Выбрать главу

Bis zur Versammlung des Rates blieb nicht mehr viel Zeit übrig. Ritor saß in seiner Wohnung, im dritten Stockwerk der Schule, in einem spartanisch eingerichteten, geräumigen Zimmer. Nur ein schmales hartes Bett, ein Waschtisch und ein kleiner Schrank standen darin - das war alles, was man zum Leben brauchte. Den übrigen Platz nahmen ein gewaltiger Schreibtisch sowie große Regale ein, die sich entlang der Wände bis unter die Decke zogen und mit Büchern vollgestellt waren.

Die Tür hatte sich eben erst wieder hinter Taniels Mutter geschlossen.

Ritor presste die Handfläche auf die Stirn und strich sich dann übers Gesicht. Was hätte er der Unglücklichen sagen können? Was antworten auf ihre wütende Raserei, ihre Anschuldigungen? Unterm Strich gab es nichts zu sagen.

Und deshalb hatte er geschwiegen. Gut, dass sein Bruder nicht gekommen war. Das hieß, er gab ihm nicht die Schuld. Das hieß, er konnte ihm verzeihen. Oder hatte er Angst, dass der Zorn mit ihm durchging? Lieber nicht darüber nachdenken ...

Gleich würde der Rat zusammentreten. Für den Krieg stimmen.

Um Torns Kopf auf einem Pfahl aufzuspießen, damit jeder ihn sehen konnte. Um die Erinnerung an den Clan des Wassers vom Antlitz der Erde zu tilgen. Waren sie so stark? Wie auch immer ... Getreu dem Motto: Unsere Sache ist richtig, der Feind wird vernichtet, der Sieg ist unser!

Sie umzustimmen würde unmöglich sein. Selbst die Besten unter ihnen. Also musste er einen Weg suchen, um ihren Zorn umzuleiten. Auf den Drachentöter. Und danach konnte er sich Gedanken machen, wie man den Krieg »seltsam« machte ... bis zu dem Moment, wenn aus den drückenden, dampfenden Nebeln des südlichen Meeres die adlerköpfige Flotte der Angeborenen auftauchte.

Na und? In dieser Situation war eine kleine Lüge verzeihlich. Ich muss den Clan des Wassers schützen, damit er sich mit uns gegen den Feind stellen kann, dachte Ritor. Torn könnte ... hm ... plötzlich verschwinden. Und dann bricht die Zeit des Drachen an. Der Magier der Luft erzitterte unwillkürlich.

In der Nähe läutete ein Glöckchen. Ganz leise, aber eine dienstfertige Brise sorgte dafür, dass der Klang weitergetragen wurde. Ritor erhob sich entschlossen.

Der Rat begann.

Er verließ sein Zimmer, ohne sich die Mühe zu machen abzuschließen, denn keiner würde es wagen, bei ihm einzudringen. Er trat auf die Galerie hinaus, die alle Räume der Schule miteinander verband. Natürlich war für heute kein Unterricht vorgesehen, dennoch waren die Schüler noch nicht auseinandergegangen. Dem großen Saal, in dem der Rat stattfand, kamen sie nicht zu nahe, um keinen Verweis oder gar eine Ohrfeige von unsichtbarer Windeshand zu riskieren - die Magier machten unter Umständen kurzen Prozess. Und dennoch trieben sich im Hof Jungs herum, solche, die noch kaum die Luft spüren konnten, sie taten, als ob sie spielten und blickten doch immer wieder zur Kuppel des großen Saals hinauf. Und im Klassenzimmer mit den ein für alle Mal geöffneten, großen Fenstern, durch die der Wind hindurchpfiff, saßen die älteren Schüler ...

Und wenn schon. So war es schon immer, und so würde es immer sein: Die Schüler überschätzten ihre Kräfte und versuchten zu lauschen, ihren Lehrern etwas abzuschauen. Er war genauso gewesen. Und wenn es dem Jungen wirklich gelingen sollte, dann bedeutete das auch, dass er das Recht hatte, die Entscheidung der Magier zu kennen.

»Seltsam«, bemerkte Ritor gutmütig, »früher habe ich nie ältere Schüler beim Wischen gesehen.«

»Ich hatte das Gefühl, dass es nicht fair ist, immer nur die Jüngeren zum Putzen abzukommandieren.«

»Was für ein weise Idee.« Ritor nickte. »Ich gestatte dir, bis zum Tag deiner Prüfung täglich hier zu putzen.«

Der Junge blickte bekümmert auf den Lappen in seiner Hand, während Ritor weiterging.

