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Ein Stück entfernt machten Volodi und Kolja sich aus ihren Fluggeschirren los. Artax hörte dürres Geäst brechen; ein dickerer Ast folgte mit einem scharfen Knall. Jemand purzelte durch einen Baum hinab. Ein dumpfer Schlag. Dann Stille. Schließlich erklang eine gepresste Stimme. »Ist sich alles gut. Bäume sind groß.«

Artax tastete nach den Schnallen des Fluggeschirrs. Ließe er sich herunterhelfen, würde er sein Gesicht verlieren. Es war schon schlimm genug, dass er an Bord des Wolkenschiffes ohnmächtig geworden war, als die anderen zu den kleinen Wolkensammlern gingen. Als Anführer sollte er voranschreiten.

»Seid bloß vorsichtig, Herr. Diese Bäume sind sehr hoch«, mahnte ihn Nabor.

Aber es waren nicht die Bäume, die Artax Sorgen machten. Die Grünen Geister waren vielleicht eine Meile entfernt. Er musste seine Leute von hier fortbringen – und das schnell!

Die letzte Schnalle öffnete sich. Artax konnte nicht wirklich sehen, was unter ihm war. Alles, was er erkennen konnte, war ein dichtes Blätterdach.

Und Bäume haben an den Spitzen stets dünne Äste. Dazu kennst du doch bestimmt auch eine Bauernweisheit. Wir wünschen dir viel Vergnügen dabei, dich umzubringen.

Artax fluchte und ließ sich fallen. Äste peitschten auf ihn ein. Er griff um sich, versuchte Halt zu finden, doch das Astwerk war nicht einmal fingerdick. Er stürzte tiefer, schlug gegen einen stärkeren Ast und stürzte wieder. Er hatte die Augen geschlossen. Gesplitterte Äste schrammten über sein Gesicht. Er hätte seinen Helm anlegen sollen, statt ihn am Gürtel zu tragen. Er schlug sich das linke Knie auf, wurde halb herumgerissen und stürzte nun mit dem Rücken voran. Der Aufprall presste ihm alle Luft aus den Lungen. Grelle Lichter tanzten vor seinen Augen. Eine Hand wedelte vor seinem Gesicht.

»Sind sich Knochen noch ganz?«

Artax war noch immer benommen. Sein Brustkorb fühlte sich an, als sei ein Elefant auf ihn getreten. Stöhnend setzte er sich auf.

»Sind härter wir als Bäume, nicht?« Volodi packte ihn beim Arm und zog ihn hoch. »Sind wir nicht nix allein.« Er deutete auf den bewaldeten Hang. Zwischen den mächtigen Baumstämmen glomm ein blasses grünes Licht.

»Da ist sich Höhle. Kolja ist sich hin.«

»Hol ihn zurück!« Artax fluchte innerlich. Die Grünen Geister waren also schon hier. Er dachte an das Dunkle Tal. An die Schrecken, die dort lauerten. Er war sich ganz sicher, dass die Grünen Geister und die finstere Magie dort von Nangog gekommen waren. Und er wusste, dass nur er allein sich dem entgegenstellen konnte.

»Hol Kolja zurück! Ich sehe mir die Höhle an. Ihr helft den anderen aus den Bäumen. Wir müssen hier schnell verschwinden. Du hast auf dem Flug sicherlich auch die Grünen Geister gesehen. Wenn sie uns einholen, sind wir tot. Wir müssen schnell machen!«

»Aber ist sich nicht klug, haben Mann in Rücken in Gefahr?«

Artax schnallte den Maskenhelm von seinem Gürtel. »Manchmal ist man stärker allein. Geh nun. Hilf den anderen.«

Volodi sah ihn missbilligend an, doch dann entfernte er sich.

Artax misstraute dem Drusnier. Er erwartete keinen Verrat von Volodi und ganz gewiss war er auch kein Feigling. Aber er war nicht so loyal wie Juba. Niemand würde ihm Juba je ersetzen können.

Kurz dachte er daran, darauf zu warten, dass Shaya den Erdboden erreichte, doch dann entschied er sich dagegen. Er wollte sie keiner unbekannten Gefahr aussetzen. Er verfluchte sich für den Einfall, ganz allein zu seinem Vergnügen zu dieser Reise aufgebrochen zu sein. Die Himmelspiraten hatte er nie finden wollen. Es war ihm nur um die Nächte mit Shaya gegangen. Juba war tot, weil er, Artax, bei der Prinzessin hatte liegen wollen!

Voller Zorn zog der Unsterbliche sein Schwert. Blassgrünes Licht floss über die Klinge. Was auch immer ihn in der Höhle erwartete – er würde sich ihm stellen.

Der nasse Waldboden schmatzte unter seinen Schritten. Er war zerwühlt, als sei ein ganzes Heer hier vorübermarschiert. Manchmal hatte er den Eindruck, dass sich die Wurzeln der Bäume bewegen. Natürlich war das Unsinn. Wurzeln bewegten sich nicht. Jedenfalls nicht so, dass man es mit bloßem Auge sehen konnte. Es war das Spiel von Mondlicht und Schatten, das ihn täuschte, dachte er.

