»Ritor ist der mächtigste Zauberer des Clans der Luft. Und wahrscheinlich der stärkste Magier der ganzen Mittelwelt, wenn man mal vom Hüter absieht. Torn ist sein ewiger Kontrahent, der beste Zauberer des Wassers ...« Sie blickte Viktor durchdringend an, als wollte sie prüfen, wie er ihre Worte aufnahm.
Ritor ... Ritor ... nein, in diesem Namen kommt weit mehr zum Klingen als eine besondere Lautfolge. Ritor, Ritor, Ritor, das Pfeifen eines kämpferischen Windes, das Rauschen geöffneter Flügel, unbarmherziger Zorn, ein mit schwerem Panzer bedeckter Körper gleich einem ungestümen Bergmassiv, das durch die Wolken stößt. »Du bist gekommen, Drachentöter«, ertönt eine donnernde Stimme hinter den Wolken. »Nun gut, dann werden wir kämpfen. Die Stunde ist gekommen, und ich werde nicht vor dem Schicksal davonlaufen.
Zwei abgekämpfte Menschen, ein Mann und eine Frau, ein schwarzes Schwert in der Hand des Mannes, der einen Helm trägt. Unüberwindbare Härte im Blick der Frau, die bereit ist, zu sterben, und sich nicht ergeben wird. Sie laufen nicht davon. Sie werden mit dir kämpfen, Drachentöter-Viktor. Bis zum Ende kämpfen, denn das schlichte Wort »Ehre« bedeutet für sie mehr als nur vier Buchstaben. Du, Viktor - oder nicht Viktor? - konntest das nie ganz begreifen. Schließlich kann man alles überstehen, wenn man kein verweichlichtes höheres Töchterchen ist. Man kann sich nach jeder Demütigung wieder erheben. Man kann alles für einen Sieg tun. Du hast schon viel getan. Aber jene nicht. Sie können nicht fortlaufen, sie können dem Feind nicht den Rücken zuwenden. Sie sind schon bis zur äußersten Grenze zurückgewichen, bis zum Rand der Welt, weiter können sie sich nicht zurückziehen. Jetzt bleibt ihnen nichts anderes übrig, als zu sterben.
Der Mann hebt das schwarze Schwert und bringt sich in Position. Hinter dem Drachentöter sammelt ein ungestümer, feuerflammender Wind seine Kräfte, ein Wind, der bereit ist, jedes Hindernis und jeden Schutzwall zu zermalmen. Wie viel Blut und Tränen müssen vergossen werden, damit ein Wind so grenzenlos mächtig werden kann? Damit der Drachentöter die Gewalt über diese Kräfte erlangt, Kräfte, die in der Lage sind, die steinernen Festungen der Machthaber zu vernichten und ihr ganzes verfolgtes Geschlecht auszulöschen?
Die Beine schreiten weich auf der feuchten Erde. Über der rechten Hand reift ungestüm ein Feuerapfel heran. Alle
Um einen kleinen Preis.
Diese beiden erhalten, was sie verdienen. Das Gericht trat schon vor langer Zeit zusammen. Und hat das Urteil verkündet. Zu Recht wurden sie schuldig gesprochen, und das Urteil wird dadurch bekräftigt, dass es dem Drachentöter in seinem heftigen Streben auf diesen letzten Kampf hin vergönnt war, alle Prüfungen zu bestehen und alle Gegner zu überwinden.
»Lass uns beginnen«, sagt der Drachentöter, und Viktors ganzer Körper wird von einem Schauder süßer Vorahnung erfasst. Tief in ihm, tief im Verborgenen rührt sich sein ureigenstes Wesen. Ist es am Ende wirklich sein Schicksal, Drachen in Märchenwelten zu töten?
»Lass uns beginnen«, stimmt der Drache mit dem geschlossenen Helm zu.
»Lass uns beginnen«, nickt auch seine Gefährtin.
Und - wie merkwürdig! - er, Viktor, der sowohl Teilnehmer als auch Zuschauer dieses längst vergangenen Duells ist, verspürt Gewissensbisse. Die beiden Drachen wären mit ihm fertig geworden, als er noch jünger und schwächer war. Aber jetzt nicht mehr. Dies ist kein Kampf - sondern eine Hinrichtung. Die Vollstreckung eines Urteils. Und er, der Drachentöter, ist nicht mehr ein Soldat, sondern der Henker. Was denn, dafür hat er seinen Namen, Drachentöter, weil er seine Opfer tötet. Er hat nicht das Recht, sich dem Mitleid zu überlassen. Die Mittelwelt muss die Freiheit erhalten. Die schrecklichen, verfluchten Burgen auf den hohen,
»Lass uns beginnen«, wiederholt der Drachentöter. In seiner Hand hält er die zu einem Knäuel verdichtete Kraft des Feuers. An seinen Schultern spürt er die aufgespannten Flügel des Windes. Unter seinen Füßen den wartenden Schlund der Erde.
