Die Wärme der Berührung durchdrang Bidayns Körper. Es war ein angenehmes Gefühl. Ein Gefühl, als habe man von einem nicht allzu scharfen Branntwein gekostet, dessen wohlige Wärme langsam vom Magen ausströmte. Sie fühlte sich ein wenig benommen. Ihre Angst ließ nach. Es war einfach unmöglich, sich gleichzeitig wohlzufühlen und zu fürchten.
Ich brauche Eure Hilfe, meine Holde. Wie ich hörte, seid Ihr eine der begabtesten jungen Zauberweberinnen. Und vor allem habt Ihr noch keine Wahl getroffen, welcher der Farben des Regenbogens künftig Eure Treue gehören soll. Ich möchte Euch bitten, Eurer Schwester Nandalee zu helfen.
Nandalee! Sie blickte auf, überrascht, sich wieder bewegen zu können. Und jetzt erkannte sie, was die schwarze Wand mit Falten war! Der Leib eines riesigen Drachen! Himmelblaue Augen blickten auf sie hinab und dann war da wieder die Stimme in ihrem Kopf. Sie ließ all ihre Furcht zerfließen und erfüllte sie mit Stolz.
Ich bin Euer Freund, Dame Bidayn, und will Euer Lehrer sein. Ich war es, der einst den Schwebenden Meister das Zauberweben lehrte. Vertraut mir. Nie zuvor habe ich eine Elfentochter gelehrt. Mein Preis für diese Gunst sind Eure Treue und Euer Schweigen.
Sie würde alles für ihn tun. Sie ahnte, wer das sein musste – Nachtschwinge, der Erstgeschlüpfte! Der älteste aller Drachen. Und er hatte sie zu seiner Schülerin erwählt. Bidayn war überwältigt. Tränen des Glücks rannen ihr über die Wangen.
»Und Nandalee«, brach es plötzlich aus ihr heraus. »Sie lebt?«
Sie lebt und braucht Euch, Dame Bidayn. Ihr sollt sie auf eine Mission begleiten, von der niemand erfahren darf – nicht einmal die Meister der Weißen Halle. Ihr steht allein unter meinem Befehl. Und Ihr, meine Elfentochter, werdet zum Schlüssel für den Erfolg werden.
Das Glück halten
Endlich waren sie allein! Nandalee drückte Gonvalon gegen den Fels und überhäufte ihn mit Küssen. So viele Monde hatten sie einander nicht gesehen, und als er zu ihr gefunden hatte, war er gezeichnet gewesen. Kaum wiedererkannt hatte sie ihn. Sein schwankender Schritt hatte ihr das Herz gebrochen.
Doch all das war nun vorbei. Jetzt wollte sie ihn verschlingen, eins mit ihm werden und ihn nie wieder loslassen. Bevor er mit dem Dunklen gegangen war, hatten sie kaum Zeit füreinander gehabt. Jetzt hatte sie ihn endlich für sich. Endlich!
Er war zurückhaltender als sie. Genoss sie. Ihren Überfall. Seine Rechte fand den Weg unter ihr Kleid, ruhte warm auf ihrer Brust, dicht bei ihrem Herzen. Sie biss ihn in die Lippe und beugte den Kopf zurück. Wie wunderbar seine Augen waren! All das, was nicht über seine Lippen kam, konnte sie darin lesen. Seine Sehnsucht, seine Liebe – und seine Angst. Er hatte kein Wort davon gesprochen, seit er in den Jadegarten gekommen war, doch sie spürte, dass er sich immer noch vor seinem Fluch fürchtete.
»Ich bin nicht leicht totzukriegen«, flüsterte sie. »Ich werde nicht …« Er zog sie an sich und küsste sie. Voller Leidenschaft. Sie schloss die Augen. Genoss seine Hände auf ihrem Leib. Er verstand es, ihren Körper zu lesen wie kein anderer. Wusste, wann er sie wo berühren musste. Er vermochte es, ihr Feuer zu schüren, sie hinzuhalten, um dann ihre Glut nur noch stärker zu entfachen. Er genoss das Liebesspiel. Genoss es, sie so zu kennen wie kein anderer. Ihr die Führung zu überlassen, ohne ihr je ausgeliefert zu sein.
Doch plötzlich zögerte sie und löste sich von ihm. Atemlos. Sie hatte Sorge, dass alles zu schnell gehen könnte. Sie wollte genießen nach all den Monden – und fühlte sich unsicher. War etwas von ihrem Zwergenkörper geblieben, was sie bisher nicht bemerkt hatte? Ein Geruch oder vielleicht ein paar Haare an verborgener Stelle? Konnte er auch das in ihr lesen, was mit ihr geschehen war? Der Dunkle sagte, sie habe sich von Grund auf verändert. Hatte sie etwas verloren, was Gonvalon liebenswert an ihr gefunden hatte?
Sie trat ein Stück von ihm zurück und musterte ihn.