Je näher er der Höhle kam, desto kühler wurde es. Artax konnte die Macht spüren, die von diesem Ort ausging. Ein Prickeln lief ihm über die Haut und der Magen zog sich zusammen. Vielleicht wäre es klüger, nicht dort hineinzugehen. Aber er musste die Gefahr kennen, die ihnen drohte, wenn er die Seinen beschützen wollte. Er hatte keine Wahl.

Du bist der Unsterbliche. Du hast immer die Wahl, Bauer. Schick einen der drusnischen Trottel in die Höhle. Die beiden sind entbehrlich.

»Ich dachte, das bin ich auch«, sagte er leise.

Entschlossen trat er durch den Eingang und blieb wie versteinert stehen. Nie zuvor hatte er etwas so Prächtiges gesehen. Die Wände waren über und über mit grünen Edelsteinen bedeckt, in denen lebendes Licht gefangen zu sein schien. Die Höhle war nicht sehr groß. In ihrer Mitte erhob sich eine schräg aus dem Boden wachsende Kristallsäule. Artax blinzelte gegen das Licht an. Dort lagen drei Gestalten, mit den Köpfen zur Säule hin. Die Arme ausgestreckt, berührten sie den Kristall. Sie schliefen!

Vorsichtig trat er näher. Alle drei trugen abgerissene, schäbige Kleidung. Einfaches Wollzeug und billiges Leder. Drei Frauen. Ihre Gesichter waren hell und von ebenmäßiger Schönheit. Sie mussten sehr jung sein. Keine einzige Falte zeigte sich in ihren Gesichtern.

Sie waren erstaunlich schwer bewaffnet! Frauen mit Schwertern und langen Dolchen waren ihm – von Shaya einmal abgesehen – noch nicht begegnet. Wie Prinzessinnen sahen diese drei nicht aus. Obwohl sie schliefen, hatten sie etwas Bedrohliches.

Artax kniete neben dem schwarzhaarigen Mädchen nieder. Sie war kleiner und zarter gebaut als die beiden anderen. Etwas unter ihren Kleidern bewegte sich. Eine Maus? Der Stoff wölbte sich auf. Blutiges Wurzelwerk, groß wie eine Faust, quoll durch einen Riss über ihrer Hüfte unter ihrem Gewand hervor.

Erschrocken wich Artax zurück. Was für Kreaturen waren das? Sein Blick fiel auf das riesige Schwert, das neben einer der beiden blonden Frauen lag. Etwas daran …

DAS SIND ELFEN!

Artax fuhr zurück. Nie hatte Aaron in ihm einen solchen Aufschrei getan. Er versuchte, die Macht über seinen Körper an sich zu reißen. Deutlich sah Artax den Angriff der Elfe auf den unsterblichen Aaron. Wie sie von ihrem fliegenden Pferd gesprungen war und die Himmelshüter niederhieb, die sich ihr in den Weg stellten. Das schlafende Mädchen sah seiner Mörderin in der Tat ähnlich. Dieses ebenmäßige Gesicht! Ihr Haar hatte einen anderen Blondton, doch sonst …

Es ist das Schwert! Es ist meine Mörderin, glaub es mir. Sie hat sich von den Toten erhoben! Ich erkenne ihre Waffe. Niemand sonst besitzt ein solches Schwert, groß wie ein Mann. Das ist die Klinge, vor der ich geflohen bin! Du musst den Elfen die Kehlen durchschneiden. Es sind Daimonenkinder. Sie kommen aus der Anderswelt, um uns zu töten. Schnell! Wenn sie erst erwachen, werden sie dich umbringen! Sie sind hier, um uns zu holen. Sie wollen unseren Tod. Nicht nur körperlich. Sie wollen uns ganz und gar vernichten, auch unsere Seelen! Deshalb ist die Mörderin zurückgekehrt. Die Grünen Geister haben sie ins Leben zurückgeholt.

Artax glaubte ihm nicht. Er hatte die tote Elfe lange betrachtet. Diese hier waren anders. Aber es schien wirklich das Schwert zu sein, das er über Bord geworfen hatte. Wie war es hierhergekommen? Und was wollten die drei?

Aarons Stimme in seinem Kopf überschlug sich. Was gibt es da zu überlegen? Die wollen unser Leben! Deshalb haben dich die Wolkensammler hierhergebracht. Die Kreaturen haben dich ausgeliefert. Es geht hier um uns! Geht das denn nicht in deinen verfluchten Bauernschädel, verdammt? Außer uns gibt es hier nichts von Bedeutung! Weshalb sonst sollten sie hier sein?

Es widerstrebte Artax zutiefst, Schlafenden die Kehle durchzuschneiden. Selbst wenn es Meuchler sein mochten. Er hatte siebzig Mann hinter sich. Es sollte keine Schwierigkeiten bereiten, die drei gefangen zu nehmen.