Hornbori hörte Waffen klirren. Sviur kam nicht allein. Bestimmt brachte er einige Totschläger mit, die dafür sorgen würden, dass seine Drohungen wahr wurden.
Hornbori kurbelte weiter. Unendlich langsam, so schien es ihm, glitt der Metallschlitten über die Führungsschiene.
Gleißendes Licht löschte alle Farben. Hitze brandete über sie hinweg. Feuer prasselte in den Wald. Hornboris Augen tränten. Seine Haut spannte sich. Es stank nach verbranntem Horn. Sein Bart schwelte. Aber er ließ die Kurbel nicht los!
»Weitermachen«, sagte Nyr, erstaunlich ruhig, so als sei das alles nur eine Übung.
Links von ihnen stand der Wald in Flammen. Sviurs Rufe waren verstummt. Baumstämme zerbarsten in der Hitze des Drachenfeuers.
Hornbori sah, wie Galar von einem armlangen Splitter getroffen wurde. Der Baumeister kurbelte noch einige Herzschläge lang, dann sackte er vornüber.
»Nicht aufhören«, murmelte Nyr. Er peilte über die Führungsschiene und begann an den Kurbeln zu drehen, mit denen die Drachenflitsche ausgerichtet wurde. Er war völlig in seine Arbeit versunken.
»Ein bisschen tiefer noch. Noch etwas …«
Eine lange Schraube hob den hinteren Teil der Drachenflitsche langsam höher.
»Noch etwas. Er kommt genau auf uns zu. Gleich …«
Hornbori traute seinen Ohren nicht. Er hielt inne und spähte durch das tote Geäst. Der weiße Drache hatte seinen Fressplatz verlassen. Dunkelrotes Blut rann über seine Schuppen und er taumelte ein wenig. Dann bog er seinen geschuppten Hals zurück. Es sah aus, als atme er tief ein.
»Ja, tue es«, murmelte Nyr.
Der Schlitten rastete mit einem Klacken ein.
»Los, tu es! Reiß dein Maul auf und spuck noch einmal Feuer!«
Hornbori ließ die Kurbel los. Der Geschützmeister war irre geworden. Wenn dieses Monster noch einmal Feuer spie, waren sie tot. Gegrillt, so wie Sviur und seine Leibwächter.
Er wandte sich ab und wollte davonlaufen, als etwas nach seinem Fuß griff. Er strauchelte und fiel zu Boden.
»Schön hiergeblieben, Drachenjäger«, stöhnte Galar. »Das ziehen wir gemeinsam …«
Den Rest des Satzes verstand Hornbori nicht mehr. Die Stimme seines Kameraden ging in einem infernalischen Fauchen unter.
Die Maske fällt
Gonvalon lauschte auf das Horn, das voraus im Dunkel erklang. Das Signal schien vom vordersten der Wolkensegler zu kommen. Die drei Himmelsschiffe flogen leicht versetzt zueinander in einer Reihe. Zwischen jedem der Wolkensammler lag ein Abstand von etwas mehr als fünfhundert Schritt, schätzte er. Das Licht der Zwillingsmonde verwandelte die Schiffe in schwarze Silhouetten vor dem Nachthimmel.
Murrend erhoben sich einige der Schiffer. Gonvalon hatte mit Nandalee und Bidayn auf dem Vordeck übernachtet. Ebenso wie die Mannschaft. Es gab wohl auch kleine Kabinen an Bord, aber man hatte ihnen einen eigenen Raum verweigert, obwohl er bereit gewesen war, dafür mit Gold zu zahlen. Anfangs hatte er es für verschroben gehalten, dass man ihnen ein vernünftiges Quartier verwehrte. Er hatte überlegt, ob sie als Fremde von zu niederem Stand waren und ihnen nach der verdrehten Logik des Großen Hauses einfach keine eigene Kabine zustand – ganz gleich, wie viel sie dafür zu bezahlen bereit waren. Inzwischen war er zu der Überzeugung gelangt, dass es gar keine Quartiere gab, sondern nur Laderäume.
An Deck waren sie durch den riesigen Leib des Wolkensammlers vor Regen geschützt. Die Nächte waren angenehm warm. Der größte Teil der Mannschaft verhielt sich zum Glück zurückhaltend. Nur ein oder zwei Gaffer störten. Viel beunruhigender fand Gonvalon das riesige Tier, das dieses Schiff trug. Nie zuvor hatte er so etwas gesehen. Hunderte von Tentakeln umklammerten den mächtigen Schiffsrumpf. Ständig war irgendwo etwas in Bewegung. Manchmal troff Schleim von den Fangarmen. Einmal hatte ihn ein kaum fingerdicker Tentakel im Schlaf berührt.
Nandalee hingegen ließ diese Kreatur völlig kalt.
Gonvalon hatte Bidayn nicht erzählt, was mit ihr Freundin geschehen war, denn allein schon die Kreatur, die das Schiff trug, ängstigte Bidayn zu Tode. Ständig verkroch sie sich zwischen den Frachtballen. Drei Tage hatte sie kein Auge zugetan, bis sie heute Morgen völlig erschöpft eingeschlafen war.
Wieder erklang das Horn.
Er kniete sich neben Nandalee nieder und berührte sie sanft an der Schulter. Die Elfe war sofort hellwach.
»Bitte weck Bidayn. Irgendetwas geht vor. Wir sollten auf der Hut sein.«
Für einen Herzschlag lang lag ein grünlicher Schimmer in ihren Augen. Diese Besessenheit war unheimlich. Wohin würde die Geistgestalt sie bringen? Seit dem Gespräch in der Karawanserei hatte sie keinen Kontakt mehr zu ihm aufgenommen.
Nandalee ging zu Bidayn, die zwischen zwei Frachtballen in ihren Umhang eingemummt schlief. Behutsam rüttelte sie ihre Freundin wach und flüsterte ihr etwas zu. Bidayn wirkte benommen und hatte offensichtlich Schwierigkeiten zu begreifen, wo sie war. Nandalee ging sehr behutsam mit ihr um. Sie streichelte sie, versuchte ihr die Angst zu nehmen. So hatte Gonvalon sie noch nie gesehen. Diese Nandalee war ganz anders als die wilde Jägerin aus dem ewigen Eis. Nein, dachte er dann, dieser Grüne Geist war ganz anders als Nandalee. Er mochte die sanfte Art des Wesens, aber er wollte den wilden Geist der Jägerin zurück. Wenn er doch nur …
Wieder hörte er in der Ferne das Signalhorn. Die Wolkenschiffer versammelten sich auf dem Vordeck. Die meisten von ihnen waren jetzt bewaffnet. Ein groß gewachsener Mann trat vor. Er war Gonvalon bereits zuvor aufgefallen, und da ihm die anderen Menschenkinder mit Respekt begegneten, vermutete der Elf, dass es sich um den Kommandanten des Luftschiffes handeln könnte. Der Mann hatte dichtes schwarzes Haar und ein schmales Gesicht, das durch seinen langen Bart noch betont wurde. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, die Wangen waren eingefallen. Er hatte etwas Asketisches an sich, wie Gonvalon fand.
»Eure Reise endet nun, Fremder. Ich biete dir ein Goldstück für jede deiner Töchter und verspreche dir, dich in der nächsten Stadt, in der wir ankern, ziehen zu lassen.«
Gonvalon sah aus den Augenwinkeln, wie Nandalee die Verschnürung, die ihr Reisigbündel zusammenhielt, aufknüpfte. Sie hatte bereits die Stoffstreifen von den Bogennocken gestreift. Ein paar Augenblicke noch und sie wäre kampfbereit. Aber niemand beachtete Nandalee und Bidayn. Alle sahen nur ihn an, als hinge alles von ihm ab.
Gonvalon hob in hilfloser Geste die Hände. »Ich kann doch nicht meine Mädchen verkaufen. Was für ein Vater wäre ich da!« Er sprach in weinerlichem Ton.
Sie waren jetzt umringt von einem Dutzend Männern mit Bronzeschwertern, Äxten und Keulen. Die meisten von ihnen grinsten.
»Du bist wirklich ein Dummkopf!« Der Wortführer der Himmelsschiffer seufzte. »Wir brauchen Frauen in der Wolkenstadt. Dich brauchen wir nicht. Ich kann dir versprechen, dass es ihnen dort gut gehen wird. Besser als irgendwo anders auf Nangog. In der Wolkenstadt werden Kinder geboren. Nur dort!«
»Kann ich nicht mitkommen in die Wolkenstadt?«
Der Dunkelhaarige zog seinen Dolch, ohne den Blick von ihm abzuwenden. »Nein. Du hast dem Hüter der Feuer deine Treue gelobt. Kein Mann kann zwei Herren dienen und wir wollen niemanden, der dem Unsterblichen Muwatta nahesteht, in unserer Stadt. Dein Weg endet hier. Doch du sollst in der Gewissheit sterben, dass es deinen Töchtern gut gehen wird.«
»Wollen wir anfangen?«, fragte Nandalee auf Elfisch.
Etwas an dem Tonfall ihrer Stimme schien den Wortführer der Wolkenschiffer zu verunsichern. »Was sagt sie? Was war das für eine Sprache?«
»Sie hat noch einen dritten Vorschlag gemacht. Ihr werft eure Waffen über Bord und wir lassen euch am Leben. Was hältst du davon?«