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»Es musste sein«, sagte sie. »Ärgere dich nicht, Viktor. Nun ja, du kannst ... du kannst mich natürlich verhauen, wenn du willst. Mir den Pelz gerben. Soll ich die Hosen runterlassen?«

Viktor verschluckte sich an seinem Butterbrot. Er hatte sich nie als sadistischen Pädophilen mit Neigung zur Flagellation gesehen.

»Wenn ich geblieben wäre, hätte Gotor mich getötet«, sagte Tel schlicht und wandte ihren bohrenden Blick nicht von ihm ab. »Ich musste ihm die Räuber opfern.«

»Opfern? Du hast sie in den Tod geschickt? Sogar den Jungen?«

Tel verzog das Gesicht, als würde sie etwas Unhörbarem lauschen. »Der Junge lebt, Viktor. Mach dir keine Sorgen um ihn.«

»Woher weißt du das?«

»Ich spüre es«, sagte Tel mit unerschütterlicher Gewissheit. »Er ist verletzt, hat viel Blut verloren, aber das macht nichts. Sie kommen ihm zu Hilfe. Die Gnome, weißt du, sie verabscheuen die Strafkommandos ... Aber wer würde sie nicht verabscheuen, diese Unholde!«

»Das heißt, du wusstest, dass ein Strafkommando hinter uns her ist?«

»Natürlich. Von Anfang an. Das war unvermeidlich, Viktor. Ich war mir zwar ganz sicher, aber ich musste trotzdem eine kleine Untersuchung durchführen. Es gibt nur noch eines zu erledigen. Auf der Brücke.«

»Was denn für eine Brücke?«, fragte Viktor hilflos. Sein Ärger war spurlos verraucht.

»In Rjansk gibt es eine Brücke«, erklärte das Mädchen bereitwillig. »Dort entscheidet sich alles.«

»Wie meinst du das?« Aus irgendeinem Grund wurde Viktor innerlich eiskalt. In Tels Worten lag etwas Dunkles ... etwas, das nach Blut roch.

»Gotor hat den Befehl, dich zu töten, ganz gleich, wie. Aber er hat nicht den Befehl, sich mit den Gnomen anzulegen. Die Route ist unantastbar. Das heißt also, Gotor wird sich deiner annehmen, sobald du den Zug verlässt.«

»Das war mir auch schon klar«, brach es aus Viktor heraus.

»Gotor hat dich mit einem Überwachungszauber belegt. Es ist keine sehr starke Formel, aber auf diese Weise hat er dich praktisch immer an der Leine. So braucht er kein Risiko einzugehen. Er hält das Strafkommando im Abteil zurück, um einen Kampf im Zug zu vermeiden. Er wird dich erst in dem Moment angreifen, in dem du das Treppchen runtersteigst. Es war sehr klug von dir, mich in Luga nicht zu suchen. Du wirst gewusst haben, dass ich dich von selbst ausfindig mache. Wir müssen Gotor überlisten. Und die Brücke ist dafür die beste Gelegenheit. Dem Magier des Wassers würde es doch nie in den Sinn kommen, dass du versuchen könntest, ihm auf dem Fluss zu entkommen, gerade da, wo seine Macht besonders groß ist. Aber genau das werden wir tun.«

»Gut, aber wie?«

»Ganz einfach. Hör zu und unterbrich mich nicht.« Tel zog zum Spaß die Augenbrauen hoch, wie eine strenge Lehrerin. »Wenn wir über die Brücke fahren ... Halt, nein. Ich sag es lieber nicht, am Ende belauscht uns einer von Gotors

»Na gut«, sagte Viktor eilig.

Eine Weile lang kauten sie schweigend.

»Um den Grenzer und seine Söhne brauchst du nicht zu trauern«, sagte Tel schließlich, ohne ihre Mahlzeit zu unterbrechen. »Sie sind glücklich gestorben, weil sie verteidigen durften, was ihnen am teuersten ist.«

»Aber warum, Tel, haben sie mich immer mit ›Herrscher‹ angeredet? Warum haben sie mir dieses Amulett gegeben? Und was hat es zu bedeuten?«

Das Mädchen runzelte die Stirn und betrachtete aufmerksam das Medaillon.

»Das Bild ist dir wirklich sehr ähnlich«, sagte sie sorgenvoll. »Ob das nötig war ... keiner wusste, dass die Wächter den alten Schwüren so die Treue halten.«

»Was für alte Schwüre?«, fragte Viktor begierig. Natürlich war ihm noch bewusst, dass er sich vor allzu detaillierten Fragen hüten musste, aber bisher blieb alles ruhig.

Tel blickte ihn wieder durchdringend an, ganz so, als ob sie sich über ihn wunderte.

