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Loracs Hand entglitt dem Griff seiner Tochter. Seine leblosen Augen starrten auf das verwüstete Land Silvanesti. Aber der entsetzte Blick war aus seinem Gesicht gewichen, und es war mit Frieden erfüllt.

Und Alhana konnte nicht trauern.

In dieser Nacht bereiteten die Gefährten ihren Aufbruch aus Silvanesti vor. Sie mußten den größten Teil ihrer Reise in den Norden im Schutz der Dunkelheit zurücklegen, da sie jetzt wußten, daß die Drachenarmeen das Land, das sie passieren mußten, kontrollierten. Sie hatten keine Landkarten. Sie wollten auch nicht den uralten Karten vertrauen, nach ihrem Erlebnis mit der landumschlossenen Hafenstadt Tarsis. Die einzigen Karten, die sie in Silvanesti fanden, waren schon Tausende von Jahren alt. Die Gefährten entschieden, auf gut Glück von Silvanesti nach Norden zu reisen; sie hofften, eine Hafenstadt zu finden, von wo aus sie dann nach Sankrist übersetzen konnten.

Der Magier nahm die Kugel der Drachen an sich. Tanis zweifelte anfangs, wie sie den massiven Kristall transportieren sollten, denn er war sehr groß und außerordentlich schwer. Aber am Abend vor ihrem Aufbruch kam Alhana mit einem kleinen Beutel in der Hand zu Raistlin.

»Mein Vater trug die Kugel in diesem Beutel. Ich fand es immer merkwürdig in Anbetracht der Größe der Kugel, aber er sagte, daß man ihm den Beutel im Turm der Erzmagier gegeben hätte. Vielleicht nutzt er dir.«

Der Magier ergriff ihn gierig mit seiner dünnen Hand.

»Jistrah tagopar Ast moirparann Kini«, murmelte er und beobachtete zufrieden, wie der unscheinbare Beutel in einem blassen, rosafarbenen Licht erstrahlte.

»Ja, er ist verzaubert«, flüsterte er. Dann blickte er zu Caramon. »Bring mir die Kugel.«

Caramon riß vor Entsetzen seine Augen auf. »Nicht für den größten Schatz in dieser Welt!« schwor der große Mann.

»Bring mir die Kugel!« befahl Raistlin und starrte seinen Bruder ärgerlich an, der immer noch seinen Kopf schüttelte.

»Nun sei kein Narr, Caramon!« schnappte Raistlin wütend.

»Die Kugel kann jene nicht verletzen, die sie nicht zu benutzen versuchen. Glaub mir, mein teurer Bruder, du hast nicht einmal die Macht, eine Küchenschabe zu beherrschen, ganz zu schweigen von einer Kugel der Drachen!«

»Aber es könnte eine Falle sein«, protestierte Caramon.

»Pah! Sie suchen sich die mit...«, Raistlin stockte abrupt.

»Ja?« fragte Tanis ruhig. »Fahr fort. Wen suchen sie aus?«

»Leute mit Intelligenz«, knurrte Raistlin. »Darum bin ich davon überzeugt, daß die Mitglieder dieser Gesellschaft in Sicherheit sind. Bring mir die Kugel, Caramon, oder willst du sie vielleicht selber tragen? Oder du, Halb-Elf? Oder du, Klerikerin von Mishakal?«

Caramon sah unbehaglich zu Tanis, und der Halb-Elf bemerkte, daß der große Mann seine Zustimmung suchte. Für den Zwilling war es ein merkwürdiger Schritt, denn er hatte immer ohne Fragen Raistlins Befehlen gehorcht.

Mehr denn je war Tanis vor dem Magier auf der Hut, mißtraute Raistlins seltsamer und wachsender Macht. Es ist unlogisch, stritt er mit sich. Eine Reaktion auf den Alptraum, weiter nichts. Aber das löste nicht sein Problem. Was würde er mit der Kugel der Drachen anstellen? Aber ihm wurde kläglich bewußt, daß es keinen Ausweg gab.

»Raistlin ist der einzige, der über das Wissen und die Fähigkeit und – nun ja – den Mut verfügt, mit dem Ding umzugehen«, sagte Tanis widerwillig. »Ich meine, er soll sie an sich nehmen, sofern nicht einer von euch die Verantwortung übernehmen will.«

Niemand sprach. Flußwind schüttelte nur den Kopf und runzelte düster die Stirn. Tanis wußte, der Barbar würde die Kugel – und auch Raistlin – hier in Silvanesti zurücklassen, wenn er die Möglichkeit hätte.

»Geh schon, Caramon«, sagte Tanis. »Du bist der einzige, der stark genug ist, um sie zu heben.«

Widerstrebend ging Caramon zu der Kugel, um sie von ihrem goldenen Ständer zu heben. Seine Hände zitterten, als er sie berührte, aber nichts passierte. Die Kugel änderte nicht ihre Erscheinung. Caramon seufzte erleichtert auf und hob die Kugel hoch, stöhnte unter ihrem Gewicht und trug sie zu seinem Bruder, der den Beutel aufhielt.

