Aber der Smog der Bay Area brannte in seinen Augen, die Verkehrsgeräusche verursachten ihm Kopfschmerzen, und die Pollen brachten ihn zum Husten. Das Obst war nie süß genug, das Wasser nie sauber genug, und wo waren all die Bäume und offenen Felder? Zwei Jahre lang versuchte ich Baba zu überreden, einen Sprachkurs zu besuchen, um sein ungelenkes Englisch zu verbessern. Aber er winkte bloß verächtlich ab. »Etwa, damit ich ›Esel‹ richtig schreiben kann und nach Hause gelaufen komme, um dir das glitzernde Sternchen zu zeigen, das mir der Lehrer gegeben hat?«, brummte er.
An einem Sonntag im Frühjahr des Jahres 1983 betrat ich einen kleinen Buchladen, der gebrauchte Taschenbücher verkaufte. Er befand sich neben dem indischen Kino, westlich von der Stelle, wo die Gleise der Cal-Trans den Fremont Boulevard überquerten. Ich erklärte Baba, dass ich in fünf Minuten wieder da sein würde, und er zuckte bloß mit den Schultern. Er arbeitete an einer Tankstelle in Fremont, und es war sein freier Tag. Ich sah, wie er lässig den Fremont Boulevard überquerte und einen Fast & Easy betrat, einen kleinen Lebensmittelladen, der von einem älteren vietnamesischen Ehepaar mit Namen Mr. und Mrs. Nguyen geführt wurde. Es waren grauhaarige freundliche Leute; sie litt an Parkinson, und er hatte kürzlich ein künstliches Hüftgelenk erhalten. »Er jetzt wie Sechs-Millionen-Dollar-Mann«, erklärte sie mir immer mit ihrem zahnlosen Lachen. »Erinnern Sie sich noch an Sechs-Millionen-Dollar-Mann, Amir?« An der Stelle setzte Mr. Nguyen ein finsteres Gesicht auf wie Lee Majors und tat so, als würde er in Zeitlupe laufen.
Ich blätterte gerade in einer zerlesenen Ausgabe eines Mike-Hammer-Krimis, als ich Schreie und das Splittern von Glas vernahm. Ich ließ das Buch fallen und rannte über die Straße. Als ich in den Laden kam, standen die Nguyens mit bleichen Gesichtern hinter ihrer Theke an die Wand gepresst, und Mr. Nguyen hatte die Arme um seine Frau geschlungen. Auf dem Boden lagen Orangen, ein umgeworfener Zeitschriftenständer, ein zerbrochenes Glas »Beef Jerky« und eine Menge Glassplitter, die sich direkt vor Babas Füßen befanden.
Es stellte sich heraus, dass Baba kein Bargeld für die Orangen bei sich gehabt und deshalb einen Scheck für Mr. Nguyen ausgestellt hatte. Daraufhin hatte Mr. Nguyen ihn gebeten, sich auszuweisen. »Er will meinen Führerschein sehen«, brüllte Baba in Farsi. »Seit fast zwei Jahren kaufen wir sein verdammtes Obst und füllen seine Taschen mit Geld, und der Hundesohn will meinen Führerschein sehen!«
»Baba, nimm das doch nicht persönlich«, erwiderte ich und lächelte den Nguyens zu. »Sie sind verpflichtet, nach einem Ausweis zu fragen.«
»Ich möchte Sie hier nicht haben«, sagte Mr. Nguyen und stellte sich vor seine Frau. Er zeigte mit seinem Stock auf Baba. Wandte sich dann an mich. »Sie sind netter junger Mann, aber Ihr Vater, der ist verrückt. Hier nicht mehr willkommen.«
»Hält er mich etwa für einen Dieb?«, fragte Baba mit lauter werdender Stimme. Es hatten sich einige Leute draußen versammelt. Sie starrten in den Laden. »Was für ein Land ist das hier? Die Leute trauen einander nicht!«
»Ich rufe Polizei«, erklärte Mrs. Nguyen, die hinter dem Rücken ihres Mannes hervorspähte. »Raus hier, oder ich rufe Polizei.«
»Bitte rufen Sie nicht die Polizei, Mrs. Nguyen. Ich werde ihn nach Hause bringen. Bitte rufen Sie nicht die Polizei, okay? Bitte!«
»Ja, bringen Sie ihn nach Hause. Gute Idee«, sagte Mr. Nguyen. Hinter den Gläsern seiner Bifokalbrille wichen seine Augen nicht für einen einzigen Moment von Baba. Ich führte meinen Vater durch die Tür. Auf dem Weg nach draußen trat er nach einer Zeitschrift. Nachdem ich ihm das Versprechen abgenommen hatte, dass er nicht wieder hineingehen würde, kehrte ich in den Laden zurück und entschuldigte mich bei den Nguyens. Erklärte ihnen, dass mein Vater gerade eine schwere Zeit durchmachte. Ich schrieb Mrs. Nguyen unsere Telefonnummer und unsere Adresse auf und bat sie, mich anzurufen, sobald sie wusste, auf welche Höhe sich der angerichtete Schaden belief. »Ich werde für alles bezahlen, Mrs. Nguyen. Es tut mir so Leid.« Mrs. Nguyen nahm den Zettel und nickte. Ich sah, dass ihre Hände schlimmer als gewöhnlich zitterten, und ich war wütend auf Baba, weil er einer alten Frau solche Angst eingejagt hatte.
