»Nein, Siward. Ich wollte dir nur keinen Anlass geben, dich zu ärgern.«
»Spar dir deine Mätzchen«, gab der junge Magier wütend zurück. »Lass uns gehen. Sag, was du von uns willst - denn ich bin ziemlich sicher, dass du nicht gekommen bist, um über Vergangenes zu reden.«
»Da hast du Recht, Siward.«
Ritor lehnte es ab, zunächst eine Mahlzeit zu sich zu nehmen und sich von der Reise auszuruhen. Es mussten unverzüglich Entscheidungen getroffen werden.
Der Rat des Feuerclans war merklich ausgedünnt. Die alten Magier waren ermordet worden und mit ihnen auch eine ganze Reihe jüngerer, die in ihrem Gefolge mitgereist waren. Ebenso der Hauptmann des Strafkommandos und der beste Giftmischer des Clans; alle waren sie dort im Hinterhalt des Wassers umgekommen.
Man konnte sehen, dass sich Siward, der hoch gewachsene, schwarzäugige, schwarzlockige Kerl, der die Mädchenherzen höher schlagen ließ, im Grunde ziemlich verloren fühlte, obwohl er sich bemühte, das hinter wilder Kühnheit zu verbergen. Ohne es zu wollen, war er gezwungen gewesen, die Verantwortung zu übernehmen.
Der Ratssaal des Feuers hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem bescheidenen Raum von Ritors Clan. Der Clan des Feuers hatte keine Kräfte gescheut und flammende Feuerklingen tief in die Erde hineingestoßen, um so zu
Die Höhle wurde nur von einer einzigen unterirdischen Flamme erhellt. Die dunkelroten Steinwände waren mit nichts als mit Feuermeißeln behauen. Es gab grobe steinerne Sitze. Hier herrschte die reine Kraft der Flamme; natürlich gab es keinen Tropfen Wasser, und die Erde war nur in Form von in unterirdischen Feuertiegeln umgeschmolzenem Stein vorhanden. Und sogar die Luft war verbraucht, leblos und gehorchte Ritor nicht. Es bedurfte ungeheurer Kraft, um aus dem dritten Element alles herauszubrennen bis auf jene leblosen Atome, aus denen das menschliche Blut bestand und die es dem Menschen erlaubten zu atmen. Ritor sog die Luft unwillkürlich tiefer ein; es war befremdlich, sein Element zu spüren und doch keine Macht darüber zu besitzen.
»Setz dich, ehrwürdiger Ritor, Magier ersten Ranges, Oberhaupt des Clans der Luft und Töter des Drachen«, sagte Siward feierlich. Der Magier des Feuers, der einen blutroten Umhang und ein flammendrotes Stirnband trug, hätte sich auf dem leeren Platz des Clanoberhaupts niederlassen können, aber er setzte sich nach kurzem Zögern auf den Sitz daneben. Der schwarzrote Thron Nawachos, des alten Magiers, eines Zauberers ersten Ranges und nach Ritor und Torn der drittstärkste Magier der Mittelwelt, blieb leer. In Gedanken hieß Ritor dieses Vorgehen gut; es war klug und diplomatisch von dem Jüngling, er hatte verstanden, dass er den Unmut der zwar weniger starken, aber älteren Magier auf sich gezogen hätte, wenn er den frei gewordenen Platz eingenommen hätte.
Ritor betrachtete den Rat. Viele Gesichter sah er zum ersten Mal, was nichts Gutes verhieß. Die Entscheidung, die hier getroffen werden musste, war einfach zu wichtig.
»Was hat den ehrwürdigen Gast zu uns geführt?«, fragte Siward höflich.
Ritor legte die Handflächen vor dem Gesicht zu einer Geste der Bitte zusammen.
»Ehrwürdiger Siward, ehrwürdige Ratsmitglieder! Ich wage es zu behaupten, dass eure Gedanken mir bekannt sind. Ihr habt soeben Nawacho verloren ... und viele andere ebenso verdiente Gefährten. Ich und mit mir der ganze Clan der Luft beweinen euren Verlust ebenso wie ihr. Wir haben es gleichzeitig mit der Bedrohung durch einen inneren Krieg wie mit einer drohenden Invasion zu tun.«
Der Rat blieb stumm, denn das war inzwischen keine Neuigkeit mehr.
»Und außerdem ... nun, vielleicht wird das eure Herzen erfreuen. Ihr Ehrwürdigen vom Clan des Feuers ... ich wollte diese Angelegenheit mit Nawacho besprechen, aber ich kam zu spät. Das, was uns in der Vergangenheit zu Feinden machte, wird zurückkehren - und das ist so wahr wie die Tatsache, dass mein Name Ritor ist.«
Es fiel kein Wort im Ratssaal, aber der Magier der Luft konnte Schweißtropfen an Siwards Schläfen sehen.
