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Ganz sicher hätte sie noch bis vor kurzem nach dem Grundsatz gehandelt: »Wenn zwei sich streiten, freut sich die Dritte.« Nicht so diesmal. Ritors Befürchtungen durfte sie nicht ignorieren.

Ebenso wenig wie Torns Überzeugung, dass die Clans allein, ohne Drachen, gegen die Invasoren bestehen konnten. Sie würden nur erst den feindlichen Drachen töten müssen ... und zusätzlich auch noch den anderen, wenn es diesem dann tatsächlich einfallen sollte, in der Mittelwelt zu erscheinen ...

Loj spürte, dass sie immer verwirrter wurde. Früher half ihr in solchen Situationen immer harmloser, unangestrengter Sex. Jetzt verursachte ihr schon der Gedanke daran Übelkeit.

Der Drachentöter ... Wie schade, dass sie so wenig über seine Entstehung wusste. Eifersüchtig hüteten die Elementaren dieses Geheimnis.

Und daraus ließ sich ein simpler Schluss ziehen. Sie musste den zukünftigen Drachentöter aufsuchen und mit ihm reden. Sie musste ihn aushorchen, vorsichtig - immerhin war sie eine Magierin ersten Ranges, wenn auch nur eines totemistischen Clans. Vielleicht konnte sie dann eine Entscheidung treffen.

Schließlich war es ja nicht zwangsläufig so, dass der Drachentöter alle Drachen tötete. Oder dass er sie sofort tötete. Vielleicht würde er das erst später tun.

Chor würde sehr unzufrieden sein, aber da war nichts zu machen.

Sie traf keine langen Vorbereitungen.

Den Drachentöter aufzuspüren würde ihr keine Schwierigkeiten bereiten. Vermutlich führte man ihn auf dem Kanal in Richtung Süden. Das hieß, dass sie ihn dort abfangen konnte. Auf dem Kanal würde Ritor sich nicht zum Angriff entschließen, denn das war Territorium des Wassers. Aber das Wasser war dem Clan der Katzen jetzt nicht feindlich gesinnt.

Als sie den Raum verließ, knallte Loj die Tür so wütend hinter sich zu, dass die goldene Marke auf dem Tisch in Bewegung geriet. Sie rollte über die Platte, kippte und lag da ... aber es war niemand da, um nachzusehen, auf welcher Seite sie gelandet war.

»Ihr bleibt hier«, befahl Ritor. »Ich mache mich auf zum Clan des Feuers. Ich werde hinfliegen. Für den Zug reicht die Zeit nicht. Sandra, Asmund, das Wichtigste ist, dass euch der Drachentöter nicht entwischt. Ihr unternehmt nichts,

»Mach dir keine Sorgen, Ritor, uns wird nicht das kleinste Fischchen durchs Netz gehen«, versprach die Zauberin finster.

Die Stunde der größten Kraft war nah, gehorsam füllte der Wind die unsichtbaren Flügel und hob Ritor in die Lüfte.

Die Besitzungen des Feuerclans lagen am südlichen Rand des Warmen Ufers. Oros war eine nicht allzu große Stadt, die eingezwängt zwischen Bergen und Meer lag; nicht einmal den arbeitsamen Gnomen war es gelungen, ihre Route bis dorthin zu verlegen, sie brach unmittelbar an der Grenze zum Territorium der Luft ab. Zur Sicherheit flog Ritor einen weiten Bogen um die Gegend von Stopolje.

Das zärtliche Meer spülte träge über das sanft ansteigende felsige Ufer. Dunkles Grün immergrüner Zypressen und das Geflecht schon entlaubter Äste bestimmten die Landschaft - der Clan des Feuers liebte das Grün; ihre Stadt ertrank in Blumen, und sogar im Winter blühten in ihren Orangerien wundersame Pflanzen, die sie aus der fernen Heimat mitgebracht hatten und bis zum heutigen Tag sorgsam hegten und pflegten.

Der Clan des Feuers verfügte über die mächtigste aller Kriegsmagien und verzichtete daher stolz auf jede Form der Befestigung. Es gab keine Stadtmauern, keine Gräben, keine Bastionen. Aber seit vielen Jahren und durch viele Kriege hindurch war es niemandem je gelungen, sich ihres Hortes

Von oben erblickte der Magier die sauberen weißen Häuschen mit ihren Ziegeldächern und die geraden Gassen; alles magische Wirken und Werk des Clans verbargen sich tief unter der Erde. An der Oberfläche sah man nur, was der Clan nicht zu verlieren fürchtete.

Der Clan des Feuers unterhielt nicht einmal einen Markt. Das Umland, das man den felsigen Bergen mühevoll abgerungen hatte, war hübschen Dörfern sowie Gärten und undurchdringlichen Pflanzendickichten vorbehalten; was man fürs Leben benötigte, wurde übers Meer oder einen schmalen Gebirgspass herangeschafft. Das Feuer war ungeheuer reich, denn seine Lehensbesitzungen zogen sich weit bis ins Landesinnere. Es gab alles im Überfluss. Allerdings, jetzt nach den jüngsten Verlusten ...

Das einzige hohe Bauwerk in Oros war ein Wachturm; alle anderen Gebäude, sogar die Magierschule, waren niedrig und hinter Bäumen verborgen; die üppige Vegetation wurde aus Aquädukten versorgt, die man eigens aus den Bergen hinunter verlegt hatte.

Ritor verbarg sich nicht, und die Wächter des Feuers bemerkten ihn schon von weitem. Auf der hohen Spitze des Leuchtturms, auf dem für immer die Unauslöschbare Flamme brannte, erschien ein Signalgeber. Eine lange Zunge grünlichen Feuers schoss hoch in die Luft, fast bis zu den Wolken, und zeigte an, dass der Weg offen war.

Ritor schalt sich selbst, dass er dem Clan des Feuers in der Hetze der letzten Tage keinen Besuch abgestattet hatte.

Verdammtes Misstrauen. Wie viele Leben waren um seinetwillen schon vergeudet worden, und wie viele würden noch vergeudet werden!

Das grüne Feuer bedeutete auch den unmissverständlichen Befehl zu landen und auf jegliche Magie zu verzichten, sobald seine Füße den Boden berührten. Andernfalls würde er als Feind betrachtet werden, mit allen Konsequenzen.

Ritor gehorchte selbstverständlich.

Die ordentlichen Häuschen, eines wie das andere, trugen schwarze Trauerflaggen. Der Clan trauerte um seine ermordeten Angehörigen.

Der Magier der Luft spürte mehrere Dutzend Formeln, die auf ihn gerichtet waren. Der Clan des Feuers war bereit, alles in den Kampf zu werfen, was er besaß.

Der kleine, von Zypressen gesäumte Platz am Stadtrand war leer. Ritor stand ruhig da und tat keinen Schritt. Der Clan des Feuers hatte allen Grund, ihm zu misstrauen. Üblicherweise hätte ein solcher Besuch lange Vorgespräche, möglicherweise über einen Vermittler, etwa die Katzen, erfordert; aber die Zeit war knapp und ließ solche Umstände nicht zu.

»Bleib stehen, Ritor, rühr dich nicht«, befahl eine Stimme hinter den Zypressen.

»Habt ihr wirklich noch nicht herausgefunden, was passiert ist, Siward?«, fragte Ritor den unsichtbaren Magier.

»Das meiste haben wir herausgefunden, Ritor«, antwortete der Zauberer des Feuers. »Torn zählt schon seine Verluste, und ich schwöre dir bei der Unauslöschbaren Flamme, dass er das noch lange Zeit tun wird. Wir haben die Leichname gefunden. Unsere und eure. Aber es ist trotzdem noch allerhand im Unklaren. Vielleicht hattest du dich mit Torn abgesprochen ... und er ist dir dann in den Rücken gefallen. Ich weiß es nicht.«

»Vielleicht sollten wir das nicht auf der Straße besprechen, Siward.«

»Auch Nawacho hatte es nicht eilig, mit dir das Brot zu brechen, Drachentöter.«

»Das ist lange her, Siward. Die Zeiten haben sich geändert. Nawacho und ich wollten etwas anderes besprechen. Aber solche Gespräche führt man besser unter einem Dach.«

Eine Zeit lang herrschte Schweigen unter den Zypressen. Ritor hätte die hinter den Bäumen verborgenen Männer leicht sichtbar machen können, aber er untersagte sich jede Form der Magie, zu seinem eigenen Besten.

»In Ordnung. Nawacho und die Alten sind tot. Ich werde für sie entscheiden müssen, und natürlich kennen wir längst noch nicht alle Einzelheiten«, sagte der junge Zauberer schließlich.

»Wohin gehen wir, ehrwürdiger Siward?«, fragte Ritor höflich.

Ja, es war nicht leicht für den Clan des Feuers, jetzt, da nur Siward übrig war und die Rolle der Alten übernehmen musste. Er war ein guter Zauberer, aber er war erst im zweiten Rang. Das bedeutete, für ihren Kampf blieben nur Magier des dritten und vierten Ranges ... nicht besonders ermutigend. Nawacho, Ogastes, Ripli - alle waren sie ermordet

»Hast du den Weg vergessen, Ritor?« Siward konnte sich die Frage nicht verkneifen.