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Nandalee seufzte. Der Dunkle hatte Bidayn vermutlich einzig und allein deshalb mitgeschickt, damit sie jemanden hatten, der ihnen einen Weg in das Goldene Netz öffnete. Ihr vertraute der Drache nicht, wenn es um das Zauberweben ging; Bidayn hingegen war begabt und hatte sich noch für keinen Drachen entschieden. Ob der Erstgeschlüpfte auch daran dachte, Bidayn schon jetzt für sich zu gewinnen? Für sie war der lange Marsch sicher eine einzige Strapaze. Soweit Nandalee wusste, hatte ihre Freundin noch nie länger als zwei Tage in der Wildnis verbracht. Bidayn würde sie und Gonvalon aufhalten.

Noch einmal blickte Nandalee zu ihrem Liebsten. Kurz überlegte sie, einfach aufzustehen und sich an seine Seite zu setzen. Aber sie wusste, dass er es nicht dulden würde. Nicht, wenn er auf Wache stand, und nicht, wenn eine weitere Schülerin der Weißen Halle in der Nähe war und ihnen zusehen konnte. Nandalee seufzte und rollte sich in ihren Umhang. Zu wach zum Schlafen, sah sie den tanzenden Glühwürmchen über dem Farn zu. Sie erstrahlten in einem matten gelbgrünen Schein. Wenn man die Augen halb schloss, sah es aus, als malten sie Striche aus Licht in das Dunkel der Nacht.

Bidayn brauchte lange, bis sie einen Platz für die Nachtruhe fand. Sie murrte vor sich hin, fluchte leise über Dreck und Wurzeln und über die grobe Kleidung, die sie tragen mussten. Der Dunkle hatte großen Wert darauf gelegt, dass ihre Ausrüstung den Menschenkindern nicht auffallen sollte. So waren sie in grobe Wollstoffe und schlecht verarbeitetes Leder gekleidet. Die Schwertscheiden waren mit Leder umwickelt. Die Griffe mit Dreck und Ruß eingeschmiert. Nur wenn sie die Klingen blankzögen, dann wäre alle Tarnung dahin. Mit Sicherheit hatten die Menschenkinder noch nie eine Waffe gesehen, die einem Drachenschwert auch nur nahekam.

Nandalee schloss die Augen ganz, öffnete ihren Geist und gab sich den Gerüchen des Waldes hin. Dem Duft des feuchten Farns, dem säuerlichen Geruch des vermodernden Birkenlaubs vom Vorjahr. Einmal hörte sie lautes Lachen vom anderen Ufer. Nandalee dachte an ihre langen Jagdausflüge in Carandamon. An ihre Sippe, in der sie sich fremd gefühlt hatte. Vielleicht war sie nicht dazu geschaffen, in Gesellschaft zu sein? Eine einsame Jägerin, die irgendwann allein im Wald sterben würde. So würde ihr Leib zuletzt zum Fraß der Wildnis, von der sie ein Leben lang genommen hatte, was sie brauchte. Sie fand den Gedanken nicht abstoßend. Damit schloss sich ein Kreis. Es wäre ein gutes Ende.

Schließlich schlief sie ein. In ihren Träumen wurde sie gejagt. Sie lief durch einen Wald. Etwas Großes, Gestaltloses war hinter ihr her. Und obwohl es nah war, gelang es ihr nicht, einen Blick darauf zu erhaschen. Es war sehr nah! Sie wachte auf, setzte sich ruckartig auf. Ihre Hand fuhr zu ihrem Jagdmesser.

»Ruhig!«

Der Schatten vor ihr wich zurück.

»Ruhig, ich bin es. Ich wollte dich gerade wecken. Du hast einen leichten Schlaf.«

Sie räusperte sich. Es war ihr peinlich. Sie fand keine Worte. Sich entschuldigen wollte sie nicht. Wozu auch! Sollte er sich nicht an sie heranschleichen, wenn sie schlief!

»Ich schlaf jetzt ein wenig. Du bleibst beim Lager?«

Sie nickte.

»Bei unserem Lager.«

»Ja!« Sein Misstrauen ärgerte sie. In verdrossener Stimmung verließ sie den Hügel und suchte sich eine durch Büsche gedeckte Stelle am Ufer. Von dort hatte sie einen guten Blick zum Lager der Menschenkinder. Und sie würde schon mitbekommen, was hinter ihr geschah! Auf ihre Sinne konnte sie sich verlassen. Nicht einmal eine Wildkatze würde sich in ihre Nähe schleichen können, ohne dass sie es bemerkte. Lange, einsame Wachen war sie als Jägerin gewohnt. Gonvalon sollte sich nicht so anstellen!