»Willst du damit sagen, verehrter Ritor, dass ...« Der junge Zauberer hatte nicht die Kraft, seinen Satz zu beenden.
»Die Zeit des Drachen bricht an.« Ritor nickte. Was für eine böse Ironie. Dieselben Worte hatte er schon zu Torn gesagt, als dieser sich unter der Maske des Feuers verbarg! Worte, die für das Feuer bestimmt gewesen waren! »Der Geflügelte Herrscher soll zurückkehren. Genau deshalb rief
Ritor musste gegen seinen Willen alles wiederholen, was er schon gesagt hatte.
Der Rat des Feuers hörte ihn aufmerksam an, respektvoll und ohne ihn zu unterbrechen, ganz wie es angemessen war bei einem so hohen Gast. Aber in den Köpfen der Ratsmitglieder setzte sich nur eine Nachricht fest, nämlich die, dass der Drache zurückkehren würde!
Und das war kein Wunder. Der Clan des Feuers hatte den Geflügelten Herrschern länger als alle anderen die Treue gehalten. Die Feuerweihe hatte Ritor seinerzeit im Geheimen bestehen müssen, nur mit der Unterstützung einer kleinen Gruppe Andersdenkender aus dem Feuerclan. Siward hatte leider nicht dazu gehört.
Natürlich würde hier keiner fragen, ob er sich seiner Sache sicher war. Wenn ein Magier ersten Ranges, und erst recht einer wie Ritor, verkündete, dass der Drache zurückkehren würde, dann wusste jeder, dass dem so war.
»Das heißt, du hast deine Meinung geändert, Ritor?« Siward konnte die Frage nicht zurückhalten. Bis jetzt hatte nur er mit dem Magier der Luft gesprochen. Alle anderen hatten geschwiegen, nur das Feuer brannte immer heißer und heißer in der gewaltigen schwarzen Feuerstelle. »Jetzt unterstützt du den Herrscher? Hast du begriffen, dass du gemeinen Verrat an ihm begangen hast, Ritor?«
So durfte man nicht mit einem Magier reden, und erst recht nicht mit einem, der Ritor hieß. Der Magier der Luft
»Ich verstehe nicht, was das mit unserem Anliegen zu tun hat, ehrwürdiger Siward«, erklärte Ritor mit kalter Stimme. »Haben wir uns hier versammelt, um über die Vergangenheit oder über die Zukunft zu sprechen? Was vergangen ist, ist tot, und keiner wird es mehr ändern. Aber die Zukunft könnte uns alle dem Erdboden gleichmachen, begreifst du das, ehrwürdiger Siward? Ferner ...«
»Wenn du nicht so eifrig gewesen wärst, ehrwürdiger Ritor, dann würden wir jetzt nicht vor dieser Wahl stehen«, widersprach Siward im gleichen Ton. »Der Geflügelte Herrscher wäre ein zuverlässiger Schutz vor den Angeborenen; niemals würden sie es wagen, wieder gegen uns vorzurücken. Es wäre niemals zu dieser Fehde mit Torn gekommen, und Nawacho wäre noch am Leben. Verstehst du, ehrwürdiger Ritor? Gib endlich zu, dass eben du der Schuldige für all unser Unglück bist.«
Es gehörte sich nicht, einen Magier zu unterbrechen, und dazu noch ein Clanoberhaupt, das vor dem Rat sprach. Ritor beherrschte sich.
»Du erwartest also eine Rechtfertigung von mir, ehrwürdiger Siward?«, fragte er. »Deine Fragen sind nicht an mich gerichtet. Was willst du von mir? Reue? Dass ich euch auf Knien um Verzeihung bitte, Asche auf mein Haupt streue? Entschuldige bitte, aber ich verstehe dich nicht.«
Eine solche Antwort hatte Siward nicht erwartet. »Du bist also der Meinung, dass du das Recht hast, uns um Hilfe zu bitten, ohne dabei Reue zu zeigen?«
»Wenn der Rat des Feuerclans meine Bitte um Hilfe ablehnt, werde ich gehen.« Jetzt war Ritors Stimme noch kälter.
»Und du, hast du ehrlich gekämpft, als du den letzten Drachen tötetest?«, schrie Siward.
»Forderst du mich heraus, Siward, Magier zweiten Ranges?«, donnerte Ritor und erhob sich von seinem Platz.
Siward geriet in Verwirrung. Er hatte die Beherrschung verloren, sich seinem Zorn überlassen und sich damit in eine vertrackte Situation gebracht.
Ein Duell mit Ritor würde praktisch einem Selbstmord gleichkommen. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem sie sich im Kriegszustand mit dem Wasser befanden.
Ritor begriff, dass der Magier nicht zurücktreten konnte, ohne sein Gesicht zu verlieren.