»Letzten Sommer hat mein Feldherr Juba mich bei einem Übungskampf verletzt. Hier oben am Arm. Die Wunde musste mit sieben Stichen genäht werden.« Er schob den Ärmel der Tunika zurück. »Die Narbe ist nicht gerade ein Schmuckstück. Sie ist immer noch ganz rot und sieht aus, als hätte man einen Wurm auf mich aufgenäht.«
Sie lachte. Ihre Berührung ließ ihn erschauern.
»Das ist gar nichts! In meinem sechzehnten Sommer habe ich an einem Kriegszug gegen luwische Plünderer teilgenommen. Dabei habe ich einen Hieb mit einer Dornaxt abbekommen. War meine eigene Schuld … Eigentlich wäre der Angriff leicht zu parieren gewesen. Aber statt mich zu wehren, habe ich einfach nur die Axt angestarrt. Sie hat mich hier, dicht unter dem Schlüsselbein, getroffen. Bis zur Wintersonnenwende hat es gedauert, bis ich wieder auf den Beinen war. Im ersten Mond waren die Geisterrufer überzeugt, ich würde zu den Ahnen gehen. Ich hatte Fieber und die Wunde hatte sich entzündet. Aber dann haben die Maden das faulige Fleisch weggefressen. Die Narbe ist seltsam. Eine Mulde. Sieht nicht sehr hübsch aus. Das wird mein Vater sicher verheimlichen, wenn er mich irgendwann verheiratet.« Sie sah ihn auf eine scheue Art an, die so gar nicht zu ihr passte. »Wenn du die Augen schließt …«
»Ja.«
Er hörte, wie sie ihr Wams löste und das scharlachrote Hemd hochschob. Dann nahm sie seine Hand und führte sie. Ihre Haut kam ihm zart wie Seide vor. Dann ertastete er die Mulde. Auch konnte er ihren Herzschlag spüren. Ganz langsam ließ er die Hand ein wenig tiefer gleiten.
Na endlich. Weiter so. Und mach die Augen wieder auf. Wir wollen sehen, in was du dich verguckt hast. Ein Weib voller Narben. Du bist wohl auch als Kind auf den Kopf gefallen, Bauer.
Fahr zum Henker, Aaron, dachte er.
Er hielt die Augen geschlossen und gab sich ganz dem Augenblick hin. Zärtlich umfasste er ihre kleine Brust. Shaya hielt ihn nicht zurück. Die Brustwarze drückte gegen seinen Handteller. Er spürte, wie sich Schweiß in seiner Hand sammelte. Wie peinlich!
Shaya legte einen Arm um seine Hüfte, zog ihn zu sich heran und er küsste sie.
Plötzlich löste sie sich. »Und jetzt will ich die Narbe sehen, die dir der unsterbliche Muwatta beigebracht hat.«
»Darf ich die Augen öffnen?«
»Nein, ich glaube nicht, dass das notwendig ist, um eine Tunika abzulegen. Ich kann dir auch helfen.«
»Geht schon.« Eigentlich wollte er sich seine Enttäuschung nicht anmerken lassen, aber das missglückte ihm gründlich.
»Fast dieselbe Stelle, an der mich die Dornaxt getroffen hat.« Sie berührte ihn mit den Fingerspitzen. »Eine ziemlich verrückte Idee, ein Schwert mit seiner Brust aufzufangen, um es zu binden.«
»Etwa so verrückt, wie einfach still stehen zu bleiben, wenn man mit der Axt erschlagen werden soll.«
»Nein, schlimmer«, sagte sie ernsthaft. »Ich war vor Angst wie gelähmt. Aber du hast es mit voller Absicht getan. Du hast dein Leben beinahe weggeworfen, um deinen Feind mit dir in den Tod zu ziehen. Ich bin froh, dass die Götter dir gnädig waren.«
Artax dachte daran, dass der Löwenhäuptige nichts unternommen hatte, um ihn zu heilen. Nein, die Götter waren ihm nicht gnädig.
Shaya nahm ihn in die Arme. »Ich bin froh, dass du das Wundfieber überlebt hast«, flüsterte sie. »Froh, dass wir jetzt hier sind.«
Auch er legte die Arme um sie. Lauschte auf den Wind, der leise in der Takelage weit unter ihnen sang. Nahm ihre Wärme in sich auf. Wünschte, der Augenblick möge nie vergehen.
»Wir sollten etwas trinken.« Sie zog sich aus seiner Umarmung zurück und rieb sich fröstelnd mit den Händen über die Oberarme. »Ganz schön frisch«, murmelte sie, wurde sich dessen bewusst, dass er ihre Brüste anstarrte, und räusperte sich verlegen. Doch sie wandte sich nicht ab.
