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Der Halb-Elf nahm seinen Helm ab und setzte sich an den Tisch – beziehungsweise fiel auf den Stuhl, da er an die schaukelnde Bewegung des Schiffes nicht gewöhnt war. Maquesta blieb stehen und behielt mühelos das Gleichgewicht.

»Nun, was willst du?« fragte sie gähnend. »Ich habe dir bereits gesagt, daß wir nicht ablegen können. Das Meer ist zu…«

»Wir müssen«, unterbrach Tanis.

»Sieh mal«, sagte Maquesta geduldig (sie ermahnte sich selbst zur Geduld, da er ein gut zahlender Kunde war), »wenn du dich in irgendwelchen Schwierigkeiten befindest, so ist das nicht mein Problem! Ich setze nicht mein Schiff und meine Mannschaft aufs Spiel…«

»Es geht nicht um mich«, unterbrach Tanis wieder und musterte Maquesta aufmerksam, »es geht um dich.«

»Um mich?« fragte Maquesta erstaunt.

Tanis faltete seine Hände auf dem Tisch und sah zu ihr hoch. Das schwankende Schiff und seine Erschöpfung ließen Übelkeit in ihm aufsteigen. Als sie die blaßgrüne Färbung seiner Haut unter seinem Bart und die dunklen Schatten unter seinen tiefliegenden Augen sah, dachte Maquesta, daß die Leichen, die sie gesehen hatte, besser aussahen als dieser Halb-Elf.

»Was meinst du?« fragte sie angespannt.

»Ich… ich wurde von einem Drachenfürsten gefangengenommen… vor drei Tagen«, begann Tanis. Er sprach sehr leise und starrte auf seine Hände. »Nein, gefangengenommen ist wohl das falsche Wort. E…er sah mich so gekleidet und nahm an, daß ich einer seiner Männer sei. Ich mußte ihn in sein Lager begleiten. Ich war dort – in diesem Lager – in den vergangenen Tagen, und i…ich habe etwas herausgefunden. Ich weiß, warum der Fürst und die Drakonier Treibgut durchsuchen. Ich weiß, wonach… besser, wen sie suchen.«

»Ja?« half Maquesta nach, während sie von seiner Furcht angesteckt wurde. »Nicht die Perechon…«

»Deinen Steuermann.« Tanis sah endlich zu ihr hoch. »Berem.«

»Berem!« wiederholte Maquesta verblüfft. »Warum? Der Mann ist stumm! Ein Halbverrückter! Ein guter Steuermann, ja, aber nicht mehr. Was könnte er verbrochen haben, daß die Drachenfürsten ihn suchen?«

»Ich weiß nicht«, antwortete Tanis erschöpft, während er gegen die Übelkeit ankämpfte. »Ich war nicht in der Lage, es herauszufinden. Ich bin mir auch nicht sicher, ob sie es überhaupt wissen! Aber sie haben den Befehl, ihn um jeden Preis zu finden und ihn lebendig…«, er schloß die Augen, um die schwankenden Lampen nicht zu sehen, »zur Dunklen Königin zu bringen…«

Das anbrechende Licht der Dämmerung warf gekrümmte rote Strahlen über die rauhe See. Einen Augenblick lang schien es auf Maquestas glänzende schwarze Haut, ein Blitz wie Feuer fuhr von ihren goldenen Ohrringen aus, die fast bis zu ihren Schultern baumelten. Nervös fuhr sie sich durch ihr kurzgeschnittenes schwarzes Haar. Maquestas Kehle schnürte sich zusammen. »Wir werden ihn schon los!« brummte sie und schob sich vom Tisch fort. »Wir setzen ihn an Land ab. Ich kann einen anderen Steuermann finden…«

»Hör mir zu!« Tanis packte Maquesta am Arm und hielt sie fest. »Sie wissen bereits, daß er hier ist! Und selbst wenn sie es nicht wissen und ihn erwischen, macht es keinen Unterschied. Wenn sie erst einmal herausfinden, daß er hier war, auf diesem Schiff – und sie werden das herausfinden, glaub mir das; sie haben ihre Methoden, um selbst einen Stummen zum Reden zu bringen -, werden sie dich und alle anderen auf diesem Schiff festhalten. Entweder nehmen sie dich fest, oder sie werden versuchen, dich loszuwerden.«

Er nahm seine Hand von ihrem Arm weg; ihm war klargeworden, daß er nicht die Kraft hatte, sie festzuhalten. »So haben sie es in der Vergangenheit gemacht. Ich weiß es. Der Fürst hat es mir erzählt. Ganze Dörfer zerstört. Leute gefoltert, umgebracht. Jeder, der mit diesem Mann in Kontakt steht, ist verdammt. Sie befürchten, daß er irgendein schreckliches Geheimnis weitergegeben hat, und das können sie nicht zulassen.«

Maquesta setzte sich. »Berem?« hauchte sie ungläubig.

»Sie konnten wegen des Sturms noch nichts unternehmen«, sagte Tanis, »und der Fürst wurde nach Solamnia zu einer Schlacht gerufen. Aber… der Fürst kommt heute zurück. Und dann…« Er konnte nicht weitersprechen. Sein Kopf sank in seine Hände, ein Schauder zog durch seinen Körper.

