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Ha!, dachte Artax. Am Ende all der Beleidigungen Aarons stand zumindest ein kleiner Sieg. Sein Quälgeist war hilflos und verzweifelt. Schön, dass die Aarons dieses Gefühl auch einmal kennenlernten.

»Brauchst du Gesellschaft?« Shaya stand im Eingang zu Höhle. Misstrauisch betrachtete sie die Kristalle und die geisterhaften Lichter darin. »Deine beiden drusnischen Totschläger halten Wache am Eingang und verscheuchen jeden, der auch nur in die Nähe der Höhle kommt. Das machen sie jedes Mal, wenn du dich hierher zurückziehst.«

»Und du durftest hinein?«

»Volodi hat nach mir gesucht. Er macht sich Sorgen um dich.« Sie sah ihn forschend an. »Gibt es Grund, sich Sorgen zu machen?«

Er lächelte. Es war gut, sie hier zu haben. Artax war überrascht, wie feinfühlig Volodi war. Sie zu schicken war eine gute Entscheidung gewesen. Der Ebermann hatte Shaya geheilt, und ganz gleich, welchen Preis er eines Tages fordern mochte – ihr Leben war ihm alles wert. »Vielleicht sollte man sich um meinen Geschmack, was Leibwächter angeht, Sorgen machen?« Er lächelte.

»In der Tat. Als ich hereinkam, konnte sich das Narbengesicht nicht verkneifen, mich darauf hinzuweisen, diese Höhle sei genau der richtige Ort für Leute, die mit einem goldenen Pisspott unter dem Arsch auf die Welt gekommen seien. Ich kann nicht begreifen, wie du jemanden, der sich solche Frechheiten herausnimmt, in deiner Leibwache dulden kannst.«

»Diese Frechheiten sind das Salz eintöniger Tage.«

Sie schüttelte den Kopf. »Du bist zu leichtfertig!«

Er deutete auf die Kristallwände. »Und das hier beeindruckt dich nicht im Mindesten?«

Sie schenkte dem Zauber der Höhle keinen Blick, sondern sah ihn unverwandt an. »Du weißt doch, dass mein Volk sich nicht viel aus Steinen und Palästen macht. Was ist das hier schon im Vergleich zum Anblick der blühenden Steppe im Frühling? Das ist ein Anblick, der Leben verheißt. Hier um uns herum ist alles tot.«

Er ging auf sie zu, nahm ihre Hand und legte sie auf seine Brust. »Was du hier fühlst, lebt. Mein Herz schlägt für dich. So stark und verzweifelt. Ich muss dich verlassen. In unserer Heimat ist der Mittwinter nahe. Ich muss beginnen, meine Heere zu versammeln, um eine Schlacht zu schlagen, die mir aufgezwungen wird und in der Tausende Krieger sterben werden. Tausende Krieger, die wir nur allzu bald hier auf Nangog brauchen werden, wie es scheint. Und die, an der mir am meisten liegt in meinem Leben, muss ich zurücklassen. Ich bin ein Unsterblicher, einer der sieben Mächtigsten unserer Welt – und meine Entscheidungen liegen in Fesseln. In der Schlacht über den Wolken habe ich diesen Piraten Tarkon Eisenzunge einen Moment lang beneidet, als er von seiner Freiheit sprach.«

Shaya runzelte die Stirn. »Ich beneide niemals Tote!«, sagte sie entschieden. Dann küsste sie ihn. »Lass uns die wenigen Tage, die uns noch bleiben, nicht mit schweren Gedanken vergeuden.«

Artax sah sie verwundert an. Das bevorstehende Massaker schien sie nicht zu berühren. Wie konnten ihr Tausende, die sterben würden, egal sein? Zum ersten Mal wünschte er sich, sie hätte mehr von der Almitra seiner Träume. Almitra hätte sich mit ihm an den Esstisch ihres Bauernhauses gesetzt und die ganze Nacht mit ihm gemeinsam nach einer Lösung gesucht. Aber war es gerecht, Shaya an einer Traumfrau zu messen? Er versuchte seine Enttäuschung zu überspielen und nahm ihre Hände. »Ich werde zu dir zurückkommen. Ganz gleich, ob die Götter unsere Liebe verbieten!«

Sie lächelte. »Ich weiß, denn du bist unvernünftig. Und genau das liebe ich an dir.«

