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»Ich bitte um Verzeihung für die Störung«, hörte Tanis die Frau sagen, »aber dein Lied hat mich tief berührt. Ich... ich möchte mehr über die alten Götter erfahren.«

Goldmond lächelte. »Komm morgen zu mir«, sagte sie, »und ich werde dich alles lehren, was ich weiß.«

Und so verbreitete sich langsam die Neuigkeit über die uralten Götter. Und als die Gefährten die Hafenstadt Balifor verließen, trugen die dunkelhäutige Frau, ein junger Mann mit sanfter Stimme und mehrere andere Leute das blaue Medaillon von Mishakal, der Göttin der Heilkunst. Heimlich führten sie das Werk fort und brachten dem düsteren und heimgesuchten Land Hoffnung.

Nach einem Monat waren die Gefährten in der Lage, einen Wagen, Pferde und Vorräte zu kaufen. Der Rest des Geldes wurde für die Schiffsüberfahrt nach Sankrist aufbewahrt. Sie hatten vor, in den kleinen Dörfern zwischen Balifor und Treibgut weitere Vorstellungen zu geben.

Als der Rote Zauberer Balifor kurz vor Weihnachten verließ, wurde sein Wagen von einer begeisterten Menge verabschiedet.

Mit ihren Kostümen, Vorräten für zwei Monate und einem Bierfaß (von William spendiert) war der Wagen immer noch groß genug, daß Raistlin darin schlafen und reisen konnte. Er enthielt auch bunt gestreifte Zelte für die anderen.

Tanis schüttelte den Kopf über den seltsamen Anblick, den sie boten. Ihm schien, daß dies von allen Erlebnissen, die ihnen widerfahren waren, das bizarrste war. Er sah Raistlin neben seinem Bruder sitzen, der den Wagen lenkte. Das rote Gewand des Magiers strahlte wie eine Flamme im hellen, winterlichen Sonnenschein. Die Schultern vor dem Wind eingezogen, starrte Raistlin nach vorn und wirkte geheimnisvoll – zum Entzücken der Menge. Caramon, in ein Bärenfellkostüm gekleidet (ein Geschenk von William), hatte den Bärenkopf über seinen eigenen gezogen. Es sah aus, als ob ein Bär den Wagen lenkte. Die Kinder jubelten, als er sie wie ein Bär anknurrte.

Sie waren fast aus der Stadt, als ein Drakonierhauptmann sie anhielt. Tanis ritt mit klopfendem Herzen und mit der Hand am Schwert nach vorn. Aber der Hauptmann wollte nur sicherstellen, daß sie durch Blutsicht fuhren, wo Drakoniertruppen stationiert waren. Er hatte einem Freund von der Vorstellung erzählt, und die Soldaten freuten sich schon darauf. Tanis, der sich insgeheim schwor, diesen Ort nicht zu betreten, versprach felsenfest, daß sie dort auftreten würden.

Schließlich erreichten sie die Stadttore. Sie stiegen von ihren Pferden und verabschiedeten sich von ihrem Freund. William umarmte sie alle, wobei er mit Tika anfing und auch mit Tika aufhörte. Als er Raistlin umarmen wollte, weiteten sich die goldenen Augen des Magiers so beunruhigend, daß der Wirt eilig zurückwich.

Die Gefährten stiegen wieder auf ihre Pferde. Raistlin und Caramon kehrten zum Wagen zurück. Die Menge jubelte und bedrängte sie, zum Frühlingsfest wiederzukommen. Die Wachen öffneten die Tore und wünschten ihnen eine sichere Reise.

Nachdem die Gefährten die Tore passiert hatten, schlossen sie sich wieder hinter ihnen.

Der Wind wehte eisig. Graue Wolken begannen sich in Schnee aufzulösen. Die Straße, von der man ihnen versichert hatte, daß sie stark befahren sei, erstreckte sich leer und düster vor ihnen. Raistlin begann zu zittern und zu husten. Nach einer Weile erklärte er, daß er sich in den Wagen setzen wolle. Die anderen zogen ihre Kapuzen über die Köpfe und wickelten sich fester in ihre Fellumhänge.

Caramon, der den Wagen auf der furchigen, verschlammten Straße lenkte, wirkte ungewöhnlich nachdenklich.

»Weißt du, Tanis«, übertönte er todernst das Klingeln der Glöckchen, die Tika an die Pferdemähnen gebunden hatte. »Ich bin sehr dankbar, daß keiner unserer Freunde das erlebt hat. Kannst du dir vorstellen, was Flint sagen würde? Dieser grummelnde alte Zwerg hätte niemals zugelassen, daß ich so tief sinke. Und kannst du dir Sturm vorstellen?« Der große Mann schüttelte den Kopf.

Ja, seufzte Tanis bei sich. Ich kann mir Sturm vorstellen.

