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Blut rann aus Tarkons Mundwinkel. »Und deshalb bist du mit zwei Schiffen voller Krieger gekommen? Aber unsere Stadt werdet ihr niemals finden! Eure Schiffe werden euch nicht dorthin tragen. Nie …« Seine Hände zitterten. »Ich bin jetzt wie du. Ein Unsterblicher. Ich bin ein Mann, der für seine Überzeugungen gestorben ist. Ein Held. Alle werden meinen Namen kennen. Alle! Und der Wind der Freiheit wird zu einem Sturm anwachsen. Einem Sturm … Ich sehe ihn. Er wird dich …« Seine Augen wurden weit. Er starrte in die Laterne. Der Sturm flaute ab. Die Zwillingsmonde traten hinter den Wolken hervor.

Artax drückte ihm sanft die Augen zu. »Du warst schon zu Lebzeiten unsterblich, auch wenn du es nicht sehen konntest.«

Erspar uns dein Pathos! Schneid ihm die Kehle durch. Er hat dir den Abend mit Shaya verdorben. Dieser Verwirrte hat Glück gehabt. Er hätte in der Goldenen Stadt öffentlich hingerichtet werden sollen. Einer wie er …

Etwas Fleischiges schnellte vom anderen Schiff herüber. Zwei Tentakelarme griffen nach Tarkon und hoben den sterbenden Piraten von Deck. Sein linker Arm schwenkte durch die Luft, sodass es aussah, als winke ihm Tarkon zu.

Eine unheimliche Veränderung ging mit den beiden Wolkensammlern, die die Schiffe von Tarkons Himmelspiraten trugen, vor sich. Dutzende Tentakel lösten ihren Griff von den Rümpfen und peitschten durch die Luft. Ein gebogener Stoßzahn traf einen von Jubas Himmelshütern mit solcher Wucht, dass dem Krieger ein Bein abgetrennt wurde. Andere Tentakel pflückten Shayas Reiter aus ihren Haltegeschirren und schleuderten die schreienden Krieger in die Tiefe.

»Durchtrennt die Enterseile«, schrie Artax und eilte zur Reling. »Bringt die Schiffe auseinander!« Mit einem einzigen wuchtigen Hieb durchtrennte er eines der Seile. Volodi kam ihm mit einer Axt zu Hilfe.

»Holt die Halteleinen ein«, rief Artax über den Kampflärm hinweg. Immer mehr Tentakel griffen sie an und ihre eigenen Schiffe unternahmen nichts, um sie zu verteidigen.

Ängstlich blickte er zu den Kriegern aus Ischkuza. Shaya war mit Sicherheit die Erste gewesen, die das Deck verlassen hatte, um das andere Piratenschiff zu entern. War sie in Sicherheit? Artax sprang auf einen der Masten, die waagerecht aus dem Schiffsrumpf ragten, und balancierte über das nasse Holz. Er sah sie nicht!

Hinter sich hörte er Volodi und Juba Befehle brüllen. Ihr Schiff begann vom Wolkenschiff der Piraten fortzudriften. Holz splitterte, wo sich Masten und Takelage ineinander verfangen hatten. Ein heftiger Schlag ließ den Mastbaum erzittern, auf dem Artax stand. Er griff nach einer Sicherungsleine, die parallel zum Mast lief. Ihr Segler begann zu steigen.

Gellende Schreie hallten durch die Nacht. Die Tentakel des Wolkenschiffes packten seine Männer und schleuderten sie in die Tiefe. Einige Fangarme wanden sich um die Masten. Als wollten sie sein Schiff zurückhalten. Andere hieben auf die Segel und die Takelage ein. Tuchfetzen flatterten wie geisterhafte Vögel in die Dunkelheit davon. Artax duckte sich unter einem Tentakelhieb. Verzweifelt blickte er in die Tiefe zum Wolkenschiff der Ischkuzaia und versuchte Shaya in dem Durcheinander der kleinen Wolkensammler zu entdecken. Deutlich konnte er das Surren der Seiltrommeln hören, mit denen die Halteleinen eingeholt wurden. Hoffentlich hatten sie Shaya zurückgeholt. Hoffentlich …

Entsetzt sah er, wie sich die Flanke des Wolkensammlers, der sein eigenes Schiff angriff, öffnete. Ein fleischiger Mund klaffte plötzlich dort, wo eben nur schleimbedeckte Haut gewesen war. Dutzende kleinerer Fangarme wogten um die Öffnung, als tanzten sie nach einer für Menschen unhörbaren Melodie. Was bei den Göttern geschah dort?

Tarkon wurde zu dem Mund emporgehoben. Ein geisterhaft grünes Licht umfing ihn, als er in den Schlund geschoben wurde. Es war kein gieriges Schlingen. So befremdlich die Szenerie auch war, wirkte sie feierlich, friedlich. Artax hatte das Gefühl, Zeuge zu sein, wie ein toter Herrscher bestattet wurde.

Ein Tentakel, der sich kaum einen Schritt entfernt um den Mast schlang, schreckte ihn auf. Das Holz erzitterte unter der Zugkraft des Fangarms.