Und diesen Mächten tritt ein schwarzes Schwert gegenüber. Ein einfaches Schwert mit einer Klinge aus brüniertem Stahl. Und ein geschlossener Helm. Die Frau zückt ein langes, bildschönes Florett. In die linke Hand nimmt sie einen Dolch. Sie steht neben ihrem Mann.
Zwei gegen einen - aber sie wissen, wie ungleich die Kräfte jetzt verteilt sind.
Die Drachen warten ruhig ab. Sie haben schon alles erlebt. Niederlage, Verwüstung, Flucht. Sie haben gesehen, wie ihre Verwandten im eigenen Feuer verbrannten. Wie die Mauern ihrer Burgen einstürzten und ihre in Jahrhunderten zusammengetragenen Bibliotheken sich in Asche verwandelten, Bibliotheken, in denen - wie es heißt - die Weisheit aller drei Welten gesammelt war.
Dennoch werden sie niemals bitten: »Schneller ...«
Der Drachentöter zieht vorsichtig, als handle es sich um eine ungewöhnliche Kostbarkeit, seinen krummen Säbel aus reinem weißem Stahl aus seinem Gürtel hervor. Die Klinge ist weiß, ohne eine Spur von Farbe, weiß wie der Schnee bei der Grauen Grenze.
Auch der Drachentöter will nicht unehrenhaft handeln, indem er jene tötet, die seiner Kraft jetzt beinahe wehrlos gegenüberstehen. Und Viktor spürt, wie sich seine Brust vor Begeisterung zusammenzieht: Er ist der Drachentöter, und er ist dankbar, und auch er weiß, was Ehre ist. Er bemüht
Jetzt bringt er sich in Position ...
»Viktor!« Ein Schwall eiskalten Wassers traf ihn im Gesicht.
Er öffnete die Augen.
Das Klopfen der Räder, der gleichmäßig schaukelnde Waggon. Die fest verschlossene Tür - mit Riegel und Kette. Und eine erschrockene Tel mit einem Krug in der Hand.
»Du warst plötzlich ... so entrückt«, sagte sie schuldbewusst. »Und du hast nicht mehr geantwortet. Irgendetwas hat dich fortgeführt, oder? Hast du etwas gesehen?«
»Tel, ich ...«
»Nein, erzähl mir nichts!« Eilig bedeckte sie ihre rosigen Ohren mit den Handflächen. Wie ein erschrockenes Mädchen, das von den Eltern zu einem ernsten Gespräch aufgefordert wurde. »Ich will nichts hören. Und denk daran, du musst alles selbst entscheiden! Sonst ... sonst ...« Ihre Stimme wurde leiser: »... sonst wärst du besser gar nicht erst hierhergekommen. Es ist eine schreckliche Vorstellung, was du anrichten könntest, wenn ... wenn du nicht du selbst bist.«
»Nicht ich selbst?« Viktor war aufrichtig verwundert.
»Ja, ja. Denn das bedeutet höllische Qualen, die Folter aller Foltern, und kein Lebewesen vermag sie zu ertragen. Deshalb habe ich auch solche Angst ... dich versehentlich in irgendeine Richtung zu beeinflussen. Denn die Kraft eines vor Schmerz zermarterten Herzens ist schlimmer ...«
»Als mit einem Verrückten allein im Zimmer ...«, schloss Viktor. Er konnte es sich nicht verkneifen, die ernste Stimmung für einen Moment aufzubrechen, denn trotz allem wirkten Tels Worte irgendwie kindlich und harmlos auf
»Mach dich nicht lustig«, sagte Tel beleidigt. Sie schob schmollend die Lippen nach vorne und blickte eine Weile zum Fenster hinaus. »Mach dich nicht lustig. Denn das ist die Wahrheit, und über die Wahrheit soll man keine Scherze machen. Das rächt sich.«
»In Ordnung, ich tu’s nicht mehr«, stimmte Viktor ergeben zu. »Dann sag mir jetzt mal, wie lange ist es noch bis Rjansk.«
»Wir kommen etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang dort an.«
»Tel ... leben deine Eltern noch?«, fragte Viktor unerwartet.
»Als ich noch ganz klein war, war Mama in einen Aufstand verwickelt. Die Rebellion wurde niedergeschlagen. Die Anstifter wurden hingerichtet. Der Drache war barmherzig. Er tötete alle schnell und auf einen Schlag. Keiner wurde lange gequält, und später wurden ihre Körper sogar den Angehörigen übergeben, damit diese die Leichname bestatten konnten. Das passierte nicht oft.«