Gotor und zwei weitere Magier glitten gleichmäßig über die Wasseroberfläche hinter Viktor her. Sie glitten wie auf Wasserskiern, leicht und unverkrampft. Auf ihren Mienen lag unverhüllter Triumph. Jetzt, jetzt, jetzt ...
Wo war der vierte Krieger geblieben?
Natürlich, sie würden nicht zulassen, dass er das Ufer erreichte und an Land ginge.
»Dein Ende naht, Selbsternannter!«, kreischte Gotor voller Vorfreude.
Viktor spürte schon den Boden unter den Füßen, als es dem Magier endlich wieder gelang, das Wassermonster zu erschaffen.
Die gigantisch große Gestalt berührte mit ihrem Haupt die Krümmung der Brücke an ihrem Scheitelpunkt. Hunderte von Wasserstrahlenhänden griffen nach Viktor, der wie erstarrt bis zum Hals im Fluss stand und das nutzlose Elfenschwert in der herunterhängenden Hand hielt ...
Man weiß ja, »die Wellen ersticken den Wind«. Aber auch das Gegenteil ist richtig.
Eine unsichtbare Faust aus Winden, die über der niedrigen Flussebene ihre Kraft gesammelt hatte, stürmte über Viktors Kopf hinweg.
»Töten, töten, töten!« Tausende von Stimmen erschallten tosend in seinem Bewusstsein.
Ein pfeifender Luftstrom, so gewaltig, dass er dicke Bäume vernichten und Dächer von steinernen Schlössern reißen konnte, raste über Viktors Kopf hinweg, wo er noch vom lebendigen Feuer genährt wurde. Dieser vor Zorn tobende Luftstrom prallte mit dem Wassermonster zusammen, das Viktor schon beinahe erreicht hatte.
So musste es ausgesehen haben, wenn früher auf den großen Dampfschiffen die Wasserkessel explodierten, allerdings sehr große Kessel, von der Größe eines Wachturms. Eine riesige Dampfwolke breitete sich aus, in alle Richtungen spritzten weiße dampfende Strahlen, die aussahen wie in Agonie kreisende Arme.
Eine Flammenklinge fuhr in die Höhe, stach in den Giganten aus Wasser, jedoch war jeder Zoll unendliche Mühe. Das Wasser attackierte mit eisiger Kälte, versuchte die Flamme zu ersticken, zu löschen, versuchte den glühend heißen Wind auf jene Flussseite zu zwingen, die sich in
Flügel, die ihr die Welt umfangt, Pranken, die ihr die Welt stützt, Flamme, die du die Welt verbrennst, Verstand ... ist es möglich, dass diese erbärmlichen Kreaturen, die sich ihre paar Brocken Magie am Tisch ihres Herrn zusammengebettelt haben, tatsächlich wieder die Oberhand gewinnen?
Viktors Kehle entriss sich ein Aufschrei; nicht nur ein Aufschrei, nicht nur ein Brüllen, nicht nur ein Heulen, nicht nur ein Toben, sondern alles zusammen, ein Posaunenton, der allem Lebenden bedeutete, dass es an der Zeit war, zu fliehen, dass sein Zorn keine Grenzen mehr kannte, dass der sich retten sollte, der dazu noch in der Lage war.
Die Dampfwolke hatte sich schon hoch über die Brücke erhoben. Der Wasserdämon wich bedrängt vom Feuerwind Schritt für Schritt zurück; von rechts tauchte Gotor wieder auf, mit verzerrtem Gesicht, in seiner Hand fast wie eine Verlängerung des Arms tobte eine Peitsche; von den Seiten kamen die zwei verbliebenen Kämpfer mit dem Mut der Verzweiflung; solange Viktor mit dem Ungeheuer kämpfte, schnitten die Magier ihm den Weg zum Ufer ab. Er würde weiter bis zum Hals im Wasser kämpfen müssen.
Viktor hob das Schwert über seinen Kopf.
»Du wirst doch sterben«, schrie Gotor mit heiserer Stimme. »Wir weichen nicht von dir ...«
Wahrscheinlich hätte sich dieser Magier noch etwas anderes ausdenken können; aber aus irgendeinem Grund versuchte er Viktor mit einer einzigen Kraft zu vernichten.
Drei Peitschen stießen in die Luft direkt neben seinem Kopf. Sie trafen aufeinander und explodierten in Garben rasiermesserscharfer Spritzer. Über Viktors Wangen, Stirn und Schläfen tropfte Blut, lief in seine Augenwinkel. Er fühlte keinen Schmerz, aber sein Zorn steigerte sich noch mehr, als er das Blut im Mund schmeckte.
