Выбрать главу

»Ihr bleibt noch hier«, sagte Artax zu Juba. »Ich regele das alleine.«

Der Kriegsmeister seufzte, sagte aber nichts.

Artax hatte, nachdem er vom Rücken des Wolkensammlers hinabgestiegen war, jene Rüstung angelegt, die ihn als einen Unsterblichen kenntlich machte. Den prächtigen Maskenhelm und Leinenpanzer, den angeblich keine Waffe zu durchdringen vermochte. Er trat auf das Hauptdeck. Noch immer war keiner der Angreifer in die lange Kajüte eingedrungen oder durch die Luken zu den Frachträumen hinabgestiegen. Niemanden an Deck zu sehen war ganz augenscheinlich eine Situation, die die Himmelspiraten verunsicherte.

»Und was geschieht mit denen, die deine Freiheit nicht wählen? « Artax’ Ohren dröhnten ihm von seiner Stimme, die blechern im Helm widerhallte.

»Wer bist du, Silberkopf?«, fragte der Bartlose mit dem roten Stirnband. Er hatte eine dunkle, sympathische Stimme. Ein Teil der Entermannschaft umringte ihn schützend.

Das selbstbewusste Auftreten des Anführers der Piraten ärgerte Artax. Erkannten sie denn nicht, wer er war? Auf der anderen Seite – wer sollte mit Unsterblichen auf einem heruntergekommenen Frachtschiff irgendwo über der Wildnis von Nangog rechnen? »Ich bin der, der hier über Leben und Tod entscheidet.« Ein Donnerschlag unterstrich seine Worte. Der Wind zerrte so stark an seinem Umhang, dass die Brosche unangenehm auf seinen Hals drückte.

Der Bartlose wirkte erstaunt. »Bist du ein Satrap?«

»Ich bin der Unsterbliche Aaron, Herrscher aller Schwarzköpfe. Und ich biete dir dein Leben, wenn du dein Schwert niederlegst. Sofort!«

Nur die Nächststehenden konnten ihn im Sturmgebrüll verstehen.

»Du bist ein Lügner«, entgegnete der Pirat selbstsicher.

Artax überging seine Worte. »Werde ich auch deinen Namen erfahren?«

»Ich bin Tarkon Eisenzunge, der Freiheitsbringer. Feind der Tyrannen und Unterdrücker. Und du bist ein toter Mann!« Mit diesen Worten griff er an.

Der Axthieb war von unten geführt. Artax versuchte auszuweichen, wurde jedoch an der Wange getroffen. Der Maskenhelm dröhnte, dass ihm die Ohren klangen. Über den metallischen Glockenlaut hinweg hörte er die Kriegsrufe seiner Kämpfer.

Artax sah die Panik in Tarkons Augen. Der Pirat hatte begriffen, dass er in eine Falle gegangen war. »Zurück, Männer! Zurück auf das Schiff! Und kappt die Enterseile!« Der Sturmwind war ein wenig abgeflaut und seine dunkle Stimme trug weit über Deck.

Artax setzte Tarkon Eisenzunge nach. Um seine Klinge ein unheimliches blassgrünes Licht. Es wirkte lebendig und pulsierte im gleichen Rhythmus wie sein Herz!

Tarkon stieß ein erschrockenes Keuchen aus. Geschickt wich er dem Schwert aus und verschaffte sich mit einem wuchtigen Axthieb Raum. Ein Pfeil traf den Unsterblichen in der Brust. Das Geschoss vermochte die Rüstung der Devanthar nicht zu durchdringen, doch der Aufprall ließ Artax zurücktaumeln. Weitere Pfeile gingen um ihn herum nieder.

»Packt den hier!«, schrie Tarkon, dem wohl klar geworden war, wie aussichtslos seine Sache war. »Packt ihn, und die anderen werden sich uns ergeben!«

Artax wich einem weiteren Axthieb aus. Er wollte Tarkon lebend! Wollte, dass aus dem Rebellenführer kein Märtyrer wurde. Schon als Bauer hatte er von Tarkon Eisenzunge gehört. Für manche war er ein Held, für andere ein blutdürstiger Irrer, der jeden Gefangenen, der ihm nicht die Treue geloben wollte, dem Wolkentod übergab. Artax war entschlossen, herauszufinden, was die Wahrheit war.

Weitere Piraten eilten an die Seite ihres Anführers, statt sich in die vermeintliche Sicherheit ihres Wolkenschiffes zu bringen.

»Werft ihn nieder! Bringt ihn nicht um!«, beschwor Tarkon seine Männer.