Sie hatten bereits einen magischen Schutzwall errichtet, und er war so stark, dass Ritor nicht mehr nachbessern musste. Der runde Saal, in dem sich fast dreißig Leute versammelt hatten, war entlang der Wände von einem Kokon aus Winden umgeben. Es stand nichts Überflüssiges herum, nur Korbstühle und in ihrer Mitte ein Korbtisch mit einigen Büchern darauf, für den Fall, dass einen von ihnen das Gedächtnis im Stich ließ und sie gezwungen wären, in den alten Lehren, in den zwar nutzlosen, aber hoch geachteten Weisheiten der Jahrhunderte, nachzuforschen. Die Luft im

Geheimhaltung. Vielleicht übertrieben, aber vielleicht auch unzulänglich. Auf jeden Fall war es besser, sie zu wahren.

Alle Blicke waren auf Ritor gerichtet. Der Magier hob die Hand und begrüßte seine Gefährten. Ein Kampf stand bevor. Ein gutartiger Kampf unter Freunden, die das Gleiche wollten, aber verschiedene Taktiken verfolgten. Die schwerste Form des Kampfes.

»Wer hält mich für einen Feigling?«, fragte Ritor. Er wartete, bis sich die Stille gesetzt hatte, und schritt gemächlich zur Mitte des Saals. Prüfend ließ er den Blick über die Magier des Clans schweifen und überlegte wie schon unzählige Male zuvor, wer von ihnen gleich zustimmen, wer sich überzeugen lassen und wer bis zuletzt an seiner Auffassung festhalten würde. »Dann werde ich jetzt etwas sagen, was nicht allen gefallen wird. Den Feind kann man auf verschiedene Weise besiegen. Man kann ihn vernichten. Wenn die Kräfte ausreichen ...«

Ein leises, unzufriedenes Gemurmel war zu vernehmen. Aber niemand erhob Einwände; unter den hier Versammelten gab es keine Dummköpfe und Wahnsinnigen.

»Oder man erkennt die Absichten des Feindes - und macht diese zunichte.«

»Bist du sicher, dass du ihre Absichten erkannt hast?«, erklang eine leise Stimme, die Ritor erschaudern ließ. Kan, der Unglückliche, der zwar nie ein guter Magier geworden

»Ja, Bruder«, sagte Ritor leise. »Ja, das bin ich.«

»Das heißt, mein Sohn bleibt nicht ungerächt?«

Ritor nickte nur.

Er hatte nicht den Mut, dieses Versprechen laut zu geben, denn er wusste nicht, ob er es halten konnte.

Viktor öffnete die Augen, als der morgendliche Friede von zornigen Schreien zerrissen wurde. Draußen herrschte ziemlicher Lärm.

»Deine Hände sollen austrocknen! Soll dich ein Stromschlag treffen! Ach, wenn dich doch ein verrückter Magier in eine stinkende Kröte verwandeln würde!«

Die verschnörkelten Verwünschungen beraubten Viktor der Gelegenheit, sich wenigstens unmittelbar nach dem Aufwachen, noch ehe er die Augen geöffnet hatte, für ein paar Minuten wie zu Hause zu fühlen. Nein. Er war noch immer hier, in dieser verrückten Mittelwelt, wo des Nachts Tote umherwandelten, die seit Jahrhunderten keinen Frieden fanden, wo die Straßen elektrisch beleuchtet waren und in den Hotels Elfen als Nachtwächter arbeiteten. In dieser Welt, die sowohl ein Zaubermärchen als auch ein realer Alptraum sein könnte ...

Ihr Zimmer war gemütlich, aber nicht groß. Es war sicher nicht das beste Zimmer des Hotels, wie der rothaarige Jüngling gestern Abend versprochen hatte. Viktor blickte auf das Bett an der gegenüberliegenden Wand - es war leer. Der Überwurf war ordentlich übergelegt, und hinter der Badezimmertür war es still. Viktor war beinahe froh, dass Tel verschwunden war. Er stand auf und warf einen Blick zum Fenster hinaus, ehe er sich anzog.

»Wer schärft so ein Schwert? Ich frage dich, wer?«

Im Hinterhof des Hotels, wo ein kleiner Garten angelegt war, stand die junge Wirtin des Restaurants und keifte auf einen älteren Mann ein, der, wenn nicht ihr Großvater, so doch mindestens ihr Vater hätte sein können. Der aber dachte gar nicht daran, sich zu rechtfertigen; als müsste er seine Schuld eingestehen.

»Das soll ein Schwert sein? Das ist ein Tafelmesser!« Rada hob die Klinge von eindrucksvollem Ausmaß etwas über den Kopf und hielt sie dem Mann direkt unter die Nase. »Schau her ...«

Ohne jede Anstrengung wirbelte sie das Schwert herum und hieb einen Ast von einem ganz und gar unschuldigen Baum ab. Einen Ast so dick wie ein Arm ...

»Und?« Rada stieß die Klinge in die Erde, hob den Ast vom Boden und wies auf die Schnittstelle. »Das soll ein Elfenschliff sein?«