Asmund wurde noch röter und schlug sogar die Augen nieder.
Ritor zog kaum merklich die Augenbrauen nach oben. Sandra war überall in der Lage, sich zu vergnügen, sogar auf dem Schlachtfeld. Die Zauberin begriff seine Andeutung augenblicklich und blinzelte schuldbewusst, ohne auch nur einen Zentimeter von Asmund abzurücken.
Die Formel zur Erschaffung des Drachentöters gehörte von alters her zu den bestgehüteten Geheimnissen überhaupt. Schülern wurde sie niemals anvertraut. Nur Magiern ab dem dritten Rang aufwärts.
Die Magie der Luft erforderte vor allem geistige Konzentration, und diese musste vollkommen und ungestört sein. Ritor fasste Asmund an der einen Hand und streckte Sandra die andere hin. Das älteste unter den traditionellen Verfahren war der Kreis, bei dem die Kräfte der wirkenden Zauberer zusammenflossen.
Es war nicht unbedingt nötig, einen so gefährlichen Zauber wie die Windflügel zu wirken, die eine ganze Stadt vernichten konnten. Ritor verstand es meisterhaft, verschiedene Varianten anzuwenden. Er hatte den Drachentöter am Haken und konnte jetzt einen unsichtbaren Kundschafter an dessen Fersen heften, der für sie in Erfahrung brachte,
Die straff gewirkte Formel rief bei allen einen heftigen ruckartigen Schmerz hervor. Mit Leichtigkeit überholte der luftige Bote den Zug und strebte seinem nur für ihn sichtbaren Ziel entgegen. Er war nicht fähig, zu töten oder irgendwelchen Schaden zuzufügen. Er konnte Kunde einholen, und danach würde er zerfallen, aufhören zu existieren. Die Fähigkeit, einen solchen Verfolger über längere Zeit am Leben zu erhalten, galt als eine der größten Künste der Magie.
Ritor und seine beiden Mitschöpfer mussten ziemlich lange warten. Aber endlich ...
Das Abteil füllte sich mit der unsichtbaren, aber deutlich spürbaren Kraft des Wassers. Eines aufgepeitschten, tobenden Wassers, das zürnte und außer sich war vor Raserei. Ein hellblaues Glühen erfüllte die Luft, das von rot-weißen Strichen unterbrochen wurde - dort tobte ein Kampf.
Sandra und Ritor blickten starr vor Staunen auf das Schauspiel, das sich ihnen bot. Auch Asmund war fassungslos, konnte sich aber nicht dazu durchringen, Fragen zu stellen.
»Gegenzeit«, bemerkte Ritor. »Interessant ...«
»Warum greifen diese verfaulten Pottwale vom Clan des Wassers den Drachentöter an?«, fragte Sandra.
»Vermutlich haben sie ihn nicht richtig angegriffen«, sagte Ritor mit einem Kopfschütteln. »Erstens ist Gegenzeit, und zweitens kann ich mir nicht vorstellen, dass Torn nichts von unseren Flügeln weiß. Er will uns damit ablenken, Sandra. Er will uns glauben machen, dass jener nicht der Richtige ist, und maskiert gleichzeitig die Weihe mit einem Kampf.«
»Ich verstehe es immer noch nicht, zur öligen Sprotte noch mal! Warum spielen sie den Angriff nur? Wen will er damit ablenken? Uns?«
»Ich vermute, Torn hat sich überlegt, dass die beste Methode, uns davon zu überzeugen, dass dieser Bursche nicht der Drachentöter ist, darin besteht, ihn selbst anzugreifen. Das ist alles. Nicht besonders raffiniert, aber unter Umständen wirkungsvoll. Torn kann schließlich nicht wissen, was wir dank der Flügel erfahren haben. Er weiß nicht, dass wir das wahre Wesen des Neuankömmlings von der Anderen Seite gesehen haben. Er ist der Drachentöter, daran gibt es keinen Zweifel. Und wenn wir ihn vernichten, wird so schnell kein neuer erscheinen.«
»Aber was ist dann mit dieser verdammten Krake, diesem Drachen der Angeborenen?«, fragte Sandra unumwunden. »Wenn wir den Drachentöter vernichten?«
»Dann werden wir die vereinten Kräfte der Elementaren Clans benötigen. Die konzentrierte Kraft aller, um unserem Drachen zu helfen. Seine Zeit wird kommen, aber die Angeborenen könnten mit ihrem Drachen schneller sein«, erklärte Ritor.
Die Zauberin nickte.
