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»Sie wollen uns wohl nicht 'reinlassen in die Stadt?«

»Gleich werden sie uns 'reinlassen ... Die Fähre wird kommen – dann setzen sie über den Fluß.«

»Wir auch?«

»Gewiß, auch wir werden 'rüberfahren ...«

»Ach! Und ich dachte schon, sie wollten uns nicht aufnehmen ... Und wo werden wir wohnen?«

»Das weiß ich nicht ...«

»Vielleicht in dem großen Hause dort, in dem roten ...«

»Das ist eine Kaserne! ... Dort wohnen Soldaten ...«

»Oder in diesem hier – da, in dem!«

»Nicht doch! Das ist für uns zu hoch! ...«

»Tut nichts,« meinte Ilja in überzeugtem Tone – »wir werden schon hinaufkriechen! ...«

»Ach, du!« seufzte Onkel Terentij und verschwand wieder irgendwohin.

Sie fanden ein Unterkommen ganz am Ende der Stadt, in der Nähe eines Marktplatzes, in einem großen, grauen Hause. Von allen Seiten lehnten sich an die Wände dieses Hauses allerhand Anbauten, die einen aus neuerer Zeit, die andern ebenso schmutziggrau wie das Haus selbst. Die Fenster und Türen in diesem Hause waren schief, und alles knarrte Und knackte darin. Die Anbauten, der Zaun, das Tor – alles stützte sich gleichsam gegenseitig und vereinigte sich zu einem großen Haufen halb verfaulten Holzes. Die Fensterscheiben waren trüb vom Alter, und ein paar Balken der Fassade standen weit vor, wodurch das Haus ein Ebenbild seines Besitzers wurde, der in ihm eine Schankwirtschaft betrieb. Dieser Besitzer war gleichfalls alt und grau; die Augen in seinem verlebten Gesichte glichen den Glasscheiben in den Fenstern; er stützte sich beim Gehen auf einen dicken Stock – offenbar war es ihm nicht leicht, seinen weitvorspringenden Bauch zu tragen.

In den ersten Tagen, die Ilja in diesem Hause verlebte, kroch er überall herum und beschaute sich alles. Das Haus setzte ihn durch seine außerordentliche Geräumigkeit in Erstaunen. Es war so dicht mit Menschen vollgepfropft, daß man glauben konnte, es wohnten mehr Leute darin als im ganzen Dorfe Kiteshnaja.

Beide Stockwerke wurden für die Schankwirtschaft benutzt, die stets von zahlreichen Gästen besucht war, während in den Dachstuben eine Art ewig betrunkener Weiber logierte, von denen eine, Matiza mit Namen, eine mächtig große, schwarze Person mit tiefer Baßstimme, dem Knaben mit ihren dunklen, wild blickenden Augen Angst einjagte. Im Keller lebte der Schuster Perfischka mit seinem kranken, gelähmten Weibe und seinem siebenjährigen Töchterchen, ferner ein alter Lumpensammler, »Großvater« Jeremjej, eine magere alte Bettlerin, die wegen ihrer Gewohnheit, immer laut zu keifen, der »Schreihals« genannt wurde, und der Droschkenkutscher Makar Stepanytsch, ein bejahrter, gesetzter, schweigsamer Mensch. In einer Ecke des Hofes befand sich eine Schmiede; hier flammte vom Morgen bis zum Abend das Feuer, Radschienen wurden zusammengeschweißt, Pferde beschlagen, die Hämmer erklangen, und der hochgewachsene, sehnige Schmied Ssawel Gratschew sang mit seiner tiefen, schwermütigen Stimme endlos lange Lieder. Zuweilen erschien in der Schmiede Ssawels Gattin, eine kleine, üppige Frau, dunkelblond, mit blauen Augen, Sie trug stets ein weißes Tuch auf dem Kopfe, und dieser weißumhüllte Kopf nahm sich ganz seltsam aus in der dunklen Höhle der Schmiede. Sie ließ ein silbernes Lachen hören, während Ssawels Lachen ihr laut, als wenn er mit dem Hammer aufschlüge, antwortete. Öfter jedoch hörte man ihn brüllen als Antwort auf ihr Lachen.

In jeder Ritze des Hauses saß ein Mensch, und vom frühen Morgen bis zum späten Abend erzitterte das Haus von Lärm und Geschrei, wie wenn in ihm gleichwie in einem alten, rostigen Kessel irgend etwas siedete und kochte. An den Abenden krochen alle diese Menschen aus den Ritzen auf den Hof heraus, nach der Bank, die neben dem Haustor stand; der Schuster Perfischka spielte auf seiner Harmonika, Ssawel brummte seine Lieder, und Matiza sang – wenn sie betrunken war – irgendetwas ganz Besonderes, sehr Trauriges, mit Worten, die niemand verstand – sang und weinte dazu bitterlich.