Im Lager am anderen Ufer herrschte jetzt Stille. Die Nacht war frisch, aber nicht unangenehm kühl. Nandalee konnte den Rauch der verglimmenden Feuer und den Dung der Pferde riechen. Die Elfe wurde eins mit den Geräuschen des Waldes, dem leisen Rauschen der Blätter, dem Knarren sich wiegender Äste, dem Rascheln von Mäusen und anderen Nagetieren, die durch das trockene Laub huschten. Sie hörte eine jagende Eule und einen Karpfen, der aus dem Fluss sprang. Plötzlich schrak sie auf. Die Worte des Schwebenden Meisters waren ihr wieder in den Sinn gekommen. Auch das war eine Art Magie, obwohl sie es völlig unbewusst tat. Ihre Verbundenheit mit dem Land ging weit über das hinaus, was ihre Sinne erlaubten.

Schuldbewusst sah sie sich um. Etwas floss zwischen den Bäumen am Ufer dahin, ein grünes Licht. Eine Wolke aus Glühwürmchen?

Lautlos erhob sie sich und folgte dem Licht ein paar Schritt, dann hielt sie inne. Sie durfte ihren Posten nicht verlassen! War es ein Versuch, sie fortzulocken?

Nandalee war es plötzlich kalt. Sie rieb sich die nackten Oberarme und stieg den Hügel zum Lager ihrer beiden Gefährten empor. Gonvalon blinzelte kurz zu ihr auf – auch er hatte einen erstaunlich leichten Schlaf. Nur dass er sich besser beherrschte, dachte sie bitter. Sie musste sich eingestehen, dass sich ihr Lehrmeister wahrscheinlich genauso gut in der Wildnis zurechtfinden würde wie sie, auch wenn er kein Jäger war.

Bidayn schlief tief und fest. Ihre Stirn war gerunzelt, als ärgere sie sich selbst in ihren Träumen noch darüber, in einem Bett aus feuchtem Laub zu liegen.

Nandalee blickte zurück. Das grüne Leuchten war verschwunden. Hatte sie es angelockt? Durch die Art, wie sie eins mit dem Wald werden konnte? Durch den Zauber, den sie gewoben hatte? Sie entschied, den Baumkreis, der das Lager schützte, nicht mehr zu verlassen. Gonvalon hatte recht – hier gab es etwas zutiefst Fremdes. Und wieder hatte sie das Gefühl, von etwas beobachtet zu werden. Etwas, das gerade außerhalb ihres Gesichtskreises lauerte und sich meisterhaft darauf verstand, gänzlich zu verschwinden, sobald sie den Kopf drehte.

Am anderen Ufer wieherte ein Pferd. Es klang furchtsam. Dann hörte Nandalee Hufschlag. Ein eisiger Wind wehte über den Fluss. Der plötzliche Temperaturabfall ließ die Äste knacken und ihren Atem in Wolken aufsteigen. Blasser Nebel trat aus dem Waldboden, als würde auch die Erde atmen. Bidayn wälzte sich unruhig im Schlaf und murmelte etwas Unverständliches.

Das grüne Licht war wieder da! Jetzt wogte es durch den Wald am anderen Ufer. Dort, wo das Lager der Menschenkinder lag. Und es hatte sich verändert. Jetzt erinnerte es an einen grünen Nebel, der über den Boden dahinkroch. Ein Nebel, der von innen heraus leuchtete.

Nandalee überlegte. Sollte sie Gonvalon wecken? Würde sie sich lächerlich machen? War das nur eines der abweichenden Naturphänomene dieser Welt? Ging von diesem Nebel eine Gefahr aus? War er schuld an der Kälte?

Im Lager der Menschenkinder war kein Laut mehr zu hören. Sie hatten bestimmt auch Wachen aufgestellt! Wenn der Nebel gefährlich wäre, hätte es dort drüben gewiss Unruhe gegeben! Aber es blieb still. Selbst die Pferde hörte sie nicht mehr. Der matte Schein der Feuer war verloschen. Auch das war nicht ungewöhnlich. Die Lagerfeuer waren vermutlich einfach herabgebrannt. Und dennoch … Etwas stimmte da drüben nicht! Sie spürte es mit jeder Faser ihres Leibes!

Nandalee kniete sich neben Gonvalon. Als sie ihn sanft berührte, war er sofort hell wach. Sie erzählte vom Nebel. Ein Herzschlag nur und ihr Liebster war auf den Beinen. Das andere Ufer lag im Dunkel. Das grüne Licht war verschwunden. Sie stand da wie eine Närrin!

»Morgen werden wir hinübergehen. Wir machen einen weiten Bogen, suchen eine Furt und beobachten die Menschenkinder. Vielleicht haben sie dieses Licht erschaffen? Vielleicht können sie Zauber weben? Behalt ihr Lager weiter im Auge.« Er sah zu der schlafenden Bidayn, dann beugte er sich vor und küsste sie. Es war ein langer, leidenschaftlicher Kuss. »Ich vermisse dich«, flüsterte er. »Ich wünschte, wir wären allein.« Er schenkte ihr noch ein Lächeln, dann zog er sich zu seinem Schlafplatz zurück.