»Laß sie in den Beutel fallen«, befahl Raistlin.

»Was?« Caramons Kiefer sackte runter, als er von der riesigen Kugel zum kleinen Beutel starrte. »Kann ich nicht, Raist! Sie wird nicht hineinpassen! Er wird zerreißen!«

Der große Mann verstummte, als Raistlins Augen golden wie der sterbende Tag aufflackerten.

»Nein! Caramon, warte!« Tanis sprang vor, aber dieses Mal gehorchte Caramon seinem Bruder. Langsam, seine Augen vom intensiven Blick seines Bruders gebannt, ließ Caramon die Kugel der Drachen fallen.

Die Kugel verschwand!

»Was? Wo...«, Tanis sah Raistlin argwöhnisch an.

»Im Beutel«, erwiderte der Magier ruhig und zeigte den kleinen Beutel vor. »Sieh selbst nach, wenn du mir nicht glaubst.«

Tanis spähte in den Beutel. Es stimmte – die Kugel befand sich im Beutel. Er konnte den wirbelnden grünen Nebel erkennen, als ob sich in ihr ein schwaches Leben rührte. Sie muß zusammengeschrumpft sein, dachte er ehrfürchtig. Da die Kugel dieselbe Größe wie vorher zu haben schien, hatte Tanis den furchterregenden Eindruck, daß er gewachsen war.

Schaudernd trat der Halb-Elf zurück. Raistlin zog an der Schnur des Beutels. Dann warf er den anderen einen mißtrauischen Blick zu, verbarg den Beutel in einer seiner Geheimtaschen seiner Robe und drehte sich um. Aber Tanis hielt ihn auf.

»Es kann wohl nie mehr zwischen uns so sein wie früher, oder?« fragte der Halb-Elf ruhig.

Raistlin sah ihn einen Moment lang an, und Tanis entdeckte ein kurzes Aufflackern des Bedauerns in den Augen des jungen Magiers, ein Sehnen nach Vertrauen und Freundschaft und nach einer Rückkehr zu den Tagen ihrer Jugend.

»Nein«, flüsterte Raistlin. »Aber das war eben der Preis, den ich bezahlt habe.« Er begann zu husten.

»Preis? An wen? Wofür?«

»Frag nicht, Halb-Elf.« Die dünnen Schultern des Magiers krümmten sich unter dem Hustenanfall. Caramon legte seinen starken Arm um seinen Bruder, und Raistlin lehnte sich geschwächt an ihn. Als er sich wieder erholt hatte, hob er seine goldenen Augen. »Ich kann dir die Antwort nicht geben, Tanis, weil ich sie selbst nicht kenne.«

Dann beugte er seinen Kopf und ließ sich von Caramon wegführen, um sich vor ihrer Reise auszuruhen.

»Ich wünschte, du würdest es dir anders überlegen und uns bei den Beerdigungsriten für deinen Vater helfen lassen«, sagte Tanis zu Alhana, als sie im Eingang des Sternenturms standen, um sich zu verabschieden. »Ein Tag wird für uns keinen Unterschied ausmachen.«

»Ja, wir helfen dir«, stimmte Goldmond aufrichtig zu. »Ich weiß über diese Dinge viel von meinem Volk, denn unsere Beerdigungsbräuche sind euren ähnlich, wenn Tanis mich richtig unterrichtet hat. Ich war bei meinem Stamm Priesterin, und ich wachte über das Einhüllen der Körper in mit Gewürzen versehene Kleidungsstücke, die sie konservieren...«

»Nein, meine Freunde«, sagte Alhana entschlossen. »Es war der Wunsch meines Vaters, daß ich... es allein mache.«

Das stimmte nicht ganz, aber Alhana wußte, wie schockiert sie sein würden, wenn ihr Vater der Erde übergeben werden würde – ein Brauch, der nur von Goblins und anderen bösartigen Kreaturen angewendet wurde. Der Gedanke erschreckte sie. Unfreiwillig fiel ihr Blick auf den entstellten und verdrehten Baum, der sein Grab kennzeichnen sollte. Sie sah schnell weg, ihre Stimme versagte.

»Sein Grab ist... ist schon seit langem vorbereitet, und ich verfüge selbst über Erfahrungen in diesen Dingen. Macht euch bitte keine Sorgen um mich.«

Tanis sah den Schmerz in ihrem Gesicht, konnte ihre Bitte aber nicht abschlagen.

»Wir verstehen«, sagte Goldmond. Dann legte die Que-Shu-Barbarin impulsiv ihre Arme um die Elfenprinzessin und hielt sie an sich gedrückt, als würde sie ein verlorenes und verängstigtes Kind festhalten. Alhana versteifte sich anfangs, entspannte sich dann aber in Goldmonds mitfühlender Umarmung.