Maquesta beäugte ihn argwöhnisch. Konnte das die Wahrheit sein? Oder tischte er diese Geschichte nur auf, um sie von seinen eigenen Schwierigkeiten abzulenken? Maquesta fluchte leise. Sie konnte Männer sehr gut beurteilen. Das war auch notwendig, um über ihre rauhbeinige und rücksichtslose Mannschaft die Kontrolle zu behalten. Und sie wußte, daß der Halb-Elf nicht log. Zumindest nicht sehr. Sie vermutete, daß er einige Dinge verschwiegen hatte, aber diese Geschichte über Berem so seltsam sie auch war – klang wahr. Alles ergab plötzlich einen Sinn, dachte sie beunruhigt und verfluchte sich. Sie brüstete sich mit ihrem Urteilsvermögen, ihrem klaren Verstand. Dennoch hatte sie Berems seltsame Art ignoriert. Warum? Ihre Lippen kräuselten sich spöttisch. Sie mochte ihn – zugegeben. Er war wie ein Kind, fröhlich, unschuldig. Und deshalb hatte sie seinen Widerwillen, an Land zu gehen, seine Angst vor Fremden, seine Bereitschaft, einerseits für Piraten zu arbeiten, andererseits aber seinen Anteil an der Beute abzulehnen, übersehen. Maquesta saß einen Moment da. Sie blickte nach draußen und beobachtete, wie die goldene Sonne über die Schaumkronen glitzerte, und dann von den tiefhängenden grauen Wolken verschluckt wurde. Es würde gefährlich sein, das Schiff aus dem Hafen zu führen, aber wenn der Wind gut stand… »Ich bin lieber auf dem offenen Meer«, murmelte sie mehr zu sich als zu Tanis, »als wie eine Ratte an Land gefangen.«

Da Maque sie ihren Entschluß gefaßt hatte, erhob sie sich schnell und ging zur Tür. Dann hörte sie Tanis aufstöhnen. Sie drehte sich um und betrachtete ihn mitleidig.

»Nun mach schon, Halb-Elf«, sagte sie nicht unhöflich. Sie legte ihre Arme um ihn und half ihm beim Aufstehen. »Du wirst dich oben an der frischen Luft besser fühlen. Außerdem solltest du deinen Freunden sagen, daß dies keine erholsame Kreuzfahrt wird. Ist dir das Risiko bewußt, das du auf dich nimmst?«

Tanis nickte. Er lehnte sich schwer an Maquesta und ließ sich auf das schlingernde Deck führen.

»Du hast mir nicht alles erzählt, das steht fest«, sagte Maquesta schweratmend, als sie die Kabinentür aufstieß und Tanis die Stufen zum Hauptdeck hinaufhalf. »Ich wette, Berem ist nicht der einzige, nach dem der Fürst sucht. Aber ich habe das Gefühl, es ist nicht die erste Krise, die du und deine Freunde überstanden habt. Ich hoffe nur, euer Glück hält an!«

Die Perechon schlingerte auf hoher See. Das Schiff segelte mit halben Segeln und schien kaum vorwärts zu kommen, kämpfte um jeden Millimeter. Glücklicherweise drehte sich der Wind. Er blies beständig aus Südwesten und brachte sie direkt in das Blutmeer von Istar. Ihr eigentliches Ziel war zwar Kalaman, das nordwestlich von Treibgut am Nordmeerkap lag, aber es störte Maquesta nicht, daß sie vom Kurs abwichen. Sie wollte das Land so weit wie möglich hinter sich lassen. Es bestand sogar die Möglichkeit, klärte sie Tanis auf, in nordöstlicher Richtung nach Mitras zu segeln, der Heimat der Minotaurier. Zwar kämpften einige Minotaurier in den Armeen der Fürsten, aber die meisten von ihnen hatten sich der Dunklen Königin noch nicht zur Treue verpflichtet. Wie Koraf sagte, beanspruchten die Minotaurier die Kontrolle über das östliche Ansalon als Gegenleistung für ihre Dienste. Und die Kontrolle über den Osten war gerade einem neuen Drachenfürsten übergeben worden, einem Hobgoblin namens Toede. Die Minotaurier hatten weder für Menschen noch für Elfen etwas übrig, und zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnten sie mit den Fürsten auch nichts anfangen. Maquesta und ihre Mannschaft hatten sich schon zuvor gelegentlich in Mitras versteckt. Dort würden sie wieder in Sicherheit sein, zumindest eine Zeitlang. Tanis war über diese Verzögerung nicht erfreut, aber das Schicksal lag nicht mehr in seinen Händen. Während er darüber nachdachte, blickte der Halb-Elf zu dem Mann, der mitten im Wind allein dastand. Berem war am Steuer und lenkte es mit sicheren Händen, sein ausdrucksloses Gesicht wirkte unbesorgt. Tanis starrte angestrengt auf die Brust des Steuermanns, vielleicht könnte er einen grünen Schimmer ausmachen… Welch dunkles Geheimnis lag in dieser Brust, an der er vor Monaten in Pax Tarkas den grünen, glänzenden Juwel im Fleisch des Mannes gesehen hatte? Warum verschwendeten Hunderte von Drakoniern ihre Zeit, um diesen Mann zu suchen, wenn doch der Krieg auf Messers Schneide stand? Warum war Kitiara so erpicht darauf, Berem zu finden, daß sie das Kommando über ihre Streitmacht in Solamnia aufgegeben hatte, um die Suche in Treibgut zu überwachen, die nur auf einem Gerücht beruhte, daß Berem dort gesehen worden war?