»Sucher! Pah!« schnaubte Raistlin verächtlich. »Öffne deine Augen, Halb-Elf. Jemand oder etwas Mächtiges hat diese Kreaturen geschaffen - diese Drakonier. Nicht die idiotischen Sucher. Und niemand unternimmt diese ganze Anstrengung, um zwei Dörfer einzunehmen oder um einen blauen Kristallstab zu suchen. Dies ist ein Eroberungskrieg, Tanis. Jemand will Ansalon erobern! Innerhalb von zwei Tagen wird dem Leben auf Krynn, so wie wir es kennen, ein Ende bereitet werden. Das bedeutete das Omen der gefallenen Sterne. Die Königin der Finsternis ist zurückgekehrt. Wir stehen einem Widersacher gegenüber, der versucht, uns zumindest zu versklaven, wenn nicht vielleicht völlig zu vernichten.«
»Dein Rat?« fragte Tanis widerwillig. Er spürte eine nahende Veränderung, und wie alle Elfen fürchtete und verabscheute er Veränderungen.
Raistlin lächelte sein verzerrtes, bitteres Lächeln und schwelgte in dem Moment seiner Überlegenheit. »Daß wir unverzüglich nach Xak Tsaroth aufbrechen. Daß wir uns heute abend, wenn möglich, auf den Weg machen mit den Mitteln, die der Herr der Wälder uns zur Verfügung stellen kann. Wenn wir dieses Geschenk nicht innerhalb von zwei Tagen erhalten -werden es die Armeen der Drakonier bekommen.«
»Was für ein Geschenk könnte das nur sein?« fragte sich Tanis laut. »Ein Schwert oder Münzen, wie Caramon meint?«
»Mein Bruder ist ein Dummkopf«, bemerkte Raistlin kalt. »Du glaubst den Unsinn nicht, und ich auch nicht.«
»Was dann?« fragte Tanis weiter.
Raistlins Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Ich habe dir meinen Rat gegeben. Befolge ihn oder laß es bleiben. Ich habe meine eigenen Gründe, dorthin zu gehen. Laß es dabei bewenden, Halb-Elf. Aber es wird gefährlich werden. Xak Tsaroth wurde vor dreihundert Jahren aufgegeben. Ich glaube nicht, daß es lange verlassen geblieben ist.«
»Das ist wahr«, sinnierte Tanis. »Glaubst du, daß wir auserwählt wurden, Raistlin?« fragte Tanis. Der Magier zögerte nicht. »Ja. So wurde es mir in den Türmen der Erzmagier mitgeteilt. Und auch Par-Salian sagte es mir.« »Aber warum?« fragte Tanis ungeduldig. »Wir sind alle keine Helden - nun, vielleicht Sturm...«
»Ah«, meinte Raistlin. »Aber wer hat uns auserwählt? Und für welchen Zweck? Darüber solltest du dir Gedanken machen!« Der Magier verbeugte sich spöttisch vor Tanis, dann wandte er sich um und ging zu der Gruppe zurück.
Geflügelter Schlaf Rauch im Osten. Dunkle Erinnerungen Xak Tsaroth«, sagte Tanis. »Das ist meine Entscheidung.« »Ist es das, was der Magier rät?« fragte Sturm störrisch. »So ist es«, antwortete Tanis. »Und ich glaube, sein Ratschlag ist vernünftig. Falls wir Xak Tsaroth nicht in zwei Tagen erreichen, werden das andere tun, und dieses ›größte Geschenk wäre wohl für immer verloren.«
»Das größte Geschenk!« sagte Tolpan mit glänzenden Augen. »Denk nur, Flint! Juwelen von unschätzbarem Wert! Oder vielleicht...«
»Ein Humpen Bier und Otiks Bratkartoffeln«, murrte der Zwerg. »Und ein schönes warmes Feuer. Aber nein - Xak Tsaroth!«
»Ich denke, wir sind uns einig«, sagte Tanis. »Wenn du meinst, daß du im Norden gebraucht wirst, Sturm, natürlich...« »Ich gehe mit euch nach Xak Tsaroth.« Sturm seufzte. »Für mich gibt es nichts im Norden. Ich habe mir selber etwas vorgemacht. Die Ritter meines Ordens sind in alle Winde zerstreut, haben sich in bröckelnden Festungen verkrochen und bekämpfen die Gläubiger.«
Das Gesicht des Ritters verzog sich schmerzhaft, und er senkte den Kopf. Tanis fühlte sich plötzlich müde. Sein ganzer Körper tat ihm weh. Er wollte noch etwas sagen, spürte dann aber eine sanfte Hand seine Schulter berühren. Er sah auf Goldmonds Gesicht, kühl und ruhig im Mondlicht.
