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»Ach du! Der Herr segne dich!« rief der Bucklige mit freudig bewegter Stimme.

»Der Herr gibt es mir, ich gebe es dir, du – dem Jungen, und der Junge wieder dem Herrn. So geht alles bei uns im Kreise ... Und keiner wird dem andern etwas schuldig sein ... Ist das nicht gut so? Ach, Bruderherz! Ich hab' gelebt, gelebt, habe geschaut, geschaut – und habe nichts geschaut außer Gott. Alles ist Sein, alles gehört Ihm, alles ist von Ihm, alles für Ihn! ...«

Ilja schlief ein während ihres Geflüsters. Am nächsten Morgen aber weckte ihn der alte Jeremjej frühzeitig mit dem fröhlichen Rufe:

»He, steh auf, Iljuschka! Wirst mit mir kommen – na, munter, munter!«

III

Nicht übel gestaltete sich Iljas Tagewerk unter der gütigen Hand des Lumpensammlers Jeremjej. An jedem Morgen weckte er den Knaben schon frühzeitig, und sie gingen dann bis zum späten Abend in der Stadt umher und sammelten Lumpen, Knochen, altes Papier, altes Eisen, Lederstückchen und so weiter. Groß war die Stadt, und viel Merkwürdiges gab es darin zu schauen, so daß Ilja in der ersten Zeit dem Alten nur wenig half, sondern sich immer nur die Leute und Häuser anschaute, alles anstaunte und über alles den Großvater ausfragte ...

Jeremjej plauderte gern. Den Kopf nach vorn geneigt und mit den Augen den Boden absuchend, ging er von Hof zu Hof, klopfte mit der eisernen Spitze seines Stockes auf das Pflaster, wischte sich mit dem zerrissenen Ärmel oder mit einem Zipfel des schmutzigen Lumpensacks die Tränen aus den Augen und erzählte seinem kleinen Begleiter beständig mit singender, monotoner Stimme allerhand Geschichten:

»Dieses Haus da gehört dem Kaufmann Ssawa Petrowitsch Ptschelin; ein reicher Herr, der Kaufmann Ptschelin!«

»Großväterchen,« fragte Ilja – »sag' doch, wie wird man reich?«

»Man arbeitet darauf hin, man müht sich, heißt das ... Tag und Nacht arbeiten sie und häufen Geld auf Geld. Dann bauen sie sich ein Haus, schaffen sich Pferde an und allerhand Geräte, und was sonst noch alles ... Lauter neue Sachen! Und dann mieten sie sich Kommis, Hausknechte und andere Leute, die statt ihrer arbeiten – sie selbst aber ruhen aus und leben einen guten Tag. Wenn's einer so gehalten hat, sagt man von ihm: er hat es mit ehrlicher Arbeit zu etwas gebracht ... Hm ja! ... Aber es gibt auch solche, die durch die Sünde reich werden. Vom Kaufmann Ptschelin erzählen die Leute, daß er eine Seele auf dem Gewissen habe, noch von seiner Jugend her. Vielleicht ist's nur Neid, daß sie so reden; vielleicht ist's auch Wahrheit. Ein böser Mensch, dieser Ptschelin; seine Augen gucken so scheu – immer irren sie hin und her, als ob sie sich verstecken wollten ... Aber vielleicht ist's Lüge, wie gesagt, was sie von Ptschelin erzählen ... Manchmal kommt's auch vor, daß ein Mensch mit einemmal reich wird ... wenn er nämlich Glück hat ... Das Glück lächelt ihm eben ... Ach – nur Gott allein lebt in der Wahrheit, und wir alle wissen gar nichts! ... Wir sind eben Menschen, und die Menschen sind der Same Gottes, Samenkörner sind die Menschen, mein Lieber! Gott hat uns ausgesät auf der Erde – wachset nun! Und ich will sehen, was für ein Brot ihr ergeben werdet ... So steht's! Und jenes Haus dort gehört einem gewissen Ssabanjejew, Mitrij Pawlytsch mit Namen ... Er ist noch reicher als Ptschelin. Das ist nun freilich ein richtiger Spitzbube – ich weiß es! ... Ich urteile nicht, denn zu urteilen ist Gottes Sache, aber ich weiß es ganz bestimmt ... Er war nämlich in unserem Dorfe Gutsvogt und hat uns alle ausgeplündert, alle verkauft! ... Lange hat Gott Geduld mit ihm gehabt, dann aber begann er mit ihm abzurechnen. Zuerst ist Mitrij Pawlytsch taub geworden, dann wurde sein Sohn von einem Pferde erschlagen. Und neulich ist ihm die Tochter aus dem Hause gelaufen ...«

Ilja hörte aufmerksam zu, während er zugleich die großen Häuser betrachtete, und warf zuweilen ein:

»Wenn ich doch nur mal mit einem Auge hineinschauen könnte!«

»Wirst schon hineinschauen! Lern' nur fleißig! Bist du erst groß geworden, dann wirst du schon da hineinschauen. Vielleicht wirst du auch selbst einmal reich ... Lern' erst mal leben und schauen ... ach ja, auch ich hab' gelebt, gelebt, habe geschaut, geschaut! ... Die Augen habe ich mir dabei verdorben. Da fließen nun meine Tränen ... und davon bin ich so mager und schwächlich geworden. Ausgeflossen, scheint's, ist meine Kraft mit den Tränen ...«

Angenehm war es Ilja, den Alten mit soviel Überzeugung und Liebe von Gott reden zu hören. Es erwuchs beim Anhören dieser Reden in seinem Herzen ein starkes, erfrischendes Gefühl der Hoffnung auf irgend etwas Gutes, Frohes, das ihn in der Zukunft erwartete. Er ward heitrer und war jetzt mehr Kind als während der ersten Zeit seines Aufenthalts in der Stadt.

