»Gilthanas’ Mission ist gescheitert«, sagte Tanis, »und jetzt möchtest du, daß wir die Revolte anführen?«
»Ja, Tanthalas«, erwiderte die Stimme der Sonnen. »Gilthanas kennt einen Weg nach Pax Tarkas – den Sla-Mori. Er kann euch in die Festung führen. Du hast nicht nur die Möglichkeit, deine eigene Rasse zu befreien, sondern du bietest den Elfen eine Möglichkeit zur Flucht« – die Stimme der Sonnen verhärtete sich -, »eine Möglichkeit zu leben, die viele Elfen nicht mehr hatten, als die Menschen die Umwälzung über uns herbeiführten!«
Flußwind sah knurrend auf. Selbst Sturms Miene verfinsterte sich. Die Stimme der Sonnen holte tief Luft und seufzte dann. »Bitte vergebt mir«, sagte er. »Ich will euch nicht mit Peitschen aus der Vergangenheit schlagen. Ich werde meinen Sohn Gilthanas bereitwillig mit euch schicken, wohl wissend, daß wir uns vielleicht nie mehr wiedersehen werden. Ich bin zu diesem Opfer bereit, damit mein Volk – und euer Volk – leben kann.«
»Wir brauchen Bedenkzeit«, sagte Tanis, obwohl sein Entschluß schon feststand. Die Stimme der Sonnen nickte, und Elfenkrieger bahnten den Gefährten einen Weg durch die Menge und führten sie zu einem Wäldchen. Hier ließ man sie allein.
Tanis’ Freunde standen vor ihm, ihre ernsten Gesichter wirkten wie Masken aus Licht und Schatten unter den Sternen. Die ganze Zeit, dachte er, habe ich darum gekämpft, daß wir zusammenbleiben. Jetzt, glaube ich, müssen wir uns trennen. Wir können nicht riskieren, die Scheiben mit nach Pax Tarkas zu nehmen, und Goldmond wird sie nicht aus der Hand geben.
»Ich werde nach Pax Tarkas gehen«, sagte Tanis leise. »Aber mir scheint, es ist jetzt an der Zeit, daß wir uns trennen, meine Freunde. Bevor ihr was sagt, hört mir bitte zu. Ich möchte Tika, Goldmond, Flußwind, Caramon, Raistlin und dich, Fizban, bei den Elfen lassen in der Hoffnung, daß die Scheiben bei euch in Sicherheit sind. Sie sind zu wertvoll, um sie bei einem Überfall auf Pax Tarkas zu riskieren.«
»Das kann schon sein, Halb-Elf«, flüsterte Raistlin, »aber unter den Qualinost-Elfen wird Goldmond nicht denjenigen finden, den sie sucht.«
»Woher weißt du das?« fragte Tanis bestürzt.
»Er weiß überhaupt nichts, Tanis«, unterbrach Sturm bitter. »Mehr Geschwätz…«
»Raistlin?« beharrte Tanis und ignorierte Sturm.
»Du hast doch den Ritter gehört!« zischte der Magier. »Ich weiß nichts!«
Tanis seufzte, dann blickte er sich um. »Ihr habt mich zum Anführer ernannt…«
»Ja, das haben wir, Bursche«, sagte Flint plötzlich. »Aber deine Entscheidung kommt aus deinem Kopf – nicht aus deinem Herzen. Tief innen bist du nicht überzeugt, daß wir uns trennen sollten.«
»Nun, ich werde nicht bei diesen Elfen bleiben«, sagte Tika und kreuzte ihre Arme über der Brust. »Ich gehe mit dir, Tanis. Ich will eine Schwertkämpferin werden, wie Kitiara.«
Tanis zuckte zusammen. Diesen Namen zu hören, war wie ein Schlag ins Gesicht.
»Auch ich werde mich nicht bei Elfen verstecken«, sagte Flußwind, »erst recht nicht, wenn es bedeutet, meine Rasse für mich kämpfen zu lassen.«
»Er und ich sind eins«, sagte Goldmond und legte ihre Hand auf seinen Arm. »Außerdem«, sagte sie weicher, »irgendwie weiß ich, daß der Magier die Wahrheit sagt – der Führer ist nicht unter den Elfen. Sie wollen vor der Welt fliehen, anstatt für sie zu kämpfen.«
»Wir kommen alle mit, Tanis«, sagte Flint bestimmt.
Der Halb-Elf sah sich hilflos in der Gruppe um, dann lächelte er und schüttelte den Kopf. »Ihr habt recht. Es war nicht meine wirkliche Überzeugung, daß wir uns trennen sollten. Es ist natürlich am vernünftigsten und logischsten, und darum handeln wir wohl nicht so.«
»Und jetzt könnten wir vielleicht ein wenig schlafen«, gähnte Fizban.
»Warte eine Minute, Alter«, sagte Tanis ernst. »Du gehörst nicht dazu. Du solltest wirklich bei den Elfen bleiben.«
»Soll ich?« fragte der alte Magier sanft, während seine Augen ihren unbestimmten Blick verloren. Er sah Tanis mit solch einem durchdringenden, fast drohenden Blick an, daß der Halb-Elf instinktiv einen Schritt zurücktrat, da er plötzlich eine fast greifbare Aura von Macht um den alten Mann spürte. Seine Stimme war sanft und intensiv. »Ich allein entscheide, wohin ich in dieser Welt gehe, und ich habe mich entschieden, mit dir zu gehen, Tanis Halb-Elf.«
Raistlin sah zu Tanis, als ob er sagen wollte: Verstehst du jetzt? Tanis erwiderte unentschlossen den Blick. Er bereute, das Gespräch mit Raistlin unterbrochen zu haben, aber fragte sich jetzt, wie sie in Anwesenheit des alten Mannes überhaupt miteinander sprechen sollten.
»Ich sage dir das, Raistlin«, sagte Tanis plötzlich im Lagerfeuer-Slang, einer verzerrten Form der Umgangssprache, die von den gemischtrassigen Söldnern auf Krynn entwickelt worden war. Die Zwillinge hatten sich vor langer Zeit einmal als Söldner verdingt – wie die meisten der Gefährten – , um zu überleben. Tanis wußte, daß Raistlin ihn verstehen würde. Und er war sich ziemlich sicher, daß der alte Mann diese Sprache nicht verstand.
»Wir sprechen, wenn willst«, antwortete Raistlin in der gleichen Sprache, »aber wenig weiß ich.«
»Du Furcht. Warum?«
Raistlins seltsame Augen sahen in die Ferne, als er langsam antwortete. »Ich weiß nicht, Tanis. Aber – du recht. Da ist Macht, im Alten. Ich fühle große Macht. Ich fürchte.« Seine Augen glänzten. »Und ich hungrig!« Der Magier seufzte und schien von daher wiederzukehren, wo er gewesen war. »Aber er recht. Versuchen, ihn aufhalten? Sehr viel Gefahr.«
»Als ob es nicht schon reichen würde«, sagte Tanis bitter und wechselte wieder in die Umgangssprache.
»Andere sind vielleicht genauso gefährlich«, sagte Raistlin und warf seinem Bruder einen bedeutungsvollen Blick zu. Der Magier sprach auch wieder in der Umgangssprache. »Ich bin müde. Ich muß schlafen. Bleibst du auf, Bruder?«
»Ja«, antwortete er und tauschte einen Blick mit Sturm. »Wir werden uns noch ein wenig mit Tanis unterhalten.«
Raistlin nickte und reichte Fizban seinen Arm. Der alte und der junge Magier gingen. Der alte Magier schlug mit seinem Stab auf einen Baum ein und beschuldigte ihn, versucht zu haben, sich an ihn heranzuschleichen.
»Als ob ein verrückter Magier nicht reichen würde«, murrte Flint. »Ich werde schlafen gehen.«
Einer nach dem anderen ging, bis Tanis, Caramon und Sturm allein waren. Tanis wandte ihnen müde sein Gesicht zu. Er hatte das Gefühl zu wissen, was kommen würde. Caramon errötete und starrte auf seine Füße. Sturm strich über seinen Schnurrbart und sah Tanis nachdenklich an.
»Nun?« fragte Tanis.
»Gilthanas«, antwortete Sturm.
Tanis runzelte die Stirn und kratzte seinen Bart. »Das ist meine Sache und nicht eure«, sagte er kurz.
»Es ist unsere Sache, Tanis«, beharrte Sturm, »wenn er uns nach Pax Tarkas führt. Wir wollen uns nicht in deine Angelegenheit mischen, aber offensichtlich besteht eine Feindschaft zwischen euch. Ich habe mitbekommen, wie er dich ansieht, Tanis, und ich an deiner Stelle würde nirgendwo hingehen, ohne einen Freund im Rücken zu haben.«
Caramon sah Tanis ernst an. »Ich weiß, er ist ein Elf und so weiter«, sagte der Krieger langsam. »Aber, wie Sturm sagt, er hat manchmal in seinen Augen einen komischen Blick. Kennst du nicht diesen Weg nach Sla-Mori? Können wir ihn nicht selbst finden? Ich traue ihm nicht. Sturm und Raist auch nicht.«
»Hör zu, Tanis«, sagte Sturm, als er sah, wie sich das Gesicht des Halb-Elf vor Zorn verdunkelte. »Wenn Gilthanas in solch einer Gefahr in Solace war, wie er behauptet, warum saß er dann so lässig im Wirtshaus? Und dann diese Geschichte, wie seine Kämpfer›zufällig‹in eine ganze Armee liefen! Tanis, schüttel nicht so schnell den Kopf. Er braucht nicht bösartig zu sein, nur irregeleitet. Was ist, wenn Verminaard irgendeinen Einfluß auf ihn ausübt? Vielleicht hat der Drachenfürst ihn überzeugt, sein Volk zu verschonen, wenn er uns dafür betrügt! Vielleicht war er darum in Solace, um auf uns zu warten.«