Ja, geh hin, bekämpfe ihn, raunte die Stimme in seinen Gedanken und Artax wusste, dass es kein guter Rat war. Dennoch hob er sein Schwert. Seine Linke umklammerte die Sicherungsleine. Zoll um Zoll schob er sich auf dem nassen Holz vorwärts. Der Mast unter ihm knirschte immer bedrohlicher. Kurz dachte er an einen Bogen, der gespannt wurde.

Mit aller Kraft stieß er zu. Die magische Klinge durchdrang den Fangarm und stieß bis ins Mastholz hinab. Der Tentakel zuckte und wand sich, sodass die Wunde noch größer wurde. Das Fleisch des Wolkensammlers warf Blasen, als würde es mit einem glühenden Eisen verbrannt. Zäher schwarzer Rauch strömte aus der Wunde. Schließlich kam der Fangarm frei. Er schnellte zurück. Der Wolkensammler zog all seine Tentakel zurück. Dabei stieß er ein leises, aber durchdringendes Zischen aus.

Das Himmelsschiff der Piraten sackte tiefer, als gäbe der Wolkensammler sich größte Mühe, aus Artax’ Reichweite zu gelangen. War es die Magie seiner Waffe, die dieses gewaltige Ungeheuer bezwungen hatte? Sprachlos blickte Artax dem schwindenden Wolkenschiff nach.

Shayas Schiff war immer noch in einen verzweifelten Kampf verwickelt. Die meisten der kleinen Wolkensammler, die Krieger zum Entermanöver getragen hatten, waren eingeholt worden. Einige klammerten sich seitlich an den Leib der riesigen Kreatur, die das Schiff trug. Etliche Fangarme des Piratenschiffes griffen in die offenen Frachträume, aus denen die kleinen Flieger aufgestiegen waren, und Artax sah, wie Wolkenschiffer in die Tiefe geschleudert wurden. Nirgends vermochte er Shaya zu entdecken. Die Takelage ihres Schiffes hing in Fetzen. Von den acht Hauptmasten waren drei zersplittert. Ihr Schiff würde vollständig zerstört werden, wenn er nichts unternahm.

Ein verzweifelter Gedanke keimte in ihm. Vielleicht könnte er ja auch das zweite Schiff vertreiben, wenn es ihm nur gelingen würde, einen der Tentakel anzugreifen? Er kletterte weiter den Mast entlang, duckte sich unter schlagenden Segelfetzen hinweg und ließ dabei keinen Herzschlag lang Shayas Schiff aus den Augen. Es glitt unter seinem Wolkenschiff hinweg, während sein Schiff immer höher stieg. Artax schob sein Schwert in die Scheide. Es war nicht gut hinabzublicken. Es war so entsetzlich tief. Sein Mut sank. Er dachte an all die wunderbaren Stunden, die er mit Shaya verbracht hatte. An seine Träume, sie eines Tages in seinen Palast zu holen.

Genau, wir finden auch, wenn du ihr nicht zu Hilfe eilst, verrätst du all deine Ideale.

Auf diese innere Stimme zu hören war falsch. Artax wusste das genau. Aaron und die anderen hofften auf seinen Tod. Sie wollten ihn dazu aufstacheln, eine Dummheit zu begehen. Doch dieses eine Mal hatten sie fast recht. Er würde zwar nicht seine Ideale, dafür aber seine Träume verraten, wenn er nicht alles wagte. Er musste Shaya finden! Vielleicht lag sie längst zerschmettert im Urwald tausend Schritt unter ihnen, doch auch wenn die Hoffnung noch so gering war – er musste es wagen, es zumindest versuchen. Oder er würde nie mehr in seinem Leben Frieden finden. Jetzt!, dachte er.

Mit einem verzweifelten Schrei sprang Artax in die Tiefe.

Sein Sturz schien endlos zu währen. Waren es fünfzig Schritt? Oder mehr? Er schlug auf die Oberseite des Wolkensammlers auf. Das aufgedunsene Gewebe gab unter ihm nach. Es war, als schlage man mit der Faust auf einen halb vollen Weinschlauch, nur dass die Haut des Wolkensammlers viel weicher und nachgiebiger als Leder war.

Bitterer Schleim drang ihm in Mund und Nase. Er prustete und spuckte. Benommen kämpfte Artax sich hoch. Ihm zitterten die Knie, doch die Sorge um Shaya peitschte ihn voran. Er tastete nach einer der Sicherungsleinen, die sich wie ein großes Netz über die Oberseite des Wolkensammlers spannten. Immer noch würgte er Schleim heraus, als er eines der Seile fand. Geduckt, eine Hand immer am Seil, eilte er zur Flanke der riesigen Kreatur. Zwar hatten seine heimlichen Treffen mit Shaya seine Fähigkeiten als tollkühner Kletterer zwischen Himmel und Erde deutlich verbessert, doch Regen und Schleim machten es schwer, einen sicheren Halt zu finden. Dennoch zögerte er keinen Herzschlag, sich entlang der Flanke des Wolkensammlers abzuseilen.