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»Wo bleibt sie nur?« Bidayn blickte zu Gonvalon auf, der den Waldrand nicht aus den Augen ließ und in die Nacht hinaus lauschte – und dann spürte auch sie es. Dort draußen war etwas Unheimliches, für das sie keine Worte hatte. Eine Gefahr, die es nur auf dieser Welt gab, die nicht für Elfen oder Menschen geschaffen war. Nangog wehrt sich, dachte sie.

Am schlimmsten war die Gewissheit, dass sie sich nicht wehren konnte. Sie war ausgeliefert. Alles was ihr blieb, war, zu warten. Warten … Sie würde noch wahnsinnig! Bidayn zog den langen Holzlöffel aus Gonvalons Bündel und begann in der dünnen Suppe zu rühren. Alles war besser, als nur tatenlos dazusitzen. Die Suppe roch gut, aber das Schaben des Löffels auf dem Metall des Topfes erschien ihr unnatürlich laut. Es war … Sie verharrte mitten in der Bewegung. Nein, nicht das Scharren war unnatürlich. Die Stille, die sie umgab, war es. Kein Laut drang aus dem nahen Wald. Nie hatte sie so deutlich gespürt, belauert zu werden.

Ängstlich blickte sie zu Gonvalon, doch der Schwertmeister wirkte jetzt ganz entspannt. Er streckte sich und gähnte. Merkte er denn nichts? Wie beiläufig sank seine Rechte auf den Griff seines Schwertes. »Mach weiter«, flüsterte er. »Kümmer dich um das Abendessen.« Seine Lippen bewegten sich kaum, während er sprach.

Bidayn schluckte hart, dann griff sie nach Nandalees Bündel, in dem ihre Vorräte verpackt waren. Ein Vogelschrei drang durch die Nacht und Nandalees Bündel fiel ihr aus den Händen. Der letzte Kanten Brot rollte über den felsigen Boden zu ihren Füßen.

Schweres Flügelschlagen entfernte sich. Sie würde nicht schreien!

Gonvalon wirkte immer noch ganz ruhig. Abgesehen von der Hand am Schwert. Er würde auf sie aufpassen, beruhigte sie sich. Und wenn etwas passierte, würde sie dieses verdammte Zauberverbot ignorieren. Sie würde mit ihren Waffen kämpfen. Deshalb hatte sie der Dunkle mitgeschickt. Ganz bestimmt.

Der Entschluss zu zaubern tat gut. Sie bückte sich und hob den Kanten Brot auf. Es war steinhart, aber in die Suppe getunkt würde sie es herunterbekommen.

Plötzlich war die Nacht voller Flügelschlagen. Hunderte Vögel brachen aus dem Wald und stiegen in den Nachthimmel empor. Ein Fauchen erklang. Ganz nah an ihrem Lager stürmte ein großer Hirsch vorbei. Die ganze Welt schien in Bewegung geraten zu sein. Selbst unter ihren Füßen. Sie blickte zu Boden und sah den Suppentopf. Konzentrische Ringe liefen über die dünne Wassersuppe. Ein Laut wie ein tiefes Seufzen erklang.

Ringe tanzten im roten Licht des Feuers auf der dünnen Suppe. Dann war ein Laut zu hören, ähnlich einem Seufzen. So tief, dass er Bidayn bis in den Bauch fuhr. Sie spürte, wie sich der Fels unter ihren Füßen bewegte. Es war nur ein schwaches Vibrieren.

Voller Panik sprang sie auf. Gonvalon war schon auf den Beinen. Aus dem nahen Wald klang ein Krachen und Splittern. Loses Geröll rutschte grollend den Hang hinab.

Ein Stein, fast so groß wie ihr Kopf, kollerte nur einen halben Schritt entfernt vorbei. Bidayn war wie gelähmt. Sie wollte flüchten … Aber wohin?

Gonvalon zog die Elfe an sich und nahm sie in die Arme. »Gleich hört es auf«, sagte er mit fester Stimme. »Das ist nur ein Erdbeben.«

»Nur ein Erdbeben!« Ihre Stimme war ein peinlich schrilles Kreischen. Was sollte das heißen – nur ein Erdbeben? Es war ihr erstes Erdbeben und es gehörte ganz fraglos zu der Sorte Erfahrungen, die sie nicht hätte machen wollen.

Der Lärm erstarb so plötzlich, wie er gekommen war. Der Wald lag wieder still. Nur ab und an hörte man noch einen einzelnen Stein den Hang hinabrollen. Wo Nandalee nur war? Hoffentlich hatte das Beben sie nicht im Wald überrascht.

»Du warst sehr tapfer.«

Wäre sie nicht Zeuge ihrer Angst gewesen, hätte sie ihm geglaubt, so bestimmt sprach der Schwertmeister.

»Man fühlt sich völlig hilflos. Es ist eine schreckliche Erfahrung.«

Eben war es noch nur ein Erdbeben, dachte Bidayn bitter und schämte sich für ihre Angst.

