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Gunther räusperte sich. »Du wirst also die Lanzen nach Palanthas bringen. Aber was wichtiger ist, du wirst ein Entlastungsschreiben des Kapitels mitnehmen, das Sturms Ehre völlig wiederherstellt. Das wird Derek den Todesstoß versetzen. In dem Moment, in dem Sturm seine Rüstung anlegt, werden alle wissen, daß das Kapitel voll hinter mir steht. Es würde mich nicht wundern, wenn Derek nach seiner Rückkehr ein Prozeß erwartet.«

»Aber warum ich?« fragte Laurana barsch. »Ich könnte beispielsweise Fürst Michael den Gebrauch der Drachenlanze beibringen. Er kann sie nach Palanthas bringen, mit dem Schreiben für Sturm...«

»Laurana...«, Fürst Gunther ergriff ihre Hand, zog sie näher und sprach flüsternd weiter, »... du verstehst immer noch nicht! Ich kann Fürst Michael nicht trauen! Ich kann nicht – ich wage nicht, überhaupt einem Ritter zu vertrauen! Derek ist von seinem hohen Roß gestoßen worden – um es so auszudrücken -, aber er hat das Turnier noch nicht verloren. Ich brauche jemanden, dem ich völlig vertrauen kann! Jemand, der Derek durchschaut, und der Sturms beste Interessen im Herzen hat!«

»Ich habe Sturms Interessen im Herzen«, sagte Laurana kühl. »Ich stelle sie über die Interessen der Ritterschaft.«

»Aber vergiß nicht, Laurana«, sagte Gunther, während er sich erhob und sich niederbeugte, um ihre Hand zu küssen. »Sturms einziges Interesse ist die Ritterschaft. Was meinst du wohl, was mit ihm passieren würde, wenn die Ritterschaft fällt? Was würde mit ihm passieren, wenn Derek die Macht ergreift?«

Am Ende willigte Laurana schließlich ein, nach Palanthas zu gehen, wie Gunther es gewußt hatte. Als die Zeit ihrer Abreise heranrückte, begann sie fast jede Nacht von Tanis zu träumen, daß er ankommen würde, nachdem sie gerade einige Stunden zuvor gefahren wäre. Mehr als einmal war sie an dem Punkt, doch noch abzulehnen, aber dann dachte sie an Tanis, daran, daß sie ihm womöglich einmal gegenüberstehen würde und ihm sagen müßte, daß sie sich geweigert hätte, zu Sturm zu gehen, um ihn vor dieser Gefahr zu warnen. Dieser Gedanke hielt sie davon ab, ihre Meinung zu ändern. Dies – und ihre Achtung vor Sturm.

In diesen einsamen Nächten sehnten sich ihr Herz und ihre Arme nach Tanis, und sie hatte Visionen von ihm, wie er diese menschliche Frau mit dem dunklen lockigen Haar, funkelnden braunen Augen und dem merkwürdigen, bezaubernden Lächeln hielt, so daß ihre Seele schmerzliche Qualen litt.

Ihre Freunde konnten ihr nur wenig Trost geben. Einer von ihnen, Elistan, verließ das Schloß, als ein Bote der Elfen erschien, die den Kleriker zu sich baten, und um einen Abgesandten der Ritter als seine Begleitung nachfragten. Es blieb wenig Zeit für den Abschied. Noch am Tag der Ankunft des Elfenboten machten sich Elistan und Fürst Alfreds Sohn, ein ernster junger Mann namens Douglas, auf ihre Reise ins südliche Ergod. Laurana hatte sich noch nie so einsam gefühlt, als sie sich von ihrem Lehrmeister verabschiedete.

Auch Tolpan stand vor einem traurigen Abschied.

Bei all der Aufregung wegen der Drachenlanze hatten alle Gnosch und seine Lebensaufgabe vergessen, die in tausend funkelnden Stücken auf dem Gras lag. Alle, außer Fizban. Der alte Magier erhob sich vom Boden, wo er zusammengekauert vor dem gespaltenen Weißstein gelegen hatte, und ging zu dem schwergeprüften Gnomen, der jammervoll auf die zerstörte Kugel der Drachen starrte.

»Nun, nun, mein Junge«, sagte Fizban, »das ist nicht das Ende von allem!«

»Nein?« fragte Gnosch, dem so elend zumute war, daß er einen Satz zu Ende sprach.

»Nein, natürlich nicht! Du mußt das aus der richtigen Perspektive sehen. Nun, jetzt hast du die Chance, die Kugel der Drachen von innen nach außen zu untersuchen!«

Gnoschs Augen strahlten auf. »Du hast recht«, sagte er nach einer kurzen Pause, »und ich wette, ich könnte sie zusammenkleben...«

»Ja, ja«, sagte Fizban schnell, aber Gnosch stürzte nach vorn, und sein Redestrom wurde immer schneller.

