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Etwas mit Nandalees Augen stimmte nicht. Ein eigentümlich grüner Schimmer lag in ihnen. Nur einen Herzschlag lang. Dann war er verflogen. Gonvalon sah sich um, suchte nach einem grünen Licht, das sich vielleicht in ihren Augen gespiegelt haben mochte, aber da war nichts.

»Was du suchst, ist in ihr.«

Ein eisiger Hauch berührte ihn und unwillkürlich wich er einen Schritt vor Nandalee zurück.

»Du glaubst mir nicht? Ich bin eins mit allem, was Nangog hervorgebracht hat. Ich werde es dir beweisen. Sieh nach Westen zu den Bergen und beginne leise zu zählen. Wenn du bei dreiundsiebzig anlangst, wirst du den ersten Wolkensammler über die Berge kommen sehen.«

Das alles war so absurd, dass er sich am besten darauf einließ, dachte Gonvalon. Er blickte über die Schulter und begann leise zu zählen, während Nandalee weitersprach.

»Sie sind die Fürsten des Himmels über Nangog. Friedliche Geschöpfe. Die Menschen aber haben sie zu ihren Sklaven gemacht. Sie zwingen sie, Schiffe zu tragen. Sie nehmen sich alles, zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Und es wird der Tag kommen, an dem sie auch in die verbotenen Tiefen vordringen. Sie werden nicht verstehen, was sie sehen. Dann werden sie für immer alles zerstören. Es ist ihre Gier, die sie treibt. Und ihre maßlose Vermehrungswut. «

Gonvalon war bei dreiundsiebzig angelangt. Und etwas wuchs hinter der Bergkette in den Himmel. Selbst mächtig wie ein Berg. Eine riesige schwebende Gestalt. Eine Kreatur, irgendwo zwischen Oktopus und Qualle. Tentakel hingen von dem gewaltigen Leib herab – einem riesigen aufgedunsenen Fleischsack. Sie umklammerten ein schiffähnliches Gebilde. Diesem Himmelsschiff wuchsen die Masten aus den Seiten. Schmutzig gelbe Segel blähten sich im Wind. Ein schimmernder Kristall ragte aus dem Kiel. Groß wie ein kleines Türmchen.

Gonvalon entging nicht, dass er der Einzige war, der so starrte. Für die Menschenkinder waren diese Kreaturen offenbar ein vertrauter Anblick.

»An Bord dieser Wolkenschiffe wirst du in sehr schlechter Gesellschaft sein. Dennoch müsst ihr an Bord des ersten dieser Schiffe gehen, ansonsten droht euch tödliche Gefahr. Ich werde euch an einen Ort bringen, an dem ihr Nangog tief zu verstehen lernt.«

Gonvalon entschied, dass er sich auf Nandalee einlassen würde. Was auch immer gerade mit ihr geschah. War sie besessen? Sprach wirklich eine Kreatur dieser Welt durch ihren Mund? Hatte der Dunkle all das vorhergesehen? Jetzt endlich hatte ihre Reise ein Ziel! So wie Gonvalon den Drachen ursprünglich verstanden hatte, sollten sie Nangog lediglich als Späher erkunden. Sie sollten die Natur kennenlernen, die Wälder. Sehen, was anders war als in Albenmark. Und sie sollten die Menschenkinder beobachten. Schätzen, wie viele gekommen waren. Ob sie ihre Städte befestigten und Krieger hierherbrachten. Hatte der Dunkle von Anfang an gewusst, dass es so kommen würde? Dass eine Kreatur Nangogs Besitz von Nandalee ergreifen würde? Der Schwertmeister überlegte. »Gut, wir nehmen eines der Schiffe. Ich vertraue dir. Und Menschenkinder fürchte ich nicht«, sagte er schließlich.

»Das heißt nur, dass du die Menschen nicht wirklich kennst.«

»Welche andere Gefahr droht uns? Warum ist es so wichtig, dass wir an Bord des ersten Wolkenschiffes gehen?«

»Das musst du jetzt noch nicht wissen, Elf. Vertraue mir. Wir haben dieselben Feinde.« Nandalees Gesichtsausdruck änderte sich. Plötzlich wirkte sie erschrocken. »Du weißt es!« Ihre Stimme war verändert. Wieder ganz so, wie er sie kannte. Ihre Angst vor dem, was er sagen würde, war so deutlich spürbar, dass er nicht anders konnte, als sie in den Arm zu nehmen. Sie hielt ihn fest umschlungen. Nie hatte er sie so verzweifelt erlebt.

Alte Narben

Artax lag in der Mulde auf dem Rücken des Wolkensammlers. Die Zwillingsmonde am Himmel wären bald wieder halb voll. Er war einer der mächtigsten Männer der Welt und vollkommen machtlos. Die Zeit lief ihm davon. Er hatte die glücklichsten Wochen seines Lebens erlebt. Er lächelte versonnen. Dachte an die Nächte, die sie hier oben verbracht hatten. Den anderen so nah und doch unerreichbar. Seit er die Reise begonnen hatte, zermarterte er sich den Kopf darüber, wie er es fortsetzen könnte. Es schien unmöglich. Er würde sich selbst gegen den Löwenhäuptigen stellen und um seine Liebe kämpfen. Aber wie? Womit erpresste man einen Gott?

Die schwarze Silhouette eines jungen Wolkensammlers erschien am Nachthimmel. Shaya hing im Fluggeschirr. Seit Beginn ihrer Reise übernahm sie regelmäßig Nachtwachen. Zu ihrem Rang gehörte das Privileg, dass niemand höher fliegen durfte als sie.

Einem langen Gespräch mit dem Lotsen Nabor hatte Artax den Einfall zu verdanken, aus dem diese Reise geboren war. Wenn Wolkenschiffe gemeinsam flogen, gab es strenge Regeln für die Positionen zueinander. Das Schiff, auf dem die ranghöchste Persönlichkeit reiste, war immer das Schiff, das am höchsten flog. Es musste nicht das erste in der Formation sein. Manchmal war es auch nicht das größte. Und doch war es leicht schon von ferne auszumachen, weil es sich über alle anderen hob. Das bedeutete, dass niemand sehen konnte, was auf der Oberseite des Wolkensammlers geschah, auf dem er reiste. Außer vielleicht eine der Wachen der Ischkuzaia, die in ihren Fluggeschirren mit den jungen Wolkensammlern aufstiegen.

Shaya löste ihr Fluggeschirr und landete federnd neben der Strohpuppe. Sie hakte das Geschirr der Puppe an ihrem Wolkensammler fest und setzte ihren Helm auf das Strohhaupt. Dann prüfte sie die Sicherungsleine und ließ den Wolkensammler wieder aufsteigen. Bei Nacht vermochte niemand, der vom Deck der Schiffe zu den Wachen am Himmel aufblickte, einen Unterschied zu bemerken.

Lächelnd kam Shaya auf ihn zu. Sie hielt eine Kürbisflasche hoch. »Die Nächte werden kälter.«

»Das wird helfen.« Er meinte das doppeldeutig. Nie waren sie weiter als bis zu einem Kuss gekommen. Er hatte Sehnsucht nach ihr und doch Angst, sie zu verlieren, falls er sie zu sehr bedrängte. Ihre Küsse waren voller Leidenschaft und doch begann sie immer wieder davon, dass sie dem Reich Ischkuza gehörte und sie sich nicht hingeben dürfe. Es war ein qualvolles Spiel zwischen Lust und schlechtem Gewissen. Shaya hatte keines ihrer geheimen Treffen versäumt, aber er verzweifelte an der Aussichtslosigkeit ihrer Lage.

Wir werden sehr erleichtert sein, wenn dieses kindliche Geplänkel endlich vorüber ist. Ein Mann wird krank, wenn zu viele Säfte in ihm aufsteigen, ohne fließen zu dürfen. Das ist schlecht für den Rücken und die Nieren. Im Übrigen mögen Weiber es, wenn man ein wenig fordernder vorgeht. Du musst sie erobern. Lass uns für dich reden und wir versprechen dir, noch heute ist dieses kindliche Spiel vorüber.

Stimmt, ein paar Worte von dir und alles ist vorüber, dachte Artax. Sie wird mich nie mehr wiedersehen wollen. Dann ging er Shaya entgegen und nahm sie zärtlich in die Arme. Er wusste, wie sehr sie es liebte, einfach nur gehalten zu werden. Seltsam für eine Kriegerin, die ohne Furcht zwischen Himmel und Erde schwebte.

»Ich vermisse es zu reiten«, sagte sie nach einem flüchtigen Kuss.

Fast hätte er aufgeseufzt. Sie sprach mit ihm über alles Mögliche, nur nicht über ihre Liebe. War sie sich bewusst, wie sehr man ihre Bemerkung missverstehen konnte?

Natürlich weiß sie das! Du musst endlich zum Eroberer werden, du Bauerntrottel. Noch viel deutlicher wird sie nicht werden.

Sie erzählte von dem ersten Pferd, das sie als Kind geschenkt bekommen hatte. Zu jener Zeit, als ihr Vater noch voller Güte zu ihr gewesen war. Einmal mehr überlegte Artax fieberhaft, ob er ihr offenbaren sollte, warum Unsterbliche manchmal über Nacht ihren Charakter veränderten und scheinbar ihre eigenen Kinder nicht mehr liebten – und wieder schwieg er.

»Einmal hat es mich abgeworfen und ich bin mit dem Kopf gegen einen Stein geschlagen. Davon habe ich immer noch eine Narbe. Man kann sie nicht sehen, aber fühlen.« Sie nahm seine Hand und führte sie in ihr Haar, dicht über der Stirn. »Wie ein angestochenes Schwein habe ich geblutet.«