Erscheinen noch in dieser Stunde. Wir werden hinab zur Bibliothek gehen.«

Entsetzt bäumte sie sich auf. Er wollte sie zu dem Fenster bringen! Dem Fenster, das Nandalee zerfetzt hatte. Niemals würde sie diese Pforte durchschreiten! Nie …

»Ich sehe schon, dass es nicht hilft, dich freundlich zu bitten.« Sie spürte einen Druck im Nacken. Im nächsten Augenblick erschlafften ihre Glieder. Ihr Verstand war nicht getrübt, aber sie war unfähig, sich zu bewegen.

Der Fremde trat von ihrem Bett zurück. Sie konnte hören, wie er in ihrem Zimmer herumging. Ihre Truhe wurde geöffnet. Sie vermochte nicht einmal die Augen zu bewegen. Sie hätte schreien mögen vor Zorn, so wütend war sie, aber alles, was ihr blieb, war innerlich zu fluchen.

Sie überlegte, ob sie einen Zauber kannte, mit dem sie ihre Hilflosigkeit beenden konnte. Aber für jeden Zauber hätte sie zumindest ein Wort der Macht flüstern müssen. Meist wären auch noch begleitende Gesten notwendig gewesen. Sie war also völlig hilflos!

Was der Kerl wohl wollte? Und wer war er? Ein Drachenelf?

Nach einer Weile kam er zu ihr zurück, packte sie und warf sie sich wie einen Sack über die Schulter. »Leicht bist du nicht gerade«, murrte er, griff aber zugleich nach einer Tasche, die er mit ihren Kleidern vollgestopft hatte. An der Tür lehnten Nandalees Bogen, ein Köcher voller Pfeile und der große Bidenhander aus der Eingangshalle. Todbringer. Geschickt nahm er die Waffen auf und verließ das Zimmer. Völlig lautlos bewegte er sich über die Flure und die Treppe hinab zur Bibliothek. Im bernsteinfarbenen Licht der Barinsteine sah sie sein Haar. Es war silberweiß. Er trug rote Gewänder. Ein schlankes Schwert und ein langer Dolch hingen vom Gürtel um seine Hüften. Er bewegte sich, ohne zu zögern, durch das Labyrinth der Bibliothek, als würde er sich hier auskennen, aber Bidayn war sich sicher, ihn noch nie in der Weißen Halle gesehen zu haben.

Dann erreichten sie – das Fenster! Leise schleifend bewegten sich die Glasscherben übereinander. Sie musste an all das Blut denken, das sie hier in der Nacht von Nandalees Verschwinden gesehen hatte, und blankes Entsetzen packte sie. Nicht dieses Fenster. Nicht!

Ihr Entführer sagte etwas – mehr ein Laut als ein Wort. Kälte senkte sich auf die Bücherkammer und biss in ihre erschlafften Glieder. Das Geräusch der schleifenden Scherben veränderte sich. Es wurde schriller, bis Bidayn glaubte, eine heiße Nadel dringe durch ihre Ohren direkt in ihr Gehirn. Gleichzeitig spürte sie einen Sog zum Fenster hin. Ihre Haare bewegten sich im kalten Luftzug, Strähnen wehten vor ihr Gesicht und bedeckten ihre starren Augen.

Da war noch ein Laut! Aus weiter Ferne. Ähnlich dem, den ihr Entführer von sich gegeben hatte. Sie … Sie wurden gerufen!

Mit sicherem Schritt näherte sich ihr Entführer dem Fenster. Sie wollte schreien, mit ihren Armen und Beinen strampeln, sich losmachen. Kalter Schweiß rann über ihren Leib. Jede Faser ihres Körpers kämpfte gegen den Bann an, der sie wehrlos machte. Zu einem Objekt, das man einfach so mit sich nahm.

Ohne zu zögern trat ihr Entführer durch das wirbelnde Glas. Bidayn wollte sich ducken, erwartete zerfetzt zu werden, doch kein Haar wurde ihr gekrümmt. Finsternis löschte ihren Blick. Ein Geräusch wie Sturmwind, der sich unter Hausdächern verfängt, umgab sie. Dann plötzlich änderte sich alles. Der Wind erstarb. Schwüle Hitze umfing sie. Huschende Gestalten, gerade eben noch aus den Augenwinkeln zu sehen, eilten davon. Ihr Entführer ging durch Wasser.

Sie wurde vor einer dunklen Mauer niedergelegt.

»Dies ist die Elfe, die du mir zu holen befahlst. Sie scheint mir sehr ängstlich zu sein. Ich musste sie ruhigstellen, um sie hierherbringen zu können.«

Der Mistkerl, der sie geraubt hatte, bekam keine Antwort. Zumindest keine, die sie gehört hätte. Und was hieß hier ängstlich! Sie hätte ihn mal sehen wollen, wenn er mitten in der Nacht davon wach wurde, dass sich ihm eine Hand auf den Mund legte. Aber wahrscheinlich hatte jemand wie er immer einen Dolch griffbereit. Selbst in seinem Bett. Ihm würde das einfach nicht passieren, dass man ihn überraschte und entführte. So etwas passierte nur ihr.

Bidayn konnte hören, wie sich Schritte durch das Wasser entfernten. Noch immer war sie unfähig, sich zu bewegen. Sie kannte diesen verdammten Trick. Alle Kraft ihres Körpers wurde in das magische Netz abgeleitet. Aber es hatte nichts mit Magie zu tun. Es war einfach nur ein leichter Druck auf einen bestimmten Punkt im Nacken – und es war im höchsten Maße unehrenhaft, so zu kämpfen! Und äußerst wirksam, wie sie zugeben musste. So etwas sollte man sie in der Weißen Halle lehren. So könnte sie Gegner außer Gefecht setzen, ohne sie töten zu müssen.

Bidayn stellte sich vor, wie sie selbst Gonvalon mit diesem Trick überwinden könnte, als sich eine Falte in der schwarzen Mauer neben ihr bildete. Eine Falte?

Sie versuchte vergebens den Kopf zu drehen, um besser zu sehen. Aus den Augenwinkeln konnte sie vage erkennen, dass etwas mit dem schwarzen Mauerwerk nicht stimmte. Es hatte eine unregelmäßige Oberfläche und es bewegte sich.

Etwas berührte sie im Nacken. Es fühlte sich hölzern an. Und doch ging Wärme von der Berührung aus.

Ihr müsst keine Angst haben, Elfentochter, meldete sich eine fremde Stimme warm in ihren Gedanken. Und sie bewirkte das Gegenteil von dem, was sie zu beabsichtigen vorgab. Bidayn hatte Angst! Ihr Herz raste. Sie hatte das Gefühl zu spüren, wie es mit jedem Schlag gegen ihre Rippen drückte. Ihr Mund war trocken, ihre Kehle eng. Wohin hatte ihr Entführer sie gebracht?