»Schaut her!« Ritor deutete mit einem Nicken auf das blaue Glimmen, das immer schwächer wurde. Auch die dunkelroten und weißen Fäden darin verschwanden. »Die Weihe ist abgeschlossen. Der Kampf ist zu Ende. Und die Krieger vom Clan des Wassers haben sich zurückgezogen. Wie ich es vorhergesagt habe. Was willst du fragen, Asmund?«
»Meister, heißt das, dass wir jetzt gegen Torns Leute kämpfen müssen? Werden sie an der Seite des Drachentöters bleiben und ihn beschützen?«
»Eine gute Frage«, antwortete Ritor in unverbesserlicher Lehrermanier. »Nein, Asmund, für Torn ist es wichtig, dass dieser unselige Bursche sich selbst als Drachentöter erkennt, und das so schnell wie möglich. Ich könnte mir vorstellen, dass sie sogar jemanden an seiner Seite getötet haben, um seinen Zorn zu entfachen ... Torn ist erbarmungslos; und er würde auch unbesehen jemanden aus seinem Strafkommando opfern, jemanden von niedrigem Rang, nur um so sein Ziel zu erreichen. Aber jetzt hat das Wasser den Rückzug angetreten. Torn kann sich ja ausrechnen, dass wir nicht untätig herumsitzen. Warum sollte er einen erfahrenen Magier, einen, der mindestens im dritten Rang steht, großer Gefahr aussetzen? Sicher, solche, die im sechsten Rang und tiefer stehen, können ruhig umkommen - aber einen wirklich wertvollen Krieger wird Torn schützen wollen.«
»Ich habe verstanden, Meister«, sagte Asmund voller Ehrfurcht.
»Also gut, lasst uns die Zauberformel löschen«, wies Ritor die beiden anderen an. »Ich glaube, wir werden ihn ... vermutlich hast du Recht, Sandra ... in unseren Ländereien antreffen. Zumindest muss man sich dort nicht allzu sehr vorm Wasser in Acht nehmen ... jedenfalls bis vor kurzem noch.«
»Glaubst du nicht, dass dieser Torn - ach, wenn doch hundert Anker seinen Hintern durchbohrten -, dass er das alles ebenfalls berücksichtigt?«
»Ich denke schon«, antwortete Ritor. »Aber der Bursche hat schon die Wasserweihe. Und dort ist auch ein Fluss, und zwar kein kleiner ...«
»Eine Falle also? Da soll mich doch der achtarmige Seepolyp fressen«, unterbrach ihn Sandra. Asmund zuckte unwillkürlich
Ritor nickte.
»Torn weiß, dass wir dort nicht mit einem Angriff rechnen. Und genau deshalb wird er ganz sicher angreifen. Wenn ich dreimal so viele Leute mitgenommen hätte, dann würde das bedeuten, dass ich sein Vorhaben durchschaut habe. Und dann würde er sich etwas anderes ausdenken. Aber ich habe mehr Gefallen daran, das Handeln des Feindes vorauszuahnen.« Ritor lächelte leicht über die unverhüllte Begeisterung, mit der ihn Asmund ansah. »Soll Torn denken, dass wir keine Ahnung von nichts haben. Soll er doch ... einstweilen. Und jetzt ist es an der Zeit, sich auszuruhen! Die Überwachungsformel kann ich jetzt allein aufrechterhalten.«
Die Nacht verdichtete sich über der Ebene, durch welche wasserreiche Flüsse dem nicht mehr fernen Heißen Meer zuflossen. Sandra und Asmund verließen das Abteil; der alte Magier scheute keine Kräfte, um eine Formel der absoluten Stille zu wirken; nichts lag ihm ferner, als jetzt durch die dünne Trennwand hindurch dem Liebesstöhnen der beiden lauschen zu müssen. Die Gedanken des Magiers richteten sich auf den unbekannten Burschen, der sich durch den Willen des bösen Schicksals zum Drachentöter verwandelt hatte oder genauer gesagt im Begriff war, sich in einen solchen zu verwandeln. Was wusste jener bereits? Was vermochte er schon? Nach einer einzigen Weihe doch wohl noch nicht allzu viel. Aber der Zufall musste in jedem Fall ausgeschlossen werden. Er selbst hatte kein Recht auf weitere Verluste. Jeder einigermaßen starke Magier war Gold wert. Und er, der große Zauberer der Luft, wog zum soundsovielten Mal alle Einzelheiten genau ab, um einen
Die Eiserne Route wurde sorgsam von den Gnomen instand gehalten, er spürte keinerlei Stöße. Der Zug glitt weich wie auf Samt durch die Nacht. Morgen früh würde der Kampf stattfinden, wenn die Kraft der Luft im Zenit stand.
Der Wagen des Windes erreichte Chorsk zur vorgesehenen Zeit. Die Lokomotive schnaufte noch ein letztes Mal, ehe sie stehen blieb. Ritors Truppe war schon auf den Beinen. Als Erstes sprang Erik auf den Bahnsteig, noch ehe der Schaffnergnom die Treppe ausgezogen hatte. Die Menschenmenge um den Zug lichtete sich augenblicklich. Erik war weit über die Grenzen des Warmen Ufers hinaus bekannt. Der blonde Krieger mit dem braungebrannten, runden Gesicht war groß und muskulös, trug einen üppigen weizenfarbenen Schnurrbart und kniff ständig die Augen zusammen; außerdem sorgten nicht zuletzt eine Reihe von prächtigen Narben dafür, dass die Herzen der Mädchen bei seinem Anblick heftig zu klopfen anfingen. Erik hielt die Arme so vor der Brust, als würde er eine unsichtbare Kugel dagegen drücken. Auf den ersten Blick hatte er keine Waffe bei sich, und das, was sich unter seiner unscheinbaren Jacke verbarg, hatte nichts gemein mit den traditionellen Schwertern, Dolchen oder Äxten.