Gonvalon lächelte. »Du warst sehr tapfer«, sagte er. »Als ich zum ersten Mal ein Erdbeben erlebt habe, bin ich herumgerannt wie ein aufgescheuchtes Huhn. Ziemlich peinlich.«

Er schaffte es tatsächlich, sie zum Lächeln zu bringen. Bidayn ließ den Kopf gegen seine Brust sinken und genoss es, im Arm gehalten zu werden. Zum ersten Mal, seit sie Nangog betreten hatten, fühlte sie sich sicher und geborgen. Es war gut, und … Wenn jetzt Nandalee käme! Bidayn zuckte zurück.

Gonvalon öffnete seine Umarmung. Er räusperte sich ein wenig verlegen. »Ich wollte deine Angst nicht ausnutzen, um mich …« Er lächelte entwaffnend.

Bidayn dachte an die Gerüchte über den Schwertmeister. Er sollte schon viele Affären gehabt haben. Meist mit Schülerinnen. Dieses Lächeln … Ihm war leicht zu erliegen. Wie es wohl war, seine Geliebte zu sein? Nandalee wurde immer sehr wortkarg, wenn Bidayn sie auf den Schwertmeister ansprach. In ihrer Gegenwart hielten sich die beiden zurück. Aber sie sah ihre Liebe deutlich in den Blicken, die sie miteinander wechselten, wenn sie sich unbeobachtet fühlten. Allerdings las sie in den Blicken auch, wie sie einander stumm ihr Leid darüber klagten, mit einer fußkranken Reisegefährtin geschlagen zu sein, die so gar nicht für ein Abenteuer wie dieses geschaffen war. Ob Gonvalon sich jemals in sie verlieben könnte? Oder sah er nur eine verzärtelte, ängstliche Elfe in ihr? Eine, die bei den Drachenelfen nichts zu suchen hatte und mit ihrer Schwäche die ganze Mission in Gefahr brachte?

Ein Schatten löste sich aus der schwarzen Wand des Waldes. Bidayn machte erschrocken einen Schritt in Gonvalons Richtung. Dann erkannte sie Nandalee. »Endlich bist du zurück! Wir haben uns Sorgen gemacht. Wir …«

Jetzt hatte Nandalee den Lichtkreis des Feuers erreicht. Sie war blass, ihre Kleider voller Staub und der Köcher an ihrem Gürtel war nicht verschlossen. Etwas stimmte nicht mit ihr! Hatte ihre Freundin gesehen, wie sie in Gonvalons Armen gelegen hatte?

Achtlos ließ Nandalee Bogen und Schwert fallen und hockte sich auf einen Stein nahe beim Feuer.

»Geht es dir gut?«, fragte Gonvalon und näherte sich ihr, aber sie hob abwehrend die Hand.

»Mit mir ist alles in Ordnung.« Sie sah nicht einmal auf, als sie ihm antwortete.

Obwohl Gonvalon für gewöhnlich seine Gefühle sehr gut verbergen konnte, sah Bidayn ihm dieses Mal an, wie ihm Nandalees kalte, abweisende Art zusetzte. Auch er zog sich zurück, trat an den Rand des Lichtkreises, den ihr kleines Lagerfeuer in die Dunkelheit schnitt, und beobachtete Nandalee.

Bidayn räusperte sich. »Wir haben auf dich gewartet. Ich werde dir eine Schüssel …«

Die Bogenschützin wandte ihr den Kopf zu. Ihr Blick war seltsam eindringlich. Sie wirkte verändert, ohne dass Bidayn hätte in Worte fassen können, was genau nicht mehr so war wie zuvor. Sie war … unheimlich!

»Ich habe keinen Hunger.«

So mürrisch hatte sie Nandalee selten erlebt. »Wir jedenfalls sind froh, dich lebend wiederzusehen, nachdem die Welt Kopf gestanden hat.«

»Nicht für uns.« Sie deutete nach Osten, wo hinter den Bergen ein blassroter Schimmer am Nachthimmel zu sehen war. »Für sie hat die Welt Kopf gestanden. Dort werden wir die Menschenkinder studieren können. Oder besser das, was von ihnen nach dem Erdbeben noch übrig geblieben ist. Dort muss wohl eine Stadt liegen.«

Bidayn blickte zum Horizont. Sie glaubte Wolken zu sehen, deren Unterseite rot erstrahlte. Wie weit die Stadt wohl entfernt lag? Und wie groß mochte sie sein? Und woher wusste Nandalee davon? Sie konnte unmöglich so weit gewandert sein.

Als sie sich nun erneut zu ihr umdrehte, hatte sich Nandalee in ihren Umhang eingerollt und schlief – oder gab es zumindest vor.

Gonvalon kam zu ihr herüber, kniete sich nieder und nahm etwas von der Suppe. Er wirkte tief verletzt. Am liebsten hätte Bidayn ihn in die Arme genommen, aber sie wusste, dass er es nicht dulden würde. Es würde falsch aussehen. Bestimmt schlief Nandalee nicht! Was war nur los mit ihr? Sonderlich feinfühlig war sie ja noch nie gewesen, aber dieser Auftritt übertraf alles.