Ertappt sah Artax ihr in die Augen und fand darin ein Lächeln. »Was … ähm … ist denn das für ein Branntwein?«
Sie grinste breit. »Wenn ich dir verrate, woraus er gemacht ist, wirst du ihn nicht mehr trinken.«
Die Narbe über ihrem Herzen sah aus wie eine stilisierte rote Sonne. Wenn er diesen Luwier in die Finger kriegen würde … Obwohl – wahrscheinlich hatten das längst die Stammeskrieger erledigt.
Sie hielt ihm die Kürbisflasche hin. Er widerstand der Versuchung, daran zu riechen, und setzte sie sofort an die Lippen. Wie flüssiges Feuer rann ihm der Schnaps die Kehle hinab. Er kämpfte einen plötzlichen Hustenreiz nieder, konnte aber nicht verhindern, dass ihm Tränen in die Augen traten. »Gut«, heuchelte er.
Sie lachte. »Du bist ein schlechter Lügner.« Shaya nahm ihm die Flasche aus der Hand und tat einen tiefen Zug. Bei ihr waren keinerlei Nebenwirkungen zu sehen. Er sollte sich niemals bei Hofe auf ein Zechgelage mit ihr einlassen. Sie würde ihn wahrscheinlich unter den Tisch trinken. Und er … Er würde sich Aaron überlassen, wenn er zu viel trank. Das durfte nie wieder geschehen!
Shaya setzte die Flasche ab und fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Was machen wir jetzt?«
Er grinste. »Ich hätte da noch ein paar Narben, mit denen ich angeben könnte.«
»Ich auch. Mein älterer Bruder, Subai, hatte einmal einen Wolfshund, den er darauf abgerichtet hatte, unsere Puppen zu zerfetzen. Subai war ein ausgemachter Mistkerl. Und sein Hund war ein Seelenbruder von ihm. Als er eine Puppe von mir holte, schlug ich ihm mit einem Kochlöffel über die Schnauze. Er ließ los. Und dann entschied er, dass ich eigentlich auch nicht viel größer als eine Puppe war. Ich wollte weglaufen. Noch ein Fehler von mir. Er packte mich …« Sie rieb sich den Hintern. »Hab ein halbes Jahr nicht mehr reiten können. Aber Subais Hund kam in die Suppe. Ich habe sieben Schalen von dieser Suppe gegessen!«
Artax musste lachen. »Damit kann ich wahrlich nicht aufwarten. Ich habe noch nie jemanden gefressen, dem ich eine Narbe verdanke. Ich …«
Sie hob einen Finger an Lippen. Weit entfernt erklang ein Horn.
Shaya fluchte. Dann raffte sie ihr Hemd und ihr Wams an sich.
»Was ist los?«
»Ein Wolkenschiff nähert sich. Sie blasen das Horn, damit es nicht zu einer Kollision kommt. Ich muss zurück auf meinen Posten.«
Artax nickte und beobachtete, wie sie den Wolkensammler zu sich herabzog, sich anschirrte und in die Lüfte stieg. Er sah ihr lange nach. Würden die Götter ihnen jemals eine ungestörte Liebesnacht schenken? Wohl nicht. Allein ihre Liebe war ja schon ein Frevel an den Gesetzen der Götter. Welche Strafe sie beide wohl letztlich erwartete?
Duftwasser und Drachenschwingen
Das endlose Warten zehrte an Hornboris Nerven. Ebenso, wie der Gestank. Am ersten Tag hatte er noch geglaubt, er könne sich daran gewöhnen. Jetzt wusste er, das würde niemals geschehen. Nur seinen beiden Gefährten schien es gar nichts auszumachen. Galar hatte das, was er anfangs für einen verrückten Scherz gehalten hatte, wahr gemacht. Sie hatten sich mit Wolfsscheiße eingeschmiert. Und wann immer sie glaubten, der Gestank ebbte ab, legten sie nach. Galar hatte ein kleines Fass voll davon mitgebracht. Hornbori betrachtete seinen strähnigen Bart. Ihn hatte er nicht eingeschmiert – ihn nicht! Nur nicht nachdenken, dachte er sich. Einen ganzen Tag würde er baden, wenn er zurück war. »Wie lange müssen wir denn noch warten?«
»Geduld ist die erste Tugend des Jägers«, murmelte Nyr, ohne sich nach ihm umzudrehen. Der Geschützmeister stand über die Drachenflitsche gebeugt und spähte zum Fressplatz des Drachen hinüber. Ein Gebeinfeld, das mehr als hundert mal hundert Schritt maß. Sie hatten es nicht gewagt, dorthin zu gehen, aus Sorge, der Drache würde ihre Witterung aufnehmen, wenn er zum Fressen kam. Selbst mit der Wolfsscheiße in den Kleidern.
Sechs Tage lang konnte Hornbori jetzt schon auf dieses Knochenfeld starren. Sechs verfluchte, endlose Tage, in denen unendlich viel Zeit gewesen war, sich auszumalen, wie groß der Drache sein mochte. In seiner Vorstellung jedenfalls wuchs das Ungeheuer täglich.