Mit Eifer half er dem Alten in den Schutthaufen wühlen. Sehr anziehend war es für ihn, mit dem Stock diese Haufen von allerhand Plunderkram zu untersuchen, und ganz besonders angenehm war es Ilja, die Freude des Alten zu sehen, wenn er in dem Müll irgendeinen ungewöhnlichen Fund machte. Eines Tages hatte Ilja einen großen silbernen Löffel gefunden, der Alte kaufte ihm dafür ein halbes Pfund Pfefferkuchen. Dann buddelte er einmal einen kleinen, mit grünem Schimmel bedeckten Geldbeutel aus, in dem mehr als ein Rubel Geld enthalten war. Öfter fand er auch Messer, Gabeln, Metallringe, zerbrochene Messingsachen, und in einer Schlucht, in der der Schutt aus der ganzen Stadt abgeladen wurde, grub er einmal einen unversehrten, schweren Messingleuchter aus. Für jeden kostbaren Fund dieser Art erhielt Ilja von dem Alten irgendeine Näscherei zum Lohne.

Hatte Ilja etwas Besonderes gefunden, dann schrie er freudig:

»Großväterchen! Guck' doch mal, guck' – wie hübsch!«

Der Alte aber sah sich unruhig nach allen Seiten um und ermahnte ihn flüsternd:

»So schrei doch nicht so, schrei nicht! ... Ach Gott!«

Er war stets in Angst, wenn sie solch einen seltenen Fund machten, nahm den gefundenen Gegenstand rasch aus Iljas Händen und versteckte ihn in seinem großen Sacke.

Auch für Ilja hatte Großvater Jeremjej einen kleinen Sack genäht, und auch einen Stock mit eiserner Spitze hatte er ihm geschenkt. Der Junge war nicht wenig stolz auf diese Ausrüstung. In seinen Sack sammelte er allerhand Schachteln, zerbrochenes Spielzeug, hübsche Scherben, und es machte ihm Vergnügen, alle diese Sächelchen in dem Sack auf seinem Rücken zu wissen und zu hören, wie sie klapperten und klirrten. Der alte Jeremjej hatte ihn dazu angehalten, all diesen Kleinkram zu sammeln.

»Sammle dir nur diese hübschen Sachen und trag sie mit nach Hause. Wirst sie dort unter die Kinder verteilen, wirst ihnen Freude machen. Gern hat's der Herr, wenn der Mensch seinen Brüdern eine Freude macht ... Alle Menschen sehnen sich nach Freude, und doch ist so wenig davon in der Welt! So wenig, daß mancher Mensch sein Leben lang niemals der Freude begegnet, niemals!«

Das Suchen auf den städtischen Abladestellen gefiel Ilja besser als das Abklappern der Höfe. Dort, auf den öffentlichen Abladestellen, gab es keine Menschen, außer zwei, drei ebensolchen alten Leuten, wie Jeremjej war, da brauchte man nicht immer ängstlich nach allen Seiten Umschau zu halten, ob nicht der Hausreiniger kam, mit dem Besen in der Hand, und sie unter heftigen Scheltworten oder gar mit Schlägen vom Hofe jagte.

Jeden Tag sagte Jeremjej zu dem Knaben, wenn sie so zwei Stunden lang ihre Nachforschungen fortgesetzt hatten:

»Genug für jetzt, Iljuscha! Wollen uns ein Weilchen setzen und ausruhen, wollen 'ne Kleinigkeit essen ...«

Er holte ein Stück Brot aus der Tasche hervor, bekreuzte sich und zerbrach das Brot. Nun aßen sie beide, und als sie gegessen hatten, rasteten sie wohl eine halbe Stunde, am Rande der Schlucht gelagert. Die Schlucht öffnete sich nach dem Flusse hin, und sie konnten diesen ganz deutlich sehen. Als breiter, silberschimmernder Streifen wälzte er langsam seine Fluten an der Schlucht vorüber, und wenn Ilja dem Spiel seiner Wellen folgte, verspürte er in sich den lebhaften Drang, mit ihnen zugleich dahinzugleiten. Jenseits des Ufers dehnten sich die Wiesen, Heuschober ragten dort gleich grauen Türmen empor, und weit am Horizont hob sich die dunkle, zackige Linie des Waldes vom blauen Himmel ab. Eine ruhige, milde Stimmung lag auf der Wiesenlandschaft – man spürte, daß dort drüben eine reine, durchsichtige, lieblich duftende Luft wehte ... Und hier war es so stickig von dem Geruch des gärenden Mülls; dieser Geruch legte sich beklemmend auf die Brust und kitzelte die Nase, und wie dem Alten, so rannen auch Ilja davon die Tränen über die Wangen ...