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»Was ist los mit euch, Jungs!«, wunderte sich Loj.

Die Brüder beeilten sich. Dass Loj richtig trank, war deutlich zu sehen. Und es war ja absolut undenkbar, dass so eine junge Frau mehr Wein trinken konnte als sie!

Die Brüder hielten fast eine Stunde lang mit. Dann fingen sie an, albern zu lachen, umarmten einander über den Kopf der sich vorbeugenden Loj hinweg und grölten Lieder. Loj zerrte einen Kutscher nach dem anderen nach hinten in

»He-jo!«, schrie sie, und die Peitsche pfiff über die beiden eingespannten Rappen hinweg. Tut mir leid, ihr Pferdchen, aber nun müsst ihr einen Schritt zulegen ...

Wenn die Pferde einen Sattel gewöhnt gewesen wären, hätte Loj sich lieber eines geschnappt und wäre Viktor hinterhergeritten. Aber mit eingespannten Tieren die Verfolgung aufzunehmen, wäre dumm gewesen.

»He-jo!«

Die Postkutsche jagte holpernd und schaukelnd den Weg entlang. Diese verflixte Tel, was die sich erlaubte! Wollte sie etwa alles selbst erfüllen, ohne freundschaftliche Hilfe? Reichten ihre Fertigkeiten dazu wirklich aus? Wäre sie zum Beispiel zu so einem Trick wie dem mit den beiden Kutschern in der Lage gewesen?

Der Tisch war an die zwanzig Meter lang, und es gab keinen einzigen freien Platz. Der Gardist, dessen Ärmel von hell glänzenden Offizierslitzen geschmückt waren, hatte Viktor und Tel in den Empfangssaal geführt und mit den Augen den Tisch abgesucht, ehe er den Soldaten an der Tür einen Befehl gab. Zwei betrunkene Gäste wurden von der Tafel fortgezogen, und ein kräftiges Mädchen räumte eilig das schmutzige Geschirr und die Gläser fort und wischte das Tischtuch mit ihrem Rockzipfel sauber.

»Setzt euch!«, forderte der Offizier sie auf und ging zum Kopfende des Tisches.

Die Beleuchtung war spärlich: rußende Fackeln an den Wänden und Kerzen auf den Tischen. Entweder pflegten die Vasallen der Erde keine freundschaftlichen Beziehungen zu den Gnomen, oder sie lagen zu weit abseits der »Eisernen«;

Dafür fühlte sich Viktor endlich wie in einer echt mittelalterlichen Umgebung.

Die Gäste, Männer, Frauen und sogar einige Kinder, schmatzten laut und verzehrten die zahlreichen Gerichte mit der Gier von Dickwänsten, die eine Diät unterbrochen hatten. Man speiste gegrillten Eber, und drei riesige Schüsseln mit abgenagten Knochen standen auf der langen Tafel. Außerdem gab es Fleischvorspeisen im Überfluss, Würste, Pasteten, Salate, aber es gab weder Fisch noch Geflügel; über diese kulinarische Demonstration ihrer Zugehörigkeit zum Erdclan musste Viktor unwillkürlich lächeln. Begossen wurde das riesige Durcheinander von gewaltigen Mengen Weiß-, Rot- und Roséweins.

Die Gobelins an den Wänden bildeten ebenfalls hauptsächlich Bankettszenen ab. Es gab allerdings auch einige Behänge, auf denen goldene Getreidefelder Ähren trieben, fette Viehherden weideten und lachende Jungfern Früchte von unvorstellbarer Größe ernteten; Weintrauben so groß wie Kinderfäuste, Äpfel wie Fußbälle. Sogleich fühlte sich Viktor an das große Mosaik in der Moskauer Metrostation WDNCh erinnert.

Viktor musterten die Leute mit neugierigen Blicken, während Tel kaum beachtet wurde. Das dünne, noch nicht ausgewachsene Mädchen war nicht nach dem Geschmack dieser Gesellschaft.

Der Gardist hatte sich zu den Ehrenplätzen vorgearbeitet. Dort saßen der Gastgeber des Banketts, ein stämmiger, älterer Mann, vermutlich eben jener Fürst, dem auch die Stadt gehörte, und ein schmächtiger, kahlköpfiger Mann, der in einen Umhang gehüllt war.

War das etwa der Magier der Erde? Ein Magier ersten Ranges?

Nein, sicher nicht, Unsinn, vermutlich war er der Fürst ...