Teurer Freund, mir ist nie klargeworden, wie sehr ich dich brauche – deinen Mut, dein ehrenhaftes Denken. Lebst du, mein Freund? Hast du Sankrist sicher erreicht? Bist du jetzt der Ritter, der du immer sein wolltest? Werden wir uns wiedersehen, oder haben wir uns getrennt, um uns in diesem Leben nie mehr zu sehen – wie es Raistlin vorausgesagt hatte?

Die Gruppe reiste weiter. Der Tag wurde düsterer, der Sturm heftiger. Flußwind fiel zurück, um neben Goldmond zu reiten.

Tika band ihr Pferd an den Wagen und kroch hinauf, um neben Caramon zu sitzen. Im Wagen schlief Raistlin.

Tanis ritt allein, den Kopf gesenkt, in Gedanken weit weg.

2

Die Verhandlungen der Ritter

»Und schließlich«, sagte Derek mit leiser Stimme und wohlüberlegt, »beschuldige ich Sturm Feuerklinge der Feigheit vor dem Feind.«

Ein leises Murmeln ging durch die versammelten Ritter, die sich im Schloß von Fürst Gunther eingefunden hatten. Drei von ihnen, die an einem massiven schwarzen Eichentisch vor der Versammlung saßen, steckten ihre Köpfe zur Beratung zusammen.

Vor langer Zeit wären die drei bei diesen Verhandlungen nach Vorschrift des Maßstabs – der Großmeister, der Oberkleriker und der Hofrichter gewesen. Aber jetzt gab es keinen Großmeister. Seit der Umwälzung gab es auch keinen Oberkleriker. Und obwohl der Hochrichter – Fürst Alfred Merkenin anwesend war, war seine Stellung höchst unsicher. Wer auch immer der neue Großmeister werden würde, er würde das Recht haben, ihn abzusetzen.

Trotz dieser unbesetzten Ämter im Kapitel des Ordens mußten die Geschäfte der Ritter weitergeführt werden. Zwar war er nicht stark genug, um die begehrte Stellung des Großmeisters zu beanspruchen, aber Fürst Gunther Uth Wistan war stark genug, um diese Funktion auszuüben. Und so saß er heute hier, zu Beginn der Weihnachtszeit, um über diesen jungen Edelmann, Sturm Feuerklinge, zu urteilen. Zu seiner Rechten saß Fürst Alfred, zu seiner Linken der junge Fürst Michael Jeoffrey, der den Platz des Oberklerikers einnahm.

Ihnen gegenüber saßen in der Großen Halle von Schloß Uth Wistan zwanzig andere Ritter von Solamnia, die aus allen Teilen Sankrists eilig herbeigerufen worden waren, um als Zeugen diesen Verhandlungen beizuwohnen – wie es der Maßstab vorschrieb. Nun murrten sie und schüttelten die Köpfe, während ihre Führer sich berieten.

An einem Tisch direkt vor den drei Rittern erhob sich Fürst Derek und verbeugte sich vor Fürst Gunther. Er hatte seine Aussage gemacht. Es blieben nur noch die Antwort des Ritters und das Urteil. Derek kehrte zu seinem Platz bei den anderen Rittern zurück und unterhielt sich lachend mit ihnen.

Nur eine Person in der Halle war stumm. Sturm Feuerklinge hatte während aller Anschuldigungen von Fürst Derek Kronenhüter bewegungslos dagesessen. Er hatte Anklagen gehört wegen Gehorsamsverweigerung, Befehlsverweigerung, unberechtigtem Tragen der Ritterrüstung – und er hatte nicht ein Wort dazu gesagt. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos, seine Hände lagen auf dem Tisch.

Fürst Gunthers Augen waren auf Sturm gerichtet, wie während der ganzen Zeit der Verhandlungen. Er begann sich zu fragen, ob der Mann überhaupt noch lebte, sein Gesicht war so starr und weiß, seine Haltung unbeweglich. Gunther hatte Sturm nur einmal zusammenzucken sehen, und zwar als er der Feigheit beschuldigt wurde. Der Blick dieses Mannes... Nun, Gunther erinnerte sich, solch einen Blick schon einmal gesehen zu haben --- bei einem Mann, der von einer Lanze durchbohrt worden war.

Aber Sturm gewann schnell seine Fassung wieder.

Gunther war so sehr interessiert daran, Feuerklinge zu beobachten, daß er beinahe den Faden der Unterhaltung der beiden Ritter verlor. Er schnappte nur das Ende von Fürst Alfreds Satz auf.

»...die Antwort des Ritters nicht erlauben.«

»Warum nicht?« fragte Fürst Gunther scharf, obgleich er seine Stimme leise hielt. »Nach dem Maßstab ist es sein Recht.«