»Lass uns vorerst nicht darüber reden. Wir wollen doch nichts Böses heraufbeschwören. Das heißt ... Horch in dich hinein, Viktor! Ist es richtig, dass du mich danach fragst? Das Medaillon bedeutet, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Dass du ein Mensch der Mittelwelt bist und keiner von der vergifteten Anderen Seite. Weißt du noch, was ich dir von unseren Vorfahren erzählt habe?«

»Dass sie gemeinsam gekämpft haben ...«

»Genau. Und nun hast du den Beweis.«

»Aber du hast doch selbst gesagt, dass es ähnlich ist! Und ähnliche Leute gibt es jede Menge!«, nörgelte Viktor. Von diesem ganzen hochgestochenen Gerede wusste er nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. »Es gibt so viele Doppelgänger auf der Welt!«

»Stimmt«, nickte Tel. »Vielleicht ist es reiner Zufall. Aber vielleicht ist es tatsächlich das Porträt eines deiner Ahnen. Vielleicht deines Großvaters oder Urgroßvaters.«

»Schön.« Viktor hielt es nicht aus. »Aber warum wollen diese Typen vom Clan des Wassers mich töten?«

»Warum? Weil sie wissen, wer dein Großvater war«, erklärte Tel energisch. »Oder sie meinen, dass sie es wissen ... das reicht schon.«

»Heißt das, dass sie das Medaillon gesehen haben?«, fragte Viktor dumpf.

Tel verschränkte die zierlichen Arme.

»Es stimmt also: Wenn ein Mann seinen Zorn unterdrückt, dann vergiftet der all seine Gedanken. Ich hätte wahrscheinlich doch die Hosen runterlassen sollen, damit du mir eine Tracht Prügel verpasst. Vielleicht könntest du dann besser nachdenken. Natürlich haben sie kein Medaillon gesehen. Sie sind mir gefolgt, haben versucht, mich am Übergang zu überfallen ... aber als sie dich dann sahen, waren sie voll und ganz überzeugt. Und die Jagd begann. Das ist alles ganz einfach. Aber du musst wissen, Viktor, dass du Gotor nicht so einfach überwinden kannst. Er ist ein starker Magier.«

»Was soll ich tun?«

»Was glaubst du denn? Kämpfen natürlich.« Plötzlich hob sie das Kinn und sah einen Augenblick aus wie ein

Viktor brach kalter Schweiß aus. Das Ganze wirkte wie eine Art Perversion.

»Los jetzt!«, flüsterte Tel.

Er musste ihrem Vorschlag folgen. Das Mädchen machte sich daran »zu stöhnen«, was ihr so überzeugend gelang, dass Viktor augenblicklich die Röte ins Gesicht schoss.

»Gut, das ist erst mal genug«, wies Tel ihn an. »Das reicht für eine Weile. Jetzt können wir uns wieder unterhalten. Obwohl es natürlich besser wäre, nicht zu reden. Bis Rjansk ist es noch ewig. Dort könnte es heiß werden. Ruh dich bis dahin am besten aus.«

»Tel, sag mir noch, was bist du für eine? Jaroslaw - also der Sohn des toten Grenzers - hat gesagt, dass es vier Elementare Clans gibt und außerdem jede Menge Tierclans. Und du? Wozu gehörst du?«

Tel blickte Viktor streng an.

Jetzt wird sie gleich wieder sagen, das brauche ich nicht zu wissen, dachte Viktor bedrückt. Aber es kam anders. Tel seufzte leise und legte ihr Kinn auf die verschränkten Finger ihrer Hände. Es sah aus, als warte sie darauf, dass er von sich aus Abstand von seiner Frage nahm.

Aber Viktor spürte nichts Beunruhigendes. Fürs Erste.

»Woher ich bin ... nicht von den vier Elementen, Viktor. Und auch nicht von den Totemistischen Clans, den Tierclans, wie die einfachen Leute sie nennen.«

Tels Art zu sprechen passte auf einmal überhaupt nicht mehr zu einem dreizehn- oder vierzehnjährigen Mädchen. So konnte nur eine Frau sprechen, die durch die Jahre und ihre Sorgen weise geworden war. Eine, die viel erlebt und gesehen hatte.

»Du wirst ohnehin bald schon alles erfahren. Ich habe große Angst, etwas zu verdrehen, dich zu beeinflussen ... Du stehst jetzt praktisch auf einem Hügel ... du kannst den Weg nach rechts oder nach links, geradeaus oder zurück nehmen. Und wovon das abhängt, wohin du dich wendest, das wissen nur die wenigsten. Ritor weiß es vermutlich. Und Torn. Und noch zwei, drei andere Magier ...«

»Ritor, wer ist das?« Viktor fühlte sich plötzlich nicht mehr wohl. Der Name hatte etwas Erschreckendes an sich, wie das Pfeifen eines tödlichen Windes über einer verbrannten Wüste. »Und wer ist Torn?«