Irgendwo in einem Winkel des Hofes sammelten sich im Kreise um Großvater Jeremjej alle Kinder des Hauses und baten ihn:

»Großväterchen! Erzähl' uns doch eine Geschichte!«

Der alte Lumpensammler schaute sie mit seinen kranken roten Augen an, aus denen beständig über das runzelige Gesicht trübe Tränen rannen; dann zog er seine fuchsige alte Mütze tiefer in die Stirn und begann mit zitternder, dünner Stimme in singendem Tone zu erzählen:

»In einem Lande, ich weiß nicht wo, ward, ich weiß nicht wie, ein Freimaurer-Ketzerkind von unbekannten Eltern geboren, die für ihre Sünden von Gott dem Allwissenden mit diesem Sohne gestraft wurden ...«

Der lange graue Bart Großvater Jeremjejs bewegte sich zitternd, wenn er seinen schwarzen, zahnlosen Mund öffnete, sein Kopf wackelte hin und her, und über die Runzeln seiner Wangen rollte eine Träne nach der andern.

»Und gar vermessen war dieses Ketzerkind: glaubte nicht an Christus den Herrn, liebte die Mutter Gottes nicht, ging an den Kirchen vorüber, ohne den Hut zu ziehen, wollte Vater und Mutter nicht gehorchen ...«

Die Kinder hörten auf die dünne Stimme des Alten und schauten ihm schweigend ins Gesicht.

Aufmerksamer als alle andern hörte der blonde Jakow zu, der Sohn des Büfettiers Petrucha, ein mageres, spitznäsiges Bürschchen mit einem großen Kopfe auf dem dünnen Halse. Wenn er lief, schwankte sein Kopf immer von einer Schulter nach der andern, als wenn er sich losreißen wollte. Seine Augen waren gleichfalls groß und auffallend unruhig. Sie schweiften ängstlich über alle Gegenstände, wie wenn sie sich fürchteten, irgendwo haften zu bleiben, und wenn sie endlich auf irgend etwas ruhten, traten sie seltsam rollend aus den Höhlen und gaben den Zügen des Knaben einen schafsmäßigen Ausdruck. Er fiel in der Schar der Kinder sogleich durch sein zartes, blutleeres Gesicht und seine saubere, solide Kleidung auf. Ilja befreundete sich sehr schnell mit ihm; gleich am ersten Tage ihrer Bekanntschaft fragte Jakow seinen neuen Kameraden mit geheimnisvoller Miene:

»Gibt's bei euch im Dorfe Zauberer?«

»Gewiß gibt's welche«, antwortete ihm Ilja. »Unser Nachbar konnte zaubern.«

»War er rothaarig?« erkundigte sich Jakow im Flüstertone.

»Nein, grau ... Sie haben alle graue Haare.«

»Die Grauen sind nicht schlimm, die sind gutherzig ... Aber die mit roten Haaren – ach, ich sag' dir! ... Die trinken Blut ...«

Sie saßen im hübschesten, gemütlichsten Winkel des Hofes, hinter einem Schutthaufen, unter den Holunderbüschen, die sich dort befanden. Auch eine große, alte Linde stand da. Man gelangte dahin durch eine schmale Spalte zwischen dem Schuppen und dem Hause; hier war es still, und außer dem Himmel über dem Kopfe und der Wand des Hauses mit den drei Fenstern, von denen zwei vernagelt waren, konnte man aus diesem Winkel nichts sehen. Auf den Zweigen der Linde hüpften zwitschernd die Spatzen hin und her, und unten, am Fuße des Stammes, saßen die Knaben und plauderten über alles, was sie interessierte.

Ganze Tage lang wälzte sich gleichsam vor Iljas Augen lärmend und schreiend irgendein großes, buntes Etwas, das ihn blendete und betäubte. Anfangs ward er ganz verwirrt in dem wüsten Durcheinander dieses Lebens. In der Schenke neben dem Tische, auf dem Onkel Terentij, schweißtriefend und naß vom Aufwaschwasser, das Geschirr spülte, stand Ilja oftmals und sah zu, wie die Leute kamen, tranken, aßen, schrien, sangen, sich küßten und prügelten. Wolken von Tabaksqualm umwogten sie, und in diesem Qualm tummelten sie sich wie Halbverrückte.

»Ei, ei!« sagte der Onkel zu ihm, seinen Buckel schüttelnd und mit den Gläsern klappernd. »Was suchst du denn hier? Mach', daß du auf den Hof kommst! Sonst sieht dich der Wirt und schimpft ...«

»Aha, so geht es hier zu!« dachte Ilja und lief, betäubt von dem Schenkenlärm, auf den Hof. Hier klopfte Ssawel laut mit dem Hammer auf den Amboß und zankte mit seinem Gesellen. Aus dem Keller drang das muntere Lied des Schusters Perfischka ins Freie, und von oben vernahm man das Schelten und Schreien der betrunkenen Weiber. Ssawels Sohn Paschka, der »Zankteufel« genannt, ritt auf einem Stocke im Hofe herum und schrie mit zorniger Stimme seinem Rosse zu: