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Auf dem Rücken liegend, schaute der Knabe zum blauen Himmel empor und konnte seine Grenzen nicht erschauen. Schwermut und Schläfrigkeit befielen ihn, und unbestimmte Bilder traten vor seine Seele. Es war ihm, als ob am Himmel droben ein gewaltiges, durchsichtig klares, mild wärmendes, zugleich gutes und strenges Wesen dahinschwebte, und daß er, der kleine Knabe, samt dem alten Großvater Jeremjej und der ganzen Erde sich in jene endlosen Weiten mit ihrem blauