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»Es wird immer noch starker Seegang sein«, erklärte Caramon weise. Da er aufmerksam Williams Seemannsgeschichten (der Wirt des Wirtshauses Zum flötenden Eber in der Hafenstadt Balifor) gelauscht hatte, betrachtete sich Caramon als Fachmann in Sachen Seefahrt. Niemand von den anderen widersprach ihm, da sie selber nichts davon verstanden. Nur Raistlin betrachtete seinen Bruder mit einem spöttischen Grinsen, wenn Caramon – der nur wenige Male in seinem Leben in kleinen Booten gehockt hatte – wie ein alter Seebär zu erzählen begann.

»Vielleicht sollten wir es gar nicht erst riskieren, hinauszugehen…«, begann Tika.

»Wir gehen. Heute!« sagte Tanis grimmig. »Und wenn wir schwimmen müssen, heute verschwinden wir aus Treibgut.«

Die anderen warfen sich Blicke zu, dann sahen sie wieder zu Tanis. Er starrte aus dem Fenster und sah weder ihre hochgezogenen Augenbrauen noch ihr Schulterzucken, aber er war sich ihrer Reaktionen bewußt.

Die Gefährten waren im Zimmer der Zwillinge versammelt. Es war noch eine Stunde bis zur Morgendämmerung, aber Tanis hatte sie geweckt, sobald der Wind zu heulen aufgehört hatte. Er holte tief Luft, dann wandte er sich ihnen zu. »Es tut mir leid. Ich weiß, es klingt paradox«, sagte er, »aber es gibt hier Gefahren, die ich jetzt nicht erklären kann. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Aber niemals zuvor waren wir in größerer Gefahr als in diesem Moment, in dieser Stadt. Wir müssen aufbrechen, und zwar sofort!« In seiner Stimme lag ein Hauch von Hysterie, und er brach ab.

Alle schwiegen. Dann sagte Caramon unruhig: »Sicher, Tanis.«

»Wir haben alle gepackt«, fügte Goldmond hinzu. »Wir können jederzeit verschwinden, sobald du bereit bist.«

»Dann laßt uns gehen«, sagte Tanis.

»Ich bin noch nicht fertig«, stammelte Tika.

»Dann mach. Beeil dich«, sagte Tanis.

»Ich helfe dir«, bot Caramon leise an.

Der große Mann, wie Tanis in die gestohlene Rüstung eines Drachenoffiziers gekleidet, und Tika verließen schnell das Zimmer. Wahrscheinlich wollen sie noch einige Minuten allein sein, dachte Tanis ungeduldig. Goldmond und Flußwind holten ihr Gepäck aus ihrem Zimmer. Raistlin bewegte sich nicht. Er hatte alles, was er brauchte – seine Beutel mit seinen wertvollen Zauberzutaten, den Stab des Magius und die kostbare Kugel der Drachen.

Tanis konnte Raistlins seltsame Augen spüren, die sich in ihn bohrten. Es war, als könnte Raistlin die dunkle Stelle in der Seele des Halb-Elfen mit dem glitzernden Licht seiner goldenen Augen durchdringen. Aber der Magier sagte nichts. Warum? dachte Tanis wütend. Er würde Raistlins Fragen, seine Anschuldigungen fast begrüßen. Er würde eine Möglichkeit begrüßen, sich von der Last zu befreien und die Wahrheit zu sagen, trotz der Folgen, die das Ganze haben würde.

Aber Raistlin schwieg und hustete fast ununterbrochen. Nach wenigen Minuten kehrten die anderen zurück.

»Wir sind bereit, Tanis«, sagte Goldmond mit gedämpfter Stimme.

Einen Moment lang konnte Tanis nicht sprechen. Ich sage es ihnen, beschloß er. Er holte tief Luft und wandte sich ihnen zu. Er sah ihre Gesichter, er sah das Vertrauen, den Glauben an ihn. Sie folgten ihm, ohne Fragen zu stellen. Er brachte es nicht fertig, sie zu enttäuschen. Er konnte diesen Glauben nicht erschüttern. Es war das einzige, woran sie sich klammern konnten. Seufzend schluckte er die Worte hinunter, die ihm auf der Zunge lagen.

»Gut«, sagte er mürrisch und ging zur Tür.

Maquesta Kar-Thon erwachte aus einem tiefen Schlaf durch ein Klopfen an ihrer Kabinentür. Da sie daran gewöhnt war, jederzeit geweckt zu werden, war sie sofort hellwach und griff nach ihren Stiefeln.

»Was ist los?« rief sie.

Bevor ihr geantwortet wurde, hatte sie bereits die Situation des Schiffes eingeschätzt. Ein Blick durch das Bullauge zeigte ihr, daß sich der Wind zwar gelegt hatte, aber aus der Bewegung des Schiffes konnte sie erkennen, daß schwerer Seegang war.

»Die Passagiere sind gekommen«, antwortete eine Stimme, die sie als die ihres Ersten Offiziers erkannte.

Landratten, dachte sie verbittert, seufzte und ließ den Stiefel fallen, den sie gerade anziehen wollte. »Schick sie weg«, befahl sie und legte sich wieder hin. »Heute legen wir nicht ab.«

Draußen schien eine heftige Auseinandersetzung stattzufinden, denn sie hörte, wie sich die Stimme ihres Ersten Offiziers in Wut hob und eine andere Stimme zurückschrie. Müde kämpfte sich Maquesta auf die Füße. Ihr Erster Offizier, Bas Ohn-Koraf, war ein Minotaurus – eine Rasse, der man nicht gerade ein gelassenes Temperament nachsagte. Er war außerordentlich stark und dafür bekannt, grundlos zu töten – ein Grund, warum das Meer ihn anzog. Auf einem Schiff wie der Perechon stellte niemand Fragen über die Vergangenheit.

Maque warf die Tür ihrer Kabine auf und stürmte aufs Deck.

»Was ist los?« fragte sie mit ihrer strengsten Stimme, während ihre Augen von dem Tierkopf ihres Offiziers zu dem bärtigen Gesicht des Drachenoffiziers fuhren. Aber sie erkannte die leicht geschlitzten braunen Augen des bärtigen Mannes und fixierte ihn kalt. »Ich sagte, daß wir heute nicht ablegen, Halb-Elf, und das ist mein Ernst…«

»Maquesta«, unterbrach Tanis sie schnell, »ich muß mit dir reden!« Er wollte sich an dem Minotaurus vorbeischieben, aber Koraf ergriff ihn und warf ihn zurück. Hinter Tanis knurrte ein kräftiger Drachenoffizier auf und trat einen Schritt vor. Die Augen des Minotaurus glänzten gierig auf, als er flink einen Dolch aus seiner weiten bunten Schärpe zog.

Die Mannschaft versammelte sich unverzüglich auf dem Deck und hoffte, einen Kampf zu erleben.

»Caramon…«, warnte Tanis.

»Koraf…!« schnappte Maquesta mit einem wütenden Blick, der ihren Ersten Offizier daran erinnern sollte, daß es sich bei der Gruppe um zahlende Kunden handelte, mit denen man höflicher umging, zumindest solange man sich noch im Hafen aufhielt.

Der Minotaurus knurrte, aber der Dolch verschwand genauso schnell, wie er aufgetaucht war. Dann drehte sich Koraf hochmütig um und verschwand. Die Mannschaft murmelte enttäuscht, aber trotzdem munter. Es versprach eine interessante Fahrt zu werden.

Maquesta half Tanis auf die Füße und musterte ihn mit dem aufmerksamen, prüfenden Blick, wie sie einen Mann musterte, der sich bei ihr um Arbeit bewarb. Sie erkannte sofort, daß der Halb-Elf sich in den vier Tagen, seit sie mit dem großen Mann den Handel für eine Schiffsreise auf der Perechon abgeschlossen hatte, drastisch verändert hatte. Er sah aus, als wäre er durch die Hölle gelaufen und wieder zurück. Wahrscheinlich ist er in Schwierigkeiten, schloß sie mitleidig. Aber sie war nicht bereit, ihn aus diesen Schwierigkeiten herauszuholen! Nicht, wenn ihr Schiff auf dem Spiel stand! Andererseits hatten er und seine Freunde die Hälfte des Preises bezahlt. Und sie brauchte das Geld. In diesen Zeiten war es für einen Piraten schwer, mit den Drachenfürsten zu konkurrieren…

»Komm in meine Kabine«, sagte Maque ungnädig und führte ihn nach unten.

»Bleib bei den anderen, Caramon«, sagte der Halb-Elf. Der Mann nickte. Caramon warf dem Minotaurus einen düsteren Blick nach, denn ging er zu den Gefährten.

Tanis folgte Maque in ihre Kabine. Die Perechon war ein schmuckes Schiff, auf schnelles Segeln und schnelle Manöver ausgerichtet. Ideal für Maquestas Gewerbe, da es notwendig war, schnell in Häfen hinein- und wieder hinauszufahren, Frachtgut ein- oder auszuladen (das nicht unbedingt ihr gehörte). Gelegentlich besserte sie ihre Einnahmen auf, indem sie ein reiches Handelsschiff überfiel, es plünderte und dann schnell die Flucht ergriff.

Auch war sie geschickt genug, den großen Schiffen der Drachenfürsten zu entrinnen, denn sie hatte es sich zum Prinzip gemacht, ihnen aus dem Wege zu gehen. Aber nur allzu häufig wurden Schiffe der Drachenfürsten gesichtet, die Handelsschiffe ›begleiteten‹. Maquesta hatte auf ihren beiden letzten Fahrten Verluste erlitten; das war ein Grund, warum sie sich herabließ, Passagiere zu befördern, was sie unter anderen Umständen nie getan hätte.