Viktor sprang nach vorne und riss dabei mit der Brust das Wasser auf, das im Begriff war, zu gefrieren; die Oberfläche zerbarst in Myriaden von schneidend scharfen Eisstücken. Das Eis hatte nicht genug Zeit gehabt, sich zu schließen, und zerstob nun in alle Richtungen, genau wie wenn in einem amerikanischen Actionfilm ein gewaltiges Schaufenster zu Bruch geht. Viktor befand sich jetzt neben Gotor, dessen Peitsche durch die Wasserschicht hindurch auf ihn zuschoss, brennender Schmerz erfasste seine Schulter, und Viktor stach, ohne hinzusehen, mit dem Schwert zu.
Der Fluss explodierte förmlich an der Stelle, wo sein Schwert eingedrungen war, als hätte er eine Kiste Dynamit dort fallen gelassen. Eine Wassersäule, vermischt mit Dampf und Feuer, spritzte fast bis zur Brücke hinauf. Da, wo eben noch einer der Magierkämpfer gestanden hatte, war nur noch ein blauschwarzer Fleck übrig geblieben, der fettig glänzte wie vergossenes Erdöl.
Alle erstarrten zu Stein. Auch Viktor und Gotor.
Dann ergriff der Magier die Flucht.
Und Viktor verfolgte ihn nicht.
Nass bis auf die Haut, schwankend und das Schwert hinter sich her zerrend, kletterte Viktor endlich ans Ufer. Noch immer lief Blut über sein Gesicht, die unzähligen kleinen Schnitte und Verletzungen brannten wie Feuer, an seiner rechten Schulter hatte er eine schwere Wunde von der Wasserpeitsche. Viktor warf einen Blick auf die Schwertschneide; sie war oxidiert, als wäre sie in Säure getaucht worden. Vorerst taugte es nur noch zum Spänemachen - bis es wieder neu geschliffen würde.
Nass und zitternd blieb er neben einigen Büschen stehen. Er brauchte ein Feuer, so schnell wie möglich. Tel ... wo war Tel? Wieder war sie verschwunden, hatte ihn mit Gotor und dessen Männern allein gelassen, und wahrscheinlich wieder aus irgendwelchen höheren Überlegungen heraus.
Seine Zähne klapperten einen Trommelwirbel. Seine zerschnittene Stirn brannte unbarmherzig. Viktor fuchtelte ungeschickt mit dem Schwert herum, um ein paar Zweige abzuschlagen; sie waren feucht und würden schlecht brennen, aber er wusste sich nicht anders zu helfen ...
Er wühlte in seinen Taschen. Hatte er ein Feuerzeug?
Der grau-metallische Zylinder, ähnlich einem Zippo-Feuerzeug, hatte ein seltsames Emblem an der Seite: Eine schwarze getrocknete Rose wurde schützend von zwei Händen eingerahmt.
Es war das Wappen der Wächter der Grauen Grenze.
Nach einigen erfolglosen Versuchen gelang es Viktor, das Feuer zu entzünden.
Er wrang seine Kleidung aus; zitternd vor Kälte hängte er sie in den Büschen auf. Jetzt musste er nur noch um das Feuer laufen, so wie Tel und er es nach ihrer Ankunft in der Mittelwelt getan hatten.
Er lief zum Fluss und wieder zurück. Aus irgendeinem Grund war er sich sicher, dass die Magier nicht zurückkehren würden. Jedenfalls fürs Erste nicht.
Der Fluss war verlassen und machte in seiner Verlassenheit einen erhabenen Eindruck. Die Dunkelheit verdichtete sich, auf beiden Seiten des Flusses brannten Feuer neben den Wachtürmen der Gnome. Sonst gab es keine Anzeichen irgendwelchen Lebens und keine Spur von Tel.
Und dann kam es über ihn, mit einem abrupten Schlag: Wie konnte ich das tun? Wie konnte ich mich retten? Was war mit mir? Wie habe ich das gemacht? Das Feuer, der Dampf, die Explosion ...
Und der Hass. Noch immer fühlte er sich irgendwie betrunken. Noch immer war vor seinen Augen alles etwas unscharf. Und seine Hände zitterten wie nach einem Besäufnis.
Wieder hatte er getötet. Und dazu noch mit Vergnügen. Für den Grenzer. Und für seine Söhne. Für den jungen Slawa, den er an einem namenlosen Bahnhof im Norden zurückgelassen hatte. Wenn Viktor es vermocht hätte, so hätte er alle Pappeln im Umkreis gefällt, weil ihr Flaum zu dieser herbstlichen Jahreszeit das warme Jungenblut aufgesaugt hatte ...
»Und ich habe sie doch gerächt«, sagte Viktor. »Auch wenn Gotor davongekommen ist, zwei dieser Killer werden jedenfalls niemanden mehr töten.«