»Habe ich etwas falsch gemacht?« Er fragte zwar, aber in einem Tonfall, der deutlich machte, dass er nicht an sich zweifelte.
Nandalee schüttelte den Kopf. Seine Kleider rochen nach Rauch, Gesicht und Hände waren gerötet. Er hatte ihr nicht sagen wollen, wohin er mit dem Erstgeschlüpften gegangen war, und viel Zeit zu reden hatte sie ihm auch nicht gelassen. Auf dem Weg durch den Garten, bis hier hinauf zu dem zwischen den Felsen verborgenen Becken, hatte sie ihm von all ihren Erlebnissen in den vergangenen Monden erzählt. Er war ein geduldig lächelnder Zuhörer gewesen. Es war ein aufmerksames Lächeln, nicht das abwesende, das sich so leicht auf die Lippen schlich, wenn man in den Gedanken ganz woanders war. Manchmal hatte er kurze Fragen gestellt, Anteil genommen, ohne mitleidig zu sein. Er schaffte es, dass sie sich stolz fühlte. Nur eins machte ihr zu schaffen. Sie hatte nicht so aufopfernd um ihn gekämpft wie er um sie. Dass er nicht über das, was ihm widerfahren war, sprechen wollte, machte es noch schlimmer. Er musste Schreckliches durchgemacht haben.
Plötzlich fühlte sie sich beschämt. So vehement sie versucht hatte, ihre Gestalt zurückzugewinnen und einen Weg aus der Pyramide zu finden, so wenig hatte sie darum gekämpft, vor Ablauf des Jahres, das der Erstgeschlüpfte von ihr gefordert hatte, in die Weiße Halle zurückzukehren. Ja, in ihrem Streit mit Nodon hatte sie in den letzten Tagen manchmal gar nicht mehr an Gonvalon gedacht. Stattdessen hatte sie ständig darüber gebrütet, mit welchen Finten sie wohl die schier unüberwindliche Abwehr ihres neuen Fechtlehrers durchbrechen könnte.
»Es ist gut, dich zu sehen.« Er sprach nur leise, doch lag in seinen Augen eine Sehnsucht, die all ihre Zweifel hinwegfegte. »Für dich gehe ich bis ans Ende aller Zeiten, bis der Himmel fällt und nur das Mondlicht bleibt.«
Zärtlich strich sie über Gonvalons Wange. Die Narben, die ihr das Glasfenster geschlagen hatte, waren völlig verschwunden. Sie hatte wieder Gefühl in den Fingerspitzen. Deutlich spürte sie, wie unnatürlich warm seine Haut war. »Das sind ja Verbrennungen!«
»Das ist nichts. Mach dir keine Sorgen.«
»Ich könnte dich heilen!«
Er lächelte auf eine Art, der man ansah, dass es ihm Schmerzen bereitete. »Lieber nicht. Ich werde die Verbrennung mit Fett einreiben. In ein paar Tagen ist das ausgestanden. Ich …«
Seine Worte versetzten ihr einen Stich. »Es ist nicht wie früher. Ich bin besser im Zauberweben. Nachtschwinge sagt, ich mache große Fortschritte. Ich könnte wirklich …«
Er lächelte, so wie nur er es konnte. Unschuldig und beredt. »Es ist mein Herz, das du heilen musst. Und diesen Zauber musst du nicht von einem Drachen erlernen. Den hast du schon immer beherrscht.« Er hob die Hand und strich ihr sanft eine Haarsträhne von der Wange. »So sehr hat sich mein Herz nach dir verzehrt …«
Sie griff nach seiner Hand, führte seine Finger an ihre Lippen, küsste sie. Auch ihnen haftete der Geruch von Rauch an. »Du solltest dich waschen. Du riechst wie ein Räucherschinken.« Sie nickte in Richtung des gemauerten Beckens.
Er grinste und der lang vermisste Schalk stahl sich zurück in seine Augen. »Das hat sich also nicht geändert, meine unwiderstehliche Wilde aus den Wäldern. Noch nie hat mich jemand mit einem Räucherschinken verglichen. Allerdings …«
Er runzelte auf übertriebene Weise die Stirn und zuckte zusammen. Seine Verbrennungen waren wohl doch nicht ganz so harmlos, wie er behauptete.
»… allerdings entdecke ich auch eine neue Raffinesse an dir. Früher hättest du kein Bad vorgeschützt, sondern mir einfach ins Gesicht gesagt, dass du mich nackt sehen möchtest.« Sein Blick nahm seinen Worten den Stachel. Er verschlang sie mit seinen Augen.
Sie trat dicht vor ihn. »Nicht nur sehen. Ich möchte dich nackt fühlen. Dich nackt schmecken. Ich will dich, Gonvalon. Ich …« Sie streifte ihre Tunika ab. Dann griff sie nach seinem Hosenbund. »Du kannst dich auch später waschen. Ich …«