»Du bist müde, mein Freund«, sagte sie. »Wir alle sind müde. Aber wir freuen uns, daß du mitkommst. Flußwind und ich.« Sie sah auf, ihr klarer Blick glitt über die ganze Gruppe. »Wir freuen uns, daß ihr alle mitkommt.«
Tanis blickte zu Flußwind, unsicher, ob der hochgewachsene Barbar wirklich derselben Meinung war.
»Auf ein weiteres Abenteuer«, sagte Caramon und errötete verlegen. »He, Raist?« Aber Raistlin ignorierte seinen Zwillingsbruder und sah zum Herrn der Wälder. »Wir müssen sofort aufbrechen«, sagte der Magier kühl. »Du erwähntest deine Hilfe, um das Gebirge zu überqueren.« »In der Tat«, erwiderte der Herr der Wälder und nickte ernst. »Auch ich freue mich über diese Entscheidung. Ich hoffe, ihr begrüßt meine Hilfe.«
Der Herr der Wälder hob den Kopf und sah in den Himmel hinauf. Die Gefährten folgten seinem Blick. Der Nachthimmel schimmerte hell von den Sternen. Bald wurden die Gefährten gewahr, daß oben etwas flog und die Sterne beim Vorbeifliegen ignorierte.
»Ich glaub', ich bin ein Gossenzwerg«, sagte Flint feierlich. »Fliegende Pferde. Und was kommt als nächstes?«
»Oh!« machte Tolpan. Der Kender war vor Erstaunen wie erstarrt, als er die über ihnen kreisenden wunderschönen Tiere sah, die mit jeder Drehung immer tiefer herabstiegen. Ihr Fell strahlte blauweiß im Mondschein. Tolpan klatschte in die Hände. In seinen kühnsten Kenderträumen hatte er sich nicht / das Fliegen vorstellen können. Dies allein war es wert, gegen sämtliche Drakonier auf Krynn zu kämpfen.
Die Pegasi landeten auf dem Boden, ihre Federflügel erzeugten einen Wind, der gegen die Zweige pfiff und das Gras niederdrückte. Ein riesiger Pegasus mit Flügeln, die den Boden berührten, verbeugte sich ehrerbietig vor dem Herrn der Wälder. Sein Gehabe war stolz und edel. Auch die anderen wunderschönen Kreaturen verbeugten sich nacheinander. »Du hast uns gerufen?« fragte der Pegasi-Führer den Herrn der Wälder.
»Diese meine Gäste haben Dringendes im Osten zu erledigen. Ich bitte dich, sie mit der Schnelligkeit der Winde über das Ostwall-Gebirge zu tragen.«
Der Pegasus betrachtete erstaunt die Gefährten. Mit würdevoller Miene stolzierte er zu ihnen und starrte einen nach dem anderen an. Als Tolpan seine Hand hob, um die Nase des Rosses zu streicheln, stellte er beide Ohren hoch und legte seinen riesigen Kopf nach hinten. Aber als er zu Flint kam, schnaufte er voller Abscheu und wandte sich zum Herrn der Wälder: »Ein Kender? Menschen? Und ein Zwerg?«
»Mir brauchst du keinen Gefallen zu erweisen, Pferd!« schnaubte Flint.
Der Herr der Wälder nickte nur und lächelte. Der Pegasus verbeugte sich in widerstrebender Zustimmung. »Nun gut, Herr«, erwiderte er. Mit machtvoller Grazie trabte er zu Goldmond und beugte sein Vorderbein, um ihr das Besteigen zu erleichtern. »Nein, du brauchst nicht zu knien, edles Tier«, sagte sie. »Ich habe Pferde geritten, bevor ich laufen konnte. Ich brauche solche Hilfe nicht.« Sie reichte Flußwind ihren Stab, warf ihren Arm um den Hals des Pegasus und zog sich auf seinen breiten Rücken hoch. Ihr silbriggoldenes Haar flog wie weiße Federn im Mondschein, ihr Gesicht war rein und kalt wie Marmor. Nun sah sie wahrhaftig wie die Prinzessin eines Barbarenstammes aus.
Sie nahm ihren Stab wieder von Flußwind entgegen, hob ihn in die Luft und begann ein Lied zu singen. Fluß wind, dessen Augen vor Bewunderung glänzten, sprang hinter ihr auf den Rücken des geflügelten Pferdes. Er legte seine Arme um sie und begleitete mit seiner tiefen Stimme ihr Lied.