Aber der Gardist beugte sich zum Ohr des Älteren und flüsterte ihm eilig etwas zu. Mit einem leisen Lächeln schüttelte der Fürst den Kopf. Er hob die Hand. Der Tisch verstummte augenblicklich, die vollgestopften Münder klappten zu, und die erhobenen Gläser verharrten bewegungslos in der Luft. In der Stille erklang ein hohles Geräusch; jemand schluckte mit heroischer Anstrengung einen riesigen Bissen hinunter.

»Wir haben Gäste«, sagte der Fürst wohlwollend. »Ein Mädchen mit Namen Tel hat die Kraft der Erdmagie in sich gespürt ...«

Der schmächtige Magier nickte wie ein Vogel mit dem Kopf und blickte Tel über den Tisch hinweg an.

»Sie ist auf dem Weg nach Feros. Aber sie hat uns mit ihrem Besuch beehrt, denn sie möchte ihre zukünftigen Vasallen kennenlernen ...«

Noch immer herrschte Stille.

Viktor spürte, wie ihm ein Faden kalten Schweißes über den Rücken lief.

Aber nein, es erhob sich kein dröhnendes Geschrei des Widerspruchs und auch kein spöttisches Gelächter, das ja um nichts weniger gefährlich wäre.

»Wie angenehm, eine zukünftige Kollegin zu treffen«, schnarrte der Magier. »Komm hierher, Mädchen.«

Tel nippte unerschütterlich von ihrem Weißwein, ehe sie sich erhob. Auch Viktor stand auf und ging hinter ihr her.

»Der junge Mann kann da bleiben ...«, warf der Magier ein.

»Ich bin für sie verantwortlich!«

Es wurden keine weiteren Einwände laut. Unter den zudringlichen Blicken von Hunderten von Augen traten sie zum Fürsten und zum Magier.

Aus der Nähe sah der Erdmagier abstoßend aus. Er hatte kalte, tote Augen. Seine Haut war gelbgrau, als hielte er sich permanent im Dunkeln auf. Es war verblüffend, wie das Oberhaupt eines Clans, dessen Magie einen solch lebensfrohen, wenn auch etwas primitiv anmutenden Menschenschlag um sich scharte, derart ausgemergelt aussehen konnte.

»Du kannst mich Herr Andrzej nennen, Mädchen«, schnarrte der Magier. Er heftete seinen Blick auf Tel und schüttelte enttäuscht den Kopf. »Ich spüre keine Kraft in dir.«

Der Saal atmete hörbar auf. Und Viktor begriff schicksalsergeben, dass sie alles noch vor sich hatten, wütendes Geschrei, höhnisches Gelächter, vielleicht würde man sie auf dem Schlossplatz auspeitschen.

Und Zorn, feuriger Zorn begann sich in seiner Seele zu regen.

»Ich zeige meine Kraft nicht nach außen!«, antwortete Tel scharf.

»Das ist gut«, stimmte Andrzej ihr zu. »Aber mir kannst du sie zeigen. Du sollst sie mir sogar zeigen.«

In seiner Stimme klang Spott. Er machte sich lustig über Tel. Dieser gebeugte, kahlköpfige, die Augen kurzsichtig zusammenkneifende Magier versprach sich nichts von dem dummen, dreisten Mädchen. Er wahrte nur die Form.

Tel machte eine Geste mit der Hand. Viktor erhaschte einen Blick auf ihre Finger, die sich in einer komplizierten Bewegung verschränkten; dann sah es so aus, als ob Staub aus ihrer Faust aufstiege und augenblicklich die ganze Gestalt des Mädchens einhüllte.

Die Wand gegenüber von Tel begann zu erzittern und wurde von einer mächtigen Welle erfasst. Die Steine blähten sich auf, trockener Kalk rieselte herab, und die Gobelins rutschten zu Boden. Ein großer dreieckiger Schild löste sich von der Wand und fiel mit dumpfem Knall auf den Boden.

Herr Andrzej sprang auf.

Die Welle legte sich. Die Steine bebten noch, und für einen Augenblick kam es Viktor so vor, als würden in der Wand die undeutlichen Züge eines ungeheuerlichen, eckigen Körpers sichtbar ... Aber dann ließ Tel kraftlos die Hand sinken, und das Spektakel war vorbei.

Nur das glucksende Geräusch auslaufenden Weins aus einer umgestoßenen Flasche war zu vernehmen.

Der Magier der Erde, dessen glühende Augen den herumfliegenden Staub in Windeseile vertrieben hatten, starrte Tel durchdringend an.

»Mindestens zweiter Rang«, flüsterte er. »Mädchen ... wer ist dein Lehrer?«

»Niemand!«