Schulden

Volodi blickte zum Horizont, wo die Abendsonne in einem Himmel aus Blut versank. Fünf Tage hatten sie im Wald bei der Kristallhöhle warten müssen, bis ein Wolkenschiff erschienen war, um sie zu holen. Es war eines der kleinsten Himmelsschiffe des Unsterblichen gewesen. Eines, das kein Aufsehen erregte, wenn es die Goldene Stadt verließ, um zu einer vermeintlichen Patrouillenfahrt aufzubrechen. Dennoch bot es unendlich mehr Luxus als die Kähne, auf denen sie vorher über den Himmel gezogen waren. Es gab große Mannschaftsquartiere, keiner musste an Deck schlafen und das Essen war gut. Dennoch blieb die Stimmung an Bord bedrückt. Sie waren zwar froh, noch am Leben zu sein, aber das Gefühl der doppelten Niederlage ließ sie nicht los. Besiegt von den Piraten und von den Daimonenkindern. Trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit!

Sie alle waren auserwählte Krieger, bewährt in Dutzenden Kämpfen. Aber was zählte das, wenn sie gegen Ungeheuer und Daimonen antreten mussten? Und sie alle ahnten, dass es solche Kämpfe in Zukunft erneut geben würde. Die Daimonen waren Späher gewesen; weitere ihresgleichen würden folgen. Ja, dachte Volodi, die blutroten Wolken am Himmel waren ein Spiegelbild ihrer Zukunft. Die Himmel und Wälder Nangogs würden in Blut getränkt werden. Er seufzte. Im Grunde war es müßig, sich über eine Zukunft den Kopf zu zerbrechen, die er ohnehin nicht ändern konnte.

Seine Gedanken schweiften zu Quetzalli. Er konnte sie einfach nicht vergessen und er wollte nicht glauben, dass sie ihn auf einen Opferstein gezerrt hätte. Sie war so herrlich anders gewesen als alle Frauen, die er kannte. War auf ihn zugegangen, hatte ihn begehrt, und dann hatten sie einander bis zur Bewusstlosigkeit geliebt. Das war doch prima, dachte Volodi. So erfrischend einfach und geradeaus und ohne dieses ständige Gerede. Dass sie ihn wollte, nein, das war sicherlich nicht vorgespielt gewesen. Ebenso wenig wie ihre Liebe zu ihm. Wenn sie einander doch noch einmal wiedersahen, würde er gleich einen Übersetzer dazu holen – nur am Anfang und nur, um ein paar Dinge zu klären.

Volodi dachte an Mitja. Er hatte dem Übersetzer kein Glück gebracht. Ob sich das auf dem Platz der tausend Zungen herumsprechen würde? Würde er jemals wieder einen Übersetzer finden, der für ihn arbeiten wollte? Mitja hatte seinen Platz auf den kleinen Wolkensammlern der Ischkuzaia seiner Tochter überlassen. Während Juba das Mädchen mit Gewalt in ihr Fluggeschirr hatte schnallen lassen, war der Übersetzer zu ihm, Volodi, gekommen. Er hatte ihm erneut das Versprechen abgenommen, sich um das Mädchen zu kümmern und Kolja von ihr fernzuhalten, und er hatte zugesagt. Aber das Mädchen wollte nichts von ihm wissen. Sie gab ihm die Schuld am Unglück ihres Vaters. Verübeln konnte er ihr das nicht. Wieder seufzte er, denn er wusste beim besten Willen nicht, was er mit ihr anfangen wollte. Im Palast bleiben wollte sie nicht, aber in der Goldenen Stadt konnte er sie kaum beschützen.

»Hochnäsiges Arschloch verdammtes …« Kolja kam zu ihm herüber, lehnte sich an die Reling und spuckte über Bord.

Volodi kam eine Ablenkung von seinen düsteren Gedanken gerade recht. Kolja war im Moment zwar keine gute Gesellschaft, aber immer noch besser als gar keine Gesellschaft. Es ging seinem Kameraden nicht gut. Er war schwach und ein schleichendes Fieber zehrte an ihm. Koljas Verband war von Blut durchtränkt. Die Wundnähte an seinem Armstumpf öffneten sich immer wieder. Bislang hatte noch kein Heilkundiger danach gesehen. Es gab keinen hier an Bord. Ebenso wenig wie es einen im Wald gegeben hatte. Es war Volodi gewesen, der die Wunde gemeinsam mit dem Lotsen Nabor versorgt hatte – so gut sie es konnten. Und das war nicht sonderlich gut. Kolja versuchte seine Schmerzen zu überspielen, aber er war kein guter Schauspieler. Er war immerzu gereizt und fluchte halblaut vor sich hin.