»Mein Vater muss sich erst noch an das Leben in Amerika gewöhnen«, sagte ich zur Erklärung seines Verhaltens.
Ich hätte ihnen so gern erzählt, dass wir in Kabul einfach einen Zweig von einem Baum abbrachen und diesen als Kreditkarte benutzten. Hassan und ich hatten den Holzstock immer zum Bäcker mitgenommen. Der schnitt mit seinem Messer Kerben in unseren Stock; eine Kerbe für jedes naan, das er uns aus dem prasselnden Feuer des tandoor-Ofens hervorholte. Am Ende des Monats bezahl te ihn mein Vater je nach Zahl der Kerben im Stock. Das war alles. Keine Fragen. Kein Ausweis.
Aber das erzählte ich ihnen nicht. Ich bedankte mich bei Mr. Nguyen dafür, dass er nicht die Polizei gerufen hatte, und brachte Baba nach Hause. Er war eingeschnappt und rauchte auf dem Balkon, während ich einen Eintopf aus Reis und Hühnerhälsen zubereitete. Anderthalb Jahre war es nun her, dass wir aus der Boeing gestiegen waren, die uns aus Peshawar hergebracht hatte, und Baba hatte sich immer noch nicht richtig eingelebt.
An jenem Abend aßen wir schweigend. Nach zwei Bissen schob Baba seinen Teller weg.
Ich warf ihm einen Blick über den Tisch zu: die gesplitterten Nägel, schwarz vom Motoröl, die abgeschürften Knöchel, dazu die Gerüche der Tankstelle — Staub, Schweiß und Benzin — in seiner Kleidung. Baba war wie ein Witwer, der erneut heiratet, aber von seiner verstorbenen Frau nicht loskommt. Er vermisste die Zuckerrohr felder von Jalalabad und die Gärten von Paghman. Er vermisste die Menschen, die in seinem Haus ein und aus gegangen waren, vermisste es, die belebten Gänge des Shor-Basars entlangzuschreiten und Menschen zu grüßen, die ihn kannten und seinen Vater und Großvater gekannt hatten, Menschen, deren Vorfahren auch die seinen waren, deren Vergangenheit mit seiner eigenen verknüpft war.
Für mich war Amerika das Land, in dem ich meine Erinnerungen begraben konnte.
Für Baba dagegen ein Ort, an dem er um die seinen trauerte.
»Vielleicht sollten wir nach Peshawar zurückkehren«, sagte ich und beobachtete, wie die Eiswürfel in meinem Wasserglas herumschwammen. Wir hatten sechs Monate in Peshawar verbracht und darauf gewartet, dass der INS, die Einwanderungsbehörde der Vereinigten Staaten, uns die Visa ausstellte. Unsere schmuddelige Einzimmerwohnung roch nach dreckigen Socken und Katzenkot, aber wir waren umgeben von Menschen, die wir kannten — oder die zumindest Baba kannte. Er lud die ganze Etage von Nachbarn — die meisten von ihnen Afghanen, die auf ihre Visa warteten — zum Abendessen ein. Es war immer irgendjemand dabei, der seine tabla mitbrachte, und ein anderer sein Harmonium. Tee wurde aufgebrüht, und jeder, der meinte, singen zu können, sang, bis die Sonne aufging, die Moskitos aufhörten herumzuschwirren und die klatschenden Hände wehtaten.
»Dort warst du glücklicher, Baba. Es war mehr wie in der Heimat«, sagte ich.
»Peshawar war gut für mich. Aber nicht gut für dich.«
»Du arbeitest hier einfach zu viel.«
»Jetzt ist es ja nicht mehr so schlimm«, sagte er — vor einiger Zeit war er der Leiter der Tagesschicht der Tankstelle geworden. Ich hatte gesehen, wie er bei feuchter Witterung vor Schmerz zusammenzuckte und sich über die Handgelenke rieb. Wie ihm der Schweiß auf der Stirn ausbrach, wenn er nach dem Essen nach seinem Mittel gegen Magensäure griff. »Außerdem habe ich uns nicht um meinetwillen hierher gebracht, oder?«
Ich griff über den Tisch und legte meine Hand auf die seine. Meine saubere, weiche Studentenhand auf seine schmutzige, schwielige Arbeiterhand. Ich dachte an all die Lastwagen, Eisenbahnen und Fahrräder, die er mir in Kabul gekauft hatte. Und jetzt Amerika. Ein letztes Geschenk für Amir.