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»Du hast versucht, den Geist des Steins zu rufen! Weißt du das?«

Tel schlug die Augen nieder und blickte zu Boden. »Ich ... ich nenne ihn anders ... bei mir heißt er nur Steinchen ... Einmal, als ich noch klein war, da war mir langweilig, und ich war ganz allein zu Hause ... alle waren weg, alle, sogar Vite-e-k ...«

Sie sah aus, als würde sie jeden Moment anfangen zu weinen. Der Kontrast zu ihrer früheren Dreistigkeit war verblüffend; aber glücklicherweise standen alle noch unter dem Eindruck des Erdbebens, das sich hier eben beinahe ereignet hatte.

»Ich habe mir vorgestellt, dass ein Mensch in der Wand wohnt, aus Stein ... und dann fing ich an, mit ihm zu sprechen ...«

Andrzej strahlte, hob die Hand in die Höhe und sagte: »An diesen Moment werdet ihr noch denken, ihr alle! Vor euch steht eine große zukünftige Zauberin des Clans der Erde! Und sie ist meine Entdeckung!«

»Sie ist meine Beute«, äffte Viktor den Erdmagier nach und musste unwillkürlich an den Tiger Shir Khan denken. Aber der Magier war hoch zufrieden und nahm nichts und niemanden um sich herum wahr.

»Verbeugt euch!«

Die Menge der Gäste beugte sich einträchtig über den Tisch. Viktor bemerkte, dass es einem großen Bärtigen von imposanter Statur sogar in dieser Position noch gelang, mit dem Mund eine Scheibe Schinken zu erwischen und runterzuschlucken. Ganz von selbst stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht.

Und das bemerkte der Magier. »Wer bist du?«

»Ich bin Tels Bruder. Ich heiße Viktor.«

»Gut. Du kannst nach Hause zurückkehren.«

Viktor schüttelte den Kopf. »Nein. Ich muss erst sicher sein, dass meine Schwester in zuverlässigen Händen ist.«

Der Magier warf wütend den Kopf nach hinten. »Was? Glaubst du mir nicht? Ich selbst werde ihr Lehrer sein!«

»Unsere Eltern haben mir aufgetragen«, erwiderte Viktor mit erhobener Stimme, »sie frühestens nach einem halben Jahr zurückzulassen!«

Tel hatte seine Hand gefasst und brachte mit ihrer ganzen Haltung zum Ausdruck, dass sie bereit war, auf ihren Bruder zu hören.

Andrzejs Gesicht hatte sich verfinstert, aber seine Stimme war ruhig. »Sie haben keine Ahnung, deine Eltern, junger Mann. Kein Magier würde einem anderen Magier Übles wollen!«

»Woher soll ich das wissen?« Viktor zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Erfahrung mit euch, mit den Magiern ...«

Der Fürst, der alles neugierig mit angesehen hatte, lächelte und sagte: »Hervorragend! Sieh nur, Andrzej, was für hohe moralische Grundsätze in meinem Land herrschen! Woher kommst du, Jüngling?«

Im Vergleich zum Fürsten konnte Viktor durchaus als Jüngling durchgehen.

»Aus Smirnowka«, platzte Viktor heraus. Wie er auf den Namen gekommen war, wusste er selbst nicht; entweder weil das russische Wort für »artig« darin steckte, oder von der allgemein bekannten Wodka-Sorte.

Der Fürst jedenfalls verstand es eindeutig. »Ihr seid aber nicht allzu artig ... ich verwöhne das Volk wohl, was?«

»Ja, Herr, Ihr verwöhnt es ...« Viktor neigte den Kopf.

»Setz dich her«, warf der Magier ein, der offenbar beschlossen hatte, ihn als unvermeidliches Übel zu betrachten. »Und du, du setzt dich neben mich, Tel ...« Sein Gesicht verzog sich zu einer zufriedenen Grimasse. »Was kannst du noch alles?«

»Na ja, ich kann gut kochen«, teilte ihm Tel eifrig mit, nachdem sie sich auf dem Sessel neben dem Magier niedergelassen hatte. »Und es heißt, dass ich gut ...«

»Nein!« Andrzej winkte ab. »Ich meine, was die Magie angeht!«

Das Volk im Bankettsaal interessierte sich nicht länger für Tels großes magisches Talent und auch nicht für Herrn

»Ach«, antwortete Tel ein wenig gelangweilt. »Ich kann Säfte der Erde aus ihrem Schoss ziehen, damit die nützlichen Pflanzen in die Höhe wachsen und all das Unkraut vergeht. Ich kann Wasseradern finden ... und auch Erze, ein bisschen ...«

Der Magier kniff die Augen zusammen und hörte Tel begeistert zu. Viktor nahm sich seufzend eine dicke Scheibe Fleisch aus der nächstbesten Schüssel und goss sich ein Glas Wein ein.

