»Längst nicht alle teilen deine Ansicht«, parierte Tel unerschütterlich. Ein rein weiblicher Einwand. »Selbst in der Sphäre, wo sich keiner mit euch Katzen messen kann ... ich meine, im Bett, selbst da waren wir doch in gewisser Hinsicht noch ein wenig besser.«
Der Schlag saß. Tel hatte auf etwas angespielt, bei dem die Katzen den Geheimen Clan nie hatten übertrumpfen können. Trotz aller Anstrengungen. Ach, du kleines Miststück! Was spielst du dich denn auf? Du hast doch nicht mal versucht, Viktor die Nacht zu versüßen!
Loj unterdrückte nur mit Mühe eine angemessene Antwort im Stile von: Ich geb dir gleich besser, du minderjährige Schlampe!
Selbst die Geduld der Ersten der Katzen war nicht grenzenlos!
»Na wunderbar, ganz toll, wohl bekomm’s«, flötete Loj stattdessen wieder mit engelsgleichem Stimmchen. »Aber was ist mit Viktor?«
»Bist du neuerdings für meine Tugendhaftigkeit zuständig, Loj? Willst du mein wandelndes Gewissen sein? Oder
»Heute ist wohl der Morgen der unbeantworteten Fragen«, schnurrte die Katze. »Jeder stellt Fragen, und keiner antwortet. Und einer schweigt ganz.« Bei diesen Worten warf sie einen schnellen Blick auf Viktor. »Als hätte er seine Zunge verschluckt.«
»Reden ist nutzlos«, sagte Tel mit gerunzelter Stirn. »Loj Iwer, Oberhaupt des Clans der Katzen, beabsichtigst du, dich uns in den Weg zu stellen?«
Dies war der erste Satz einer offiziellen Herausforderung. Loj sah, wie die Augen des Mädchens böse und voller Ungeduld blitzten.
Na was denn? Sollte sie sich mit einer vom Geheimen Clan prügeln?
»Ja störe ich euch denn?« Loj tat verwundert. »Euer Kahn schwimmt friedlich vor sich hin ... niemand hat ihn aufgehalten. Ich bin allein. Obwohl, ich könnte natürlich noch einige von meinen Jungs herbringen ...«
»Ja, und vielleicht würdest du dann mit mir fertig werden«, stimmte Tel ihr zu. »Aber mit ihm nicht.« Und sie nickte mit dem Kopf in Viktors Richtung.
Der schwieg noch immer. Und das war das Beste, was er im Moment tun konnte. Allerdings nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Denn wenn sie und diese Tel sich tatsächlich an die Kehlen gehen würden ... Es war nicht eindeutig, wer als Sieger daraus hervorginge. Das Mädchen schien sich selbst nicht mal so ganz sicher zu sein, was gut
»Aber mit ihm muss ich ja auch nicht fertig werden«, wandte Loj leichthin ein. »Er ist nicht mein Feind oder der meines Clans.«
»Bist du sicher?« Tel hob ironisch eine Augenbraue in die Höhe, und mit einem Mal sah sie gar nicht mehr wie ein Mädchen aus, sondern wie eine weise Lehrerin, die viel erlebt und viel gesehen hatte und in deren Gegenwart sich die mit allen Wassern gewaschene Loj plötzlich wie eine Schülerin fühlte. Trotzdem gab die Katze ihr Spielchen nicht auf, ganz im Gegenteil.
»Natürlich. Der Drachentöter ist ein Segen für die Mittelwelt. Ich habe die Herrscher nie gemocht ... ganz im Gegensatz zu deinem Clan, meine Liebe.«
»Wir mochten sie auch nicht«, schoss Tell trocken zurück. »Es steht dir nicht zu, darüber zu urteilen.«
Loj bemühte sich verzweifelt darum, wenigstens irgendeinen Widerhall bei Viktor hervorzurufen. Zur Not einen ganz plumpen, rein sinnlichen. Dann könnte sie etwas daraus lesen ... Aber so, er war wie eine Wand! Eine dumpfe Wand! Gänzlich undurchdringlich! Nicht mal auf das Wort »Drachentöter« hatte er reagiert, dabei hatte sie große Hoffnungen darauf gesetzt.
»Na ja, ob ihr sie mochtet oder nicht ... das ist Vergangenheit: Aber jetzt haben wir einen Helden. Einen Drachentöter, der den Drachen niederwirft, sollte es ihm einfallen, wieder bei uns aufzutauchen. Aber warum führst du den Drachentöter, Tel? Welchen Nutzen habt ihr davon?«
»Das verstehst du ohnehin nicht, Loj Iwer«, sagte Tel zänkisch.
»Bist du sicher? Aber vielleicht lohnt es sich doch, es mit einer Erklärung zu versuchen.«
»Ist das ein Verhör, Loj Iwer, Magierin ersten Ranges?«
»Ach, meine Kleine, vergessen Sie nicht Ihre Selbstbeherrschung. Wenn Sie jetzt noch rot werden, dann stehen Sie ganz dumm da.«
»Loj ist zum Sie übergegangen - o weh, dann steht es schlimm.« Tel lachte auf einmal sorglos. »Die Katze hat beschlossen, sich zu prügeln. Pass auf, dass du dir die Krallen nicht abbrichst.«
»Was willst du ... Loj Iwer?« Unerwartet und ganz ruhig stellte der Mann seine Fragen. »Was willst du wissen? Ja, ich bin der Drachentöter ... wahrscheinlich. Wolltest du das wissen? Oder die Grenzen meiner Kraft kennenlernen? Aber wozu brauchst du dieses Wissen, Loj Iwer?«
Er sprach gut. Nicht laut. Sicher. Für einen, der gerade erst von der Anderen Seite gekommen war, hielt er sich geradezu hervorragend.
»Ich möchte wissen, was mein Clan tun soll«, sagte Loj mit aller Aufrichtigkeit, zu der sie fähig war, und blickte ihm dabei in die Augen. Tel, die sie bei diesen Worten angespannt beobachtete, ignorierte die Katze völlig. »Meine Pflicht ist es, die Meinigen zu schützen. Dafür zu sorgen, dass sie kein Kanonenfutter werden, keine Waffe im Intrigenkampf der Elementaren Clans. Weißt du schon, wovon ich spreche? Du weißt, Viktor, dass der Clan der Luft dich jagt und seine Magier zum Äußersten bereit sind, um dich zu töten, nicht wahr? Der Clan des Wassers dagegen verteidigt dich ...«
Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Tels Lippen ein feines spöttisches Lächeln umspielte. Was sollte das? Warum?
»Also, was willst du wissen?«, fragte Viktor wieder.
Loj hielt inne. Ja, dieser Mann war der Drachentöter. Sie konnte es spüren. Er hatte schon zwei Weihen durchlaufen und war doch nicht trunken von der eben gewonnenen Kraft. Das war mehr als ungewöhnlich.
Sie verspürte eine wohlige Wärme in ihrem Schoß. Wollte sie ihn, diesen Viktor? Ach, bitte, ja, ja ...
»Ich möchte wissen«, sagte sie langsam, »gegen wen du kämpfen wirst.«
»Das kann er nicht wissen, Loj«, mischte sich Tel mit scharfem Ton ein, und ihre Augen waren dunkel vor Zorn. »Treib ihn nicht noch tiefer in seine Verwirrung, als es ohnehin schon der Fall ist!«
Loj drehte sich zu dem Mädchen. Sie sah die vor Zorn glühenden Augen, spürte die zum Schlag bereiten Zauberkräfte ...
Schon seit Jahrhunderten war der Geheime Clan in der Lage, Menschen von der Anderen Seite in die Mittelwelt zu bringen. Jeden, auf den seine Wahl fiel. Konnte dieses Mädchen hier den Drachentöter herbringen? Konnte sie ... was hatte Torn noch gesagt über diesen Erschaffenen Drachen?
Aber weshalb wollte Ritor ihn dann töten? Weshalb? Loj verstand es nicht.
Loj Iwer ließ sich in die Hocke nieder, entspannt, locker, um mit ihrer ganzen Körperhaltung zu zeigen, dass sie nicht die Absicht hatte, sich zu prügeln. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, sich mit diesem ach so stolzen Mädchen zu streiten. Sollte sie sich ihre Gedanken machen, ob Loj sich vor ihr fürchtete oder sie einfach nur ignorierte.
»Verschwinde!«, sagte Tel und ballte die Fäuste. »Kusch!«
Aber das war zu viel ... Loj fühlte, wie ihr Blut in Wallung geriet. Indem Tel sie wie eine gewöhnliche Straßenkatze
Aber sich beleidigen zu lassen ...
»Du vergisst dich, Mädchen«, zischte Loj.
»Verschwinde! Zurück mit dir ins Dickicht, du wilde Kreatur! Geh, fang deine Mäuse ...«
Das brachte das Fass zum Überlaufen.
Loj sprang auf, in einem einzigen Augenblick wechselte ihre Körperhaltung von friedlicher Entspanntheit zu von unvorstellbarer Energie strotzender Kampfbereitschaft. Sie würde ihr die Augen auskratzen, den Hals aufreißen, das Deck in Blut tränken!
Noch in der Luft führte sie ihren Schlag aus - den berühmten Schlag ihres Clans: die unsichtbare Kralle. Nicht einmal Torn war es gelungen, ihm auszuweichen, dabei hatte sie ihn gegen ihn nur mit halber Kraft geführt, ihn nur angedeutet.
Das Mädchen versuchte, sich zu verteidigen - aber irgendetwas störte sie dabei; die Beschwörungsformel, die bereits in ihren Fingerspitzen hing, löste sich nicht; und während Loj auf den zarten Körper ihrer Gegnerin stürzte, begriff sie voller Freude, dass ihr Angriff gelungen war.