»Wir können die Teile markieren, verstehst​du, und​dann​zeichnen​wir​ein​Diagramm, wo​jedes​Teil​auf​dem​Boden​gelegen​hat, was...«

»Recht, recht«, murmelte Fizban.

»Tretet zur Seite, tretet zur Seite«, sagte Gnosch wichtigtuerisch und schob die Leute von der Kugel weg. »Paßt auf, wohin Ihr geht, Fürst Gunther, und ja, wir werden sie nun von innen nach außen studieren, und in einigen Wochen werde ich meinen Bericht fertiggestellt haben.«

Gnosch und Fizban riegelten den Platz ab und machten sich an die Arbeit. Für die nächsten zwei Tage stand Fizban am zerbrochenen Weißstein und fertigte Zeichnungen an, in denen er angeblich den genauen Standort jedes einzelnen Teils markierte, bevor es eingesammelt wurde. (Eine von Fizbans Zeichnungen landete zufällig im Beutel des Kenders. Tolpan entdeckte später, daß es in Wirklichkeit ein Spiel war, das der Magier gegen sich selbst gespielt und – offenbar – verloren hatte.)

Gnosch kroch derweil glücklich im Gras herum und steckte kleine Pergamentfetzen mit Nummern an Glasteile, die kleiner waren als die Pergamentfetzen. Er und Fizban sammelten schließlich 2687 Stücke der Kugel der Drachen in einen Korb und transportierten sie zurück zum Berg Machtnichts.

Tolpan stand vor der Wahl, bei Fizban zu bleiben oder mit Laurana und Flint nach Palanthas zu reisen. Die Entscheidung war einfach. Der Kender wußte, daß solch unschuldige Wesen wie das Elfenmädchen und der Zwerg ohne ihn nicht überleben konnten. Aber es war hart, seinen alten Freund zu verlassen.

Zwei Tage, bevor das Schiff in See stechen sollte, stattete er den Gnomen und Fizban einen letzten Besuch ab.

Nach einer erheiternden Fahrt mit dem Katapult fand er Gnosch im Untersuchungszimmer. Die Teile der zerbrochenen Kugel der Drachen lagen mit Zetteln und Nummern versehen auf zwei Tischen ausgebreitet.

»Absolut​faszinierend«, Gnosch sprach so schnell, daß er stotterte, »weil wir​das​Glas​analysiert​haben, merkwürdiges​Material, so​etwas​haben​wir​noch​nie​gesehen, die​größte​Entdekkung, in​diesem​Jahrhundert...«

»Dann ist deine Lebensaufgabe erfüllt?« unterbrach Tolpan.

»Und die Seele deines Vaters...«

»Ruhtgemütlich!« Gnosch strahlte, dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. »Und​so​glücklich​daß​du​vorbeikommen​konntest, und​wenn​du​jeinder​Nachbarschaft​bist​komm​vorbei​und​besuch​mich...«

»Das werde ich«, sagte Tolpan lächelnd.

Tolpan fand Fizban zwei Ebenen tiefer. (Eine faszinierende Reise – er schrie einfach nur den Namen seiner Ebene, dann sprang er ins Nichts. Netze flatterten hervor, Glocken und Gongs ertönten und Pfeifen bliesen. Tolpan wurde schließlich eine Ebene über dem Boden festgehalten, gerade als der ganze Platz mit Schwämmen überflutet wurde.)

Fizban war in der Waffenentwicklung, umgeben von Gnomen, die ihn mit unverhohlener Bewunderung anstarrten.

»Ah, mein Junge!« sagte er und beäugte Tolpan geistesabwesend. »Du kommst gerade recht, um beim Testen unserer neuen Waffe zuzusehen. Revolutioniert die Kriegsführung. Macht die Drachenlanze altmodisch.«

»Wirklich?« fragte Tolpan aufgeregt.

»Tatsache!« bestätigte Fizban. »Nun, stell dich dort drüben hin...« Er winkte einem Gnomen zu, der zu der Stelle sprang, auf die Fizban gezeigt hatte.

Fizban hob etwas auf, was für den verwirrten Kender wie eine Armbrust aussah, an der sich ein wütender Fischer zu schaffen gemacht hatte. Es war wirklich eine Armbrust. Aber statt eines Pfeils hing ein riesiges Netz am Haken. Fizban befahl den Gnomen, sich hinter ihn zu stellen und Platz zu machen.

»Nun, du bist der Feind«, sagte Fizban zum Gnomen mitten im Zimmer. Der Gnom setzte sofort eine wilde, kriegerische Miene auf. Die anderen Gnomen nickten zustimmend.

Fizban zielte, dann ließ er los. Das Netz segelte durch die Luft, verhedderte sich am Haken der Armbrust und schnappte zurück wie ein einfallendes Segel, um sich um den Magier zu schlingen.