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Einige Zeugen waren bereits erschienen. Die meisten Elfen, die mit der Stimme und dem Silvanesti-Lord gereist waren, hatten ihre Plätze eingenommen. Die zwei einander entfremdeten Elfenrassen saßen dicht nebeneinander, weit von den Menschen entfernt, die nun auch die Reihen füllten. Alle saßen schweigend da, einige in Erinnerung an den Tag des Hungers; andere, wie die Gnomen, die diesen Feiertag nicht begingen, in Ehrfurcht vor diesem Platz. Die Sitze in der ersten Reihe waren für Ehrengäste oder jene reserviert, die vor der Versammlung reden sollten.

Gunther sah den ernstblickenden Sohn der Stimme, Porthios, mit einem Gefolge von Elfenkriegern eintreten. Sie nahmen ihre Sitze vorne ein. Gunther fragte sich, wo Elistan blieb. Er war von den Worten des Mannes (auch wenn es ein Scharlatan sein sollte) beeindruckt gewesen und hoffte, daß er sie wiederholen würde.

Als er vergeblich nach Elistan Ausschau hielt, bemerkte er drei seltsame Gestalten, die sich in der ersten Reihe niederließen: es waren der alte Magier mit seinem zerknitterten Hut, sein Kenderfreund und ein Gnom, den sie vom Berg Machtnichts mitgebracht hatten. Die drei waren erst die Nacht zuvor von ihrer Reise zurückgekehrt.

Gunther war gezwungen, seine Aufmerksamkeit wieder auf den Weißstein zu richten. Die beratenden Mitglieder traten ein.

Es waren nur zwei, Lord Quinath von den Silvanesti und die Stimme der Sonnen. Gunther musterte die Stimme neugierig, da er einer der wenigen auf Krynn war, die sich noch an das Entsetzen der Umwälzung erinnerten.

Die Stimme ging tief gebeugt. Sein Haar war grau, sein Gesicht hager. Aber als er Platz genommen hatte und seinen Blick auf die Zeugen richtete, sah Gunther, daß die Augen des Elfen lebhaft und fesselnd waren. Lord Quinath, der neben ihm saß, war Gunther bekannt. Er hielt ihn für arrogant und stolz wie Porthios von den Qualinesti, aber nicht so intelligent.

Bei Porthios dachte Gunther, daß er den ältesten Sohn der Stimme ganz sympathisch hätte finden können. Porthios verfügte über alle Merkmale, die die Ritter bewunderten, mit einer Ausnahme – sein hitziges Temperament.

Gunthers Beobachtungen wurden unterbrochen, denn nun war die Zeit für die stimmberechtigten Mitglieder gekommen, ihre Plätze einzunehmen, und dazu gehörte Gunther. Zuerst kam Mir Kar-Thon aus dem nördlichen Ergod, ein dunkelhäutiger Mann mit eisgrauem Haar und den Armen eines Riesen. Dann folgte Serdin Mar-Thasal, der die Exilanten von Sankrist vertrat und schließlich Fürst Gunther, Ritter von Solamnia.

Als Gunther saß, warf er einen letzten Blick in die Runde.

Der riesige Weißstein glitzerte hinter ihm, warf seine eigenen seltsamen Strahlen, denn die Sonne würde heute nicht scheinen.

An der anderen Seite des Weißsteins saßen die Stimme und Lord Quinath, ihnen gegenüber die Zeugen. Der Kender wirkte gedämpft, seine kurzen Beine baumelten von der hohen Bank.

Der Gnom wühlte sich durch einen Berg Papiere; Gunther schauderte und hoffte, daß man um einen gerafften Bericht bitten konnte. Der alte Magier gähnte und kratzte sich am Kopf, während er sich geistesabwesend umschaute.

Alles war bereit. Auf Gunthers Zeichen hin erschienen zwei Ritter mit einem goldenen Gestell und einer Holzkiste. Ein fast tödliches Schweigen brach über die Menge, als sie das Erscheinen der Kugel der Drachen beobachtete.

Die Ritter blieben direkt vor dem Weißstein stehen. Einer der Ritter stellte das Gestell auf den Boden. Der andere stellte die Kiste ab, schloß sie auf und holte vorsichtig die Kugel der Drachen hervor, die nun wieder ihre ursprüngliche Größe hatte.

Ein Murmeln ging durch die Menge. Die Stimme der Sonnen bewegte sich unruhig und warf finstere Blicke. Sein Sohn Porthios wandte sich um und flüsterte einem Elfenlord etwas zu. Alle Elfen waren bewaffnet, wie Gunther bemerkte. Kein gutes Zeichen, wenn man das Elfenprotokoll kennt.

Ihm blieb jedoch nichts anderes übrig, als fortzufahren. Fürst Gunther Uth Wistan rief das Treffen zur Ordnung, indem er verkündete: »Laßt uns das Treffen von Weißstein beginnen.«

Nach ungefähr zwei Minuten war es für Tolpan offensichtlich, daß sich die Dinge in einem wahren Durcheinander befanden.

Noch bevor Fürst Gunther seine Willkommensrede beenden konnte, erhob sich die Stimme der Sonnen.

»Meine Ansprache wird kurz sein«, erklärte der Elfenführer mit einer Stimme, die den stahlgrauen Gewitterwolken gleichkam. »Die Silvanesti, die Qualinesti und die Kaganesti haben eine Konferenz einberufen, kurz nachdem die Kugel aus unserem Lager entfernt wurde. Es war das erste Mal seit den Sippenmord-Kriegen, daß sich die Mitglieder der drei Gemeinschaften getroffen haben.« Er machte eine Pause, um diesen letzten Worten besonderen Nachdruck zu verleihen. Dann fuhr er fort.

»Wir haben entschieden, unsere eigenen Differenzen außer acht zu lassen in Anbetracht unserer gemeinsamen Auffassung, daß die Kugel der Drachen in die Hände der Elfen gehört und nicht in die Hände der Menschen oder einer anderen Rasse auf Krynn. Folglich sind wir vor das Treffen von Weißstein getreten, um zu bitten, uns die Kugel der Drachen auszuhändigen.

Als Entschädigung garantieren wir, daß wir sie in unser Land mitnehmen und dort sicher aufbewahren, solange es notwendig ist.«

Die Stimme setzte sich wieder, seine dunklen Augen fuhren über die Menge, das Schweigen wurde nun von einem Gemurmel durchbrochen. Die anderen Mitglieder, die neben Fürst Gunther saßen, schüttelten die Köpfe, ihre Gesichter waren grimmig. Der dunkelhäutige Führer des nördlichen Ergods flüsterte Fürst Gunther etwas zu, seine geballten Fäuste betonten seine Worte.

Fürst Gunther, der einige Minuten lang zugehört und genickt hatte, erhob sich, um zu antworten. Seine Rede war kühl, ruhig und höflich. Aber zwischen den Zeilen war herauszuhören, daß die Ritter die Elfen lieber im Abgrund sehen würden, als ihnen die Kugel der Drachen auszuhändigen.

Die Stimme, der die Botschaft eindeutig verstand, erhob sich.

Er sprach nur einen Satz, aber er brachte die Zeugen auf die Beine.

»Dann, Fürst Gunther«, sagte die Stimme, »erklären die Elfen, daß wir uns von nun an im Krieg befinden!«

Menschen und Elfen rannten auf die Kugel der Drachen zu, die auf dem Ständer lag, ihr milchigweißes Inneres wirbelte sanft. Gunther rief immer wieder zur Ordnung auf und schlug mit dem Schwertknauf auf den Tisch. Die Stimme sprach einige Worte in der Elfensprache und starrte seinen Sohn Porthios streng an. Endlich kehrte wieder Ruhe ein.

Aber die Atmosphäre war angespannt wie vor einem Sturm.

Gunther redete. Die Stimme antwortete. Die Stimme redete.

Gunther antwortete. Der dunkelhäutige Seemann verlor die Geduld und machte einige schneidende Bemerkungen über Elfen. Der Lord der Silvanesti gab ihm sarkastische Erwiderungen zurück. Einige Ritter verschwanden, nur um bis an die Zähne bewaffnet wieder zu erscheinen. Sie stellten sich in der Nähe von Gunther auf, ihre Hände an den Waffen. Die Elfen, von Porthios geführt, erhoben sich und stellten sich um ihre Führer.

Gnosch, der sein Manuskript fest in der Hand hielt, erkannte, daß er wohl gar nicht um seinen Bericht gebeten werden würde.

Tolpan sah sich verzweifelt nach Elistan um. Er hoffte immer noch, daß der Kleriker kommen würde. Elistan konnte diese Leute beruhigen. Oder vielleicht Laurana. Wo war sie? Die Elfen hatten dem Kender kühl gesagt, daß man von seinen Freunden nichts gehört hätte. Sie und ihr Bruder waren offenbar in der Wildnis verschollen. Ich hätte sie nicht verlassen dürfen, dachte Tolpan. Ich sollte nicht hier sein. Warum, warum hat mich dieser verrückte alte Magier hierhergebracht? Ich bin so nutzlos! Vielleicht könnte Fizban etwas unternehmen! Tolpan sah den Magier hoffnungsvoll an, aber Fizban schlief fest!

»Bitte, wach auf!« bat Tolpan und schüttelte ihn. »Irgendjemand muß irgend etwas machen!«