Der Wolkenschiffer runzelte die Stirn, dann lächelte er. »Wir sind mehr als vierzig gegen einen bartlosen Wilden und zwei Weiber. Was sollten wir da wohl befürchten? Am Ausgang dieses Kampfes besteht kein Zweifel. Bevor sie unter das Beil kommen, gackern Hühner immer am schönsten.«
Gonvalon verneigte sich. »Ich stimme dir zu, Menschensohn. Am Ausgang dieses Kampfes besteht in der Tat kein Zweifel.« Der Elf zog Langschwert und Jagdmesser.
Nandalee zerrte den riesigen Zweihänder zwischen dem Reisig hervor.
Der Dunkelhaarige hatte Mut. Statt zurückzuschrecken, stürmte er vor, schlug eine Finte und versuchte einen Stich in die Kehle. Gonvalon lenkte den Angriff zur Seite und rammte dem Menschensohn seinen Dolch in den Magen. Er stieß die Klinge hoch unter die Rippen, drehte sie leicht. Warmes Blut sprudelte über seine linke Hand. Die braunen Augen des Mannes weiteten sich ungläubig. Er riss den Mund auf, brachte einige unzusammenhängende Laute hervor und rief dann überraschend deutlich – Bogenschützen!
Gonvalon befreite seine Klinge, duckte sich unter einem Knüppelhieb. Er konnte die Krieger um sich herum spüren. Es war keine Magie! Und doch schienen seine Sinne erweitert. Er tanzte den Klingentanz, den er in der Weißen Halle gelehrt hatte. Kämpfte ohne Zorn. Zog das Schwert über eine Kehle. Lenkte einen Stich so ab, dass er einen anderen Menschensohn an seiner statt traf. Duckte sich tief, stieß den Dolch in ein Fußgelenk und spürte Knochen und Knorpel an der Klinge entlangschrammen.
Flüchtig sah er zu Nandalee. Sie focht ohne Eleganz. Der riesige Zweihänder Todbringer war die falsche Waffe für sie! Ihm war unbegreiflich, warum sie dieses Schwert gewählt hatte. Sie schwang es wie eine Sense. Und er musste ihr zugestehen, sie focht effektiv. Ja, sie verbreitete mehr Schrecken als er. Todbringer trennte ganze Glieder ab, Sterbende krochen schreiend von ihr fort. Ein Mann hielt seinen Arm fest, während er verblutete, so als bestünde Hoffnung, dass das Glied ihm noch einmal anwachsen könnte.
Ein Pfeil schlug dicht neben Nandalee ins Deck. Sieben Bogenschützen hatten sich inzwischen in der Takelage postiert. Gonvalon bewegte sich so, dass er kein Ziel bot, dass immer Menschenkinder zwischen ihm und den Schützen standen. Zweimal hatten die Bogner bereits Kameraden getroffen und waren vorsichtig geworden. Nandalee hingegen war ein gutes Ziel. Ihr kreisendes Schwert hatte einen Bannkreis geschaffen, den keiner der Menschensöhne mehr zu betreten wagte. Dieses verfluchte Schwert! Hätte sie nur auf ihn gehört! Oder wenigstens Nodon, den er beschworen hatte, ihr nicht diese Klinge mitzubringen. Dass Nandalee noch nicht getroffen worden war, grenzte an ein Wunder.
Bidayn stand mit dem Rücken zu einer Frachtkiste. Sie hielt ihren Dolch in der Hand. Vor ihr lag ein toter Menschensohn. Die Elfe zitterte am ganzen Leib und es sah nicht so aus, als würde sie noch weiter am Kampf teilnehmen.
»Zurück!«, rief da ein dicker Kerl mit hängenden Wangen. »Zurück!«
Gonvalon war klar, dass auch er zur Zielscheibe würde, sobald er allein stand. Er eilte an Nandalees Seite und zog sie in Deckung hinter die Kisten auf dem Vordeck. Keinen Augenblick zu spät – ein Pfeil schoss so dicht an seinem Hals vorbei, dass er den Luftzug spürte.
Nandalee sah schrecklich aus! Sie war über und über mit Blut bedeckt.
»Runter mit dir«, rief er Bidayn zu, die immer noch an ihrer Kiste stand. »Zieh den Kopf ein!«
Doch die Zauberweberin hörte ihn nicht. Stattdessen schien ihr Zittern immer schlimmer zu werden.
Nandalee nahm ihren Bogen und zog die Sehne auf. »Kümmere dich um Bidayn!«
Überrascht registrierte Gonvalon, dass sie ganz selbstverständlich das Kommando übernommen hatte. Er erhob sich aus der Deckung. Zwei Pfeile verfehlten ihn um mehr als einen halben Schritt – auf den seitlich aus dem Schiffsrumpf strebenden Masten gab es kleine Plattformen, auf denen die Bogenschützen einen sicheren Stand fanden. Zum Glück waren sie keine sonderlich guten Schützen.
Der größere Teil der Besatzung war inzwischen in die Takelage geflohen. Niemand stellte sich ihm mehr in den Weg. Einem tödlich Verwundeten, der vor ihm davonkroch, versetzte er im Vorübergehen einen Hieb mit der Breitseite des Schwertes, sodass er bewusstlos auf Deck sank. Er tat das so beiläufig, wie er atmete. Seine Konzentration galt den Bogenschützen. Er konnte spüren, dass drei auf ihn zielten.
Ein Schrei. Nandalee hatte ihre Arbeit begonnen! Gonvalon duckte sich unter einem Pfeil, und endlich erreichte er Bidayn. Sie stand noch immer aufrecht vor der Kiste.
»Du musst Deckung suchen.« Er hatte keinerlei Verständnis für ihr Versagen! Sie war zum Kampf ausgebildet worden. Sie war eine kostbare Waffe der Himmelsschlangen. Doch nun, da es darauf ankam, schien sie alles vergessen zu haben.
»Ich … kann nicht«, stieß sie mit zittriger Stimme hervor. Sie presste ihre Linke seitlich auf den Bauch. Dicht über der Hüfte. »Haben … mich … getroffen. Es tut mir leid.«
Gonvalon sah das viele Blut und schämte sich, Bidayn so falsch eingeschätzt zu haben. Vorsichtig schob er ihre Hand zur Seite. Sie schrie auf. Ein weiterer Pfeil hatte sie gestreift und eine blutige Schramme auf ihrer Wange hinterlassen.
»Du musst hier fort«, drängte er. »Ich werde dich tragen.«
»Geht … nicht.« Sie deutete auf einen abgebrochenen Pfeil zu ihren Füßen. »Ich … wollte ihn herausziehen.« Sie rang um jedes Wort. »Ist abgebrochen …«
Gonvalon begriff. Er fluchte leise. Der Pfeil hatte sie gegen die Kiste genagelt. Und beim Versuch, ihn aus der Wunde zu ziehen, hatte sie ihn zerbrochen. Er richtete sich auf, um sie mit einem Körper gegen weiteren Beschuss abzuschirmen. Hastig blickte er über die Schulter zu den Masten. Die Mehrzahl der Bogenschützen war damit beschäftigt, Deckung zu suchen. Nandalee hingegen stand aufrecht mitten auf dem Deck. Ein Pfeil lag auf der Sehne, doch sie hatte den Bogen nicht gespannt. Sie wirkte furchteinflößend, so gelassen, wie sie dort stand. Zutiefst davon überzeugt, dass kein Pfeil der Gegner sie treffen würde.
Gonvalon legte seine Hände auf Bidayns Schultern. Er war sich bewusst, dass der abgebrochene Schaft in der Wunde die Blutung verminderte, aber so konnte sie nicht hier stehen bleiben. Bald würde man auf den anderen Wolkenschiffen bemerken, dass hier etwas nicht stimmte. Dann bekämen sie es mit noch mehr Bogenschützen und Entermannschaften zu tun. Sie mussten fort von hier! Aber wie floh man von einem Segler, der mehr als tausend Schritt hoch flog?
»Du musst jetzt die Zähne zusammenbeißen, Bidayn.«
»Bist du sicher … Ich … Ich hatte Angst, ich würde verbluten, wenn …«
»Vertrau mir«, sagte er zärtlich und strich ihr über die blutverschmierte Wange. Er war sich keineswegs sicher, die richtige Entscheidung zu treffen, aber hier konnte er sie nicht stehen lassen, das stand fest. »Leg deine Arme um mich, ganz fest. So wie an dem Abend am Lagerfeuer, als das Erdbeben uns erschreckt hat. Ich werde dich beschützen.«
Sie sah ihn mit tränenschweren Augen an. Dann schlang sie die Arme um ihn und hielt ihn wie eine Ertrinkende, die um ihr Leben fürchtete.
Gonvalon zog sie zu sich heran. Bidayn stieß einen halb unterdrückten Schrei aus – dann sackte sie in seinen Armen zusammen. Aus der Kiste hinter ihr ragte der blutige Pfeilschaft. Er war aus schlechtem Holz gefertigt und übel gesplittert. Vielleicht schon beim Aufschlag. Sollten Splitter in der Bauchwunde stecken, würde sie nicht überleben!
Wie er befürchtet hatte, blutete ihre Wunde jetzt stärker. Bidayn war ohnmächtig geworden. Vorsichtig legte er sie auf das Deck. Er war nie ein besonders guter Heiler gewesen. Selbst wenn er seine Zauberkräfte nicht verloren hätte, würde er ihr nicht helfen können.
Gonvalon riss einen Streifen vom Saum ihres Hemdes, zupfte die losen Fasern fort, knüllte ihn zusammen und presste ihn fest auf die Wunde. Er war sich bewusst, dass die Gefahr für eine tödliche Entzündung noch größer wurde, indem er Stofffetzen in die Wunde stopfte. Aber wenn er nichts unternahm, würde sie innerhalb der nächsten halben Stunde verbluten.