Wozu das alles, Tel? Wozu nur?

Da schlichen sie tagelang durch die Gegend, versteckten sich vor ihren Feinden. Ihr Leben war ständig in Gefahr. Und auf einmal ... dieser freche Auftritt hier, eine große Zaubervorführung ... Was wollte sie damit erreichen, diese Närrin?

Inzwischen hatte Tel alle ihre Fähigkeiten aufgezählt und lauschte mit gesenkten Augen Andrzejs wohlwollender Antwort.

»Werde nur nicht hochmütig deswegen«, unterbrach der Magier sich mit einem Mal selbst. »Ich bitte dich, kein Hochmut! Arbeit, Arbeit, Arbeit, heißt es jetzt! Und keine Kraft verschwenden!«

Der schweigsame Fürst mischte sich ebenfalls ins Gespräch: »Wenn du neue Beschwörungsformeln verfasst, so wende sie nicht gleich an. Überlege erst. Lass sie ein wenig reifen, zwei, am besten drei Jahre. Denn in letzter Zeit haben die Magier es so eilig, versuchen mit Tempo und Einsatz das zu erlangen, was anderen erst nach Jahren ernster geistiger Arbeit im Schweiße ihres Angesichts gegeben ward.«

Andrzej blickte den Fürsten beifällig an und nickte. Natürlich, das war doch seine eigene These, die er dem Fürsten

Diese Lehre nahm aus irgendeinem Grund damit ihren Anfang, dass der Magier Tel ein Glas randvoll mit Weißwein einschenkte und es ihr reichte.

Sicher, Viktor erinnerte sich noch genau, dass Tel ohne besondere Folgen mit ihm zusammen eine Flasche Wein geleert hatte! Dort am Flussufer, als er ihr von der blutigen Schlacht im Zug erzählt hatte ... Aber jetzt! Im Lager des Feindes?

Wozu?

Tel zog die Stirn in Falten und trank den Wein aus, ehe sie Andrzej mit glänzenden Augen ansah.

»Ach, wie schmeckt der gut! Kommt das von eurer Magie?«

So ein Unsinn ...

Viktor beschloss, sie sich austoben zu lassen. Das Serviermädchen hatte wieder frische Gedecke herangeschleppt, diesmal nicht aus Porzellan, sondern aus Silber. Irgendwoher war ein Stück vom gebratenen Eber aufgetaucht, das nach Rauch und Kräutern roch.

Wenigstens konnte man hier anständig essen!

Eine halbe Stunde lang war er ganz damit beschäftigt, die Gerichte auf dem reich gedeckten Tisch durchzuprobieren. Der leichte Rotwein trank sich wie Wasser, und Viktor fühlte sich kein bisschen betrunken. Er gab sich dem kulinarischen Fest mit ganzer Seele hin.

Tel hielt, wie es aussah, ebenfalls gut mit ...

Mehrere junge Diener liefen durch den Saal, um die abgebrannten Kerzen und Fackeln zu erneuern. Von irgendwoher hatte man eine Gruppe Musikanten mit Lauten, Harfen und Gitarren herbeigeholt. So merkwürdig es war, aber

Ohnehin hörte niemand zu. Unter dem Seufzen der Harfe und den Gitarrenklängen hatten auch die Bankettgäste unwillkürlich ihre Stimmen erhoben. Immer öfter ertönte Frauengelächter. Einige Paare begannen zu tanzen.

Auch Tel lachte, mit einer dünnen, zitternden Stimme. Sie sagte etwas, stockte, so als würde ihre Zunge ihr nicht mehr gehorchen. Viktor drehte sich um.

Der Magier Andrzej half Tel vom Tisch aufzustehen. Das Mädchen schwankte und lachte dabei unaufhörlich.

»Tel, es ist Zeit ...«, begann Viktor und unterbrach sich, als seine Augen den zornigen Blick des Erdmagiers trafen.

»Iss und trink, so viel du magst, lieber Gast!«, forderte Andrzej ihn mühsam beherrscht auf. »Such dir eine Freundin unter den Dienerinnen. Vergnüg dich und lass es dir gutgehen, deine Schwester steht unter meinem persönlichen Schutz!«

Tel, die an dem Magier hing, warf Viktor einen glasigen Blick zu und murmelte gedehnt: »Es-s is-s so lus-stig ...«

Viktor blieb der Bissen im Hals stecken, und der Wein hatte mit einem Mal jeden Geschmack verloren. Lustlos stocherte er im nächsten Gang herum, diesmal einem Teller mit zehn verschiedenen Sorten Fleisch in scharfer Sauce. Rings um ihn herum wurde geschmatzt und gerülpst; hicksend, nuschelnd und grölend erzählten sich die Gäste ihre Geschichten.