Artax wehrte einen wuchtigen Speerstoß ab, blockte mit der Armschiene einen Messerstich und stieß einem Piraten sein Schwert in den Oberschenkel. Ein weiterer Hieb traf den Maskenhelm. Sie wollten ihm wohl unbedingt den Schädel einschlagen! Artax schwang sein Schwert in weitem Kreis und spürte, dass er gleich mehrfach traf. Sehen konnte er es allerdings nicht. Grelle Lichter tanzten vor seinen Augen. Niemand griff ihn mehr an, stellte er mit Verwunderung fest. Ihm war übel. Er trat zurück. Seine Hand tastete nach hinten, bis er die Kajütenwand fand. Er musste sich daran lehnen, der Boden schwankte unter seinen Füßen – aber immerhin konnte er jetzt wieder klarer sehen, dachte Artax. Ein hünenhafter Krieger drosch auf Tarkon ein. Der Mann sah grässlich aus. Sein Gesicht war eine Maske aus Narben. Artax erinnerte sich an ihn. Er gehörte zu den Piraten. Zu seinen Piraten.

»Lass ihn …« Artax’ Stimme war kaum mehr als ein raues Flüstern. Zu spät. Der Angreifer rammte Tarkon sein Schwert in den Bauch. Eisenzunge entglitt die Axt. Er starrte den Narbigen an, der ihm einen Fuß auf die Brust setzte und sein Schwert mit einer leichten Drehung aus der Wunde zog.

Artax stöhnte auf, als sei er selbst getroffen worden. Er hatte das nicht gewollt! Er hatte mit Tarkon reden wollen! Immer noch benommen torkelte Artax über Deck, kniete sich neben den sterbenden Piraten und nahm seinen Helm ab.

Tarkon Eisenzunge atmete schwer. »Du hast verloren«, keuchte er.

Artax blickte über die Reling. Er sah, wie die Frachtklappen an der Seite des Schiffs der Ischkuzaia aufschwangen und die kleinen Wolkensammler herausschwärmten, die in Fluggeschirren die Himmelskrieger des Reitervolkes trugen. Sie schwangen Enterhaken und zogen sich zur Takelage des zweiten Wolkenseglers hinüber, während Bogenschützen ihnen vom Deck ihres Schiffes Deckung gaben. Es war der Kampf der Himmelspiraten, der verloren war.

Tarkons Züge waren entspannt. Er lächelte sogar!

»Hast du nicht gewusst, dass es so kommen musste? Warum hast du dich nicht ergeben?« Tarkon sterben zu sehen berührte ihn.

Der Himmelspirat lag im Lichtschein eines der Positionslichter. Die kleine Flamme hinter dem milchigen Glas ließ seine Züge weicher erscheinen. »Die Freiheit kann niemals verlieren. Sie wächst immer weiter«, flüsterte er.

Artax lächelte zynisch. »Welche Freiheit hatten die Wolkenschiffer, die deine Männer gefangen genommen haben?«

»Sie hatten die Wahl, Silberkopf. Die meisten sind mit uns gegangen. Und die anderen … Sie haben wenigstens die Wahl gehabt. Das ist mehr, als die Bauern in deinem Reich haben und all die anderen, denen die Geburt den Verlauf ihres Lebens bestimmt. Nangog ist eine neue Welt. Hier kann alles anders sein. Die alten Gesetze müssen hier nicht mehr gelten. Viele denken so …«

»Ich denke ebenso«, entgegnete er traurig. »Wir hätten die Welt gemeinsam verändern können.«

»Du musst einen Sterbenden nicht anlügen, Priestermörder. Einige deiner Tempeldiener haben Zuflucht bei mir gefunden. Sie haben mir viel über dich erzählt. Männer wie du können den Wind der Freiheit nicht ertragen, denn ihr wisst, dass er zu einem Sturm anwachsen wird, der euch aus euren Palästen fegt. Und ihr könnt ihn nicht aufhalten. Er wird kommen. Und mit uns kommen die Grünen Geister!«

Artax lachte auf. »Unmöglich! Die Grünen Geister paktieren mit niemandem!«

Tarkons Augen wurden weit, als blicke er dem Tod bereits ins Antlitz. Dennoch lächelte er. »In unserer Stadt gibt es Kinder! Ich habe zwei Söhne. Die Geister wissen, dass wir ihrer Welt nicht schaden. Wir sind nicht gierig … Wir haben unseren Frieden mit ihnen gemacht.«

Der Unsterbliche blickte auf die große Blutlache. »Du hättest mit mir reden sollen. Dann hättest du aus deinen Söhnen Männer werden sehen.«

»Nicht Männer – Sklaven. So wachsen sie in Freiheit auf. Wenn sie Männer sind, werden sie mein Geschenk zu schätzen wissen.«

»Wir werden eure Stadt finden«, sagte Artax mit Nachdruck. »Sag mir, wo sie ist. Ich kann deine Kinder beschützen. Andere werden mit Feuer und Schwert dorthin ziehen. Ich will das nicht. Ich komme mit ausgestreckter Hand. Ich wollte auch diesen Kampf nicht!«