Er lächelte und lehnte sich zurück, wobei er mit dem Kopf beinahe die Decke berührte. Wir sagten nichts mehr. Saßen einfach in der Dunkelheit da, lauschten dem Tink-Tink des abkühlenden Motors und dem Heulen der Sirenen in der Ferne. Dann drehte Baba mir den Kopf zu. »Ich wünschte, Hassan hätte heute bei uns sein können«, sagte er.
Zwei Stahlhände schlossen sich beim Klang von Hassans Namen um meine Luftröhre. Ich kurbelte das Fenster herunter. Wartete darauf, dass die Hände ihren Griff lockerten.
Am Tag nach meiner Abschlussfeier teilte ich Baba mit, dass ich mich im Herbst am Junior-College einschreiben würde. Er trank kalten schwarzen Tee und kaute auf Kardamomsamen herum, sein Geheimrezept gegen Kater-Kopfschmerzen.
»Ich glaube, ich werde als Hauptfach Englisch belegen«, erklärte ich. Innerlich verkrampfte ich mich und wartete auf seine Antwort.
»Englisch?«
»Kreatives Schreiben.«
Er dachte darüber nach. Nahm einen Schluck von seinem Tee. »Geschichten, wie? Du willst Geschichten erfinden.« Ich blickte auf meine Füße hinunter.
»Bezahlen sie einen dafür, wenn man Geschichten erfindet?«
»Wenn man gut ist«, sagte ich. »Und entdeckt wird.«
»Wie wahrscheinlich ist es, dass du entdeckt wirst?«
»Es kommt vor«, antwortete ich.
Er nickte. »Und was willst du tun, während du darauf wartest, entdeckt zu werden? Wie willst du Geld verdienen? Wie willst du, wenn du heiratest, deine khanum ernähren?«
Ich brachte es nicht fertig, meinen Blick zu heben und ihn anzusehen. »Ich… ich werde schon Arbeit finden.«
»Oh«, sagte er. »Wah wah. Also, wenn ich dich richtig verstehe, willst du ein paar Jahre studieren, um einen Hochschulabschluss zu machen, und suchst dir dann einen chatti-Job, wie ich ihn habe, einen, den du schon heute mit Leichtigkeit bekommen könntest, um eine kleine Chance zu haben, dass dir dein Abschluss irgendwann einmal dabei helfen wird, ›entdeckt‹ zu werden.« Er atmete tief durch und trank seinen Tee. Brummte etwas von Medizin, Jura und »richtiger Arbeit«.
Meine Wangen brannten, und ich fühlte mich schuldig, schuldig, dass ich mir auf Kosten seines Magengeschwürs, seiner schwarzen Fingernägel und seiner schmerzenden Handgelenke etwas gönnte. Aber ich entschied mich, nicht nachzugeben. Ich wollte keine Opfer mehr für Baba bringen. Beim letzten Mal, als ich das getan hatte, hatte ich mich selbst verdammt.
Baba seufzte und warf sich dieses Mal eine ganze Hand voll Kardamomsamen in den Mund.
Manchmal setzte ich mich hinter das Steuer meines Fords, kurbelte die Fenster herunter und fuhr stundenlang durch die Gegend, von der Fast Bay zur South Bay, die Peninsula hinauf und wieder hinunter. Ich durchfuhr die rasterförmig angelegten, von Pyramidenpappeln gesäumten Straßen unserer Wohngegend in Fremont, wo Menschen, die niemals die Hände von Königen geschüttelt hatten, in flachen einstöckigen Häusern mit vergitterten Fenstern lebten, wo alte Wagen wie der meine Öl auf asphaltierte Auffahrten tropfen ließen. Zinngraue Maschendrahtzäune trennten die Gärten in unserem Viertel voneinander. Spielzeug, alte Reifen und Bierflaschen mit abblätternden Etiketten übersäten ungepflegte Vorgärten, in denen es sonst nichts weiter als nackte Erde gab. Ich fuhr an schattigen Parks vorbei, die nach Rinde rochen, und vorbei an Einkaufszentren, die groß genug waren, um dort fünf Buzkashi-Turniere gleichzeitig stattfinden zu lassen. Ich quälte den Torino die Hügel von Los Altos hinauf, schlich an Anwesen mit Panoramafenstern und silbernen Löwen vorbei, die schmiedeeiserne Tore bewachten, an Häusern mit Putten-Springbrunnen neben gepflegten Fußwegen, bei denen kein Ford Torino in der Auffahrt stand. Häuser, die Babas Haus im Wazir-AkbarKhan-Viertel wie eine Dienstbotenhütte hätten aussehen lassen.
Samstagmorgens stand ich manchmal ganz früh auf und fuhr den Highway 17 in südlicher Richtung entlang, jagte den Ford die kurvenreiche Straße durch die Berge nach Santa Cruz hinauf. Ich parkte in der Nähe des alten Leuchtturms und wartete auf den Sonnenaufgang, saß in meinem Wagen und sah zu, wie vom Meer die Nebel bänke heranzogen. In Afghanistan hatte ich das Meer nur im Kino gesehen. Während ich dort im Dunkeln neben Hassan saß, wollte ich immer so gern wissen, ob es stimmte, was ich gelesen hatte, nämlich, dass die Meeresluft nach Salz riecht. Ich hatte Hassan versprochen, dass wir eines Tages an einem Strand entlanglaufen, unsere Füße in den Sand einsinken lassen und zuschauen würden, wie das Wasser von unseren Zehen zurückwich. Als ich das erste Mal den Pazifik sah, hätte ich beinahe geweint. Er war genauso riesig und blau wie die Ozeane in den Kinofilmen meiner Kindheit.
Manchmal parkte ich den Wagen am frühen Abend und stellte mich auf eine Freeway-Überführung. Das Gesicht an den Zaun gepresst, versuchte ich die blinkenden Rücklichter zu zählen, die sich unter mir vorwärts schoben, sich so weit erstreckten, wie meine Augen zu sehen vermochten. BMW. Saab. Porsche. Wagen, die ich in Kabul, wo die meisten Leute einen russischen Wolga, einen alten Opel oder einen iranischen Paikan fuhren, nie gesehen hatte.
Beinahe zwei Jahre waren seit unserer Ankunft in den Vereinigten Staaten vergangen, und ich staunte immer noch über die Größe dieses Landes, sein ungeheures Ausmaß. Hinter jedem Freeway lag ein weiterer Freeway, hinter jeder Stadt eine weitere Stadt, Hügel hinter Bergen und Berge hinter Hügeln und dahinter nur noch mehr Städte und noch mehr Menschen.
Lange bevor die Roussi-Armee nach Afghanistan einmarschiert war, lange bevor Dörfer in Brand gesteckt und Schulen zerstört wurden, lange bevor Minen wie Samen des Todes in die Erde gesteckt und Kinder in Steingrä bern begraben worden waren, war Kabul für mich zu einer Geisterstadt geworden. Einer Stadt mit Hasenschartengeistern.
Amerika war anders. Amerika war ein Fluss, der dahinbrauste, ohne sich um die Vergangenheit zu scheren. Ich konnte in diesen Fluss hineinwaten, meine Sünden in ihm ertränken und mich von seinem Wasser weit wegtragen lassen. Dahin, wo es keine Geister gab, keine Erinnerungen, keine Sünden.
Allein aus diesem Grund nahm ich dieses Land bereitwillig an.
Im folgenden Sommer, dem Sommer des Jahres 1984 — der Sommer, in dem ich einundzwanzig wurde —, verkaufte Baba seinen Buick und kaufte sich für 550 Dollar einen schäbigen alten 71er Volkswagen von einem afghanischen Bekannten, der in Kabul an einer Oberschule Naturwissenschaften unterrichtet hatte. Die Köpfe der Nachbarn drehten sich nach uns um, als wir eines Nachmittags mit dem Bus die Straße hinaufgestottert kamen und er über den Parkplatz hinwegfurzte. Baba schaltete den Motor aus und ließ den Bus leise zu unserem Stellplatz ausrollen. Wir sanken in unsere Sitze, lachten, bis uns die Tranen über die Wangen liefen und — viel wichtiger — bis wir sicher sein konnten, dass die Nachbarn uns nicht mehr beobachteten. Der Bus war ein traurig anzusehender rostiger Schrotthaufen; die kaputten Fenster waren durch schwarze Müllbeutel ersetzt worden, die Reifen fast abgefahren und die Polster bis auf die Sprungfedern zerfetzt. Aber der alte Lehrer hatte Baba versichert, dass der Motor und das Getriebe noch in Ordnung seien, und was das anging, hatte der Mann nicht gelogen.
Samstags weckte mich Baba im Morgengrauen. Während er sich anzog, überflog ich die Kleinanzeigen in den Lokalzeitungen und kreiste die Anzeigen ein, die Garagenverkäufe ankündigten, wo also Privatleute in ihren Garagen Haushaltsgegenstände und Trödel verkauften. Wir planten unsere Strecke: zuerst Fremont, Union City, Newark und Hayward und dann San Jose, Milpitas, Sunnyvale und, wenn genug Zeit übrig war, auch noch Camp bell. Baba fuhr den Bus, trank heißen Tee aus seiner Thermosflasche, und ich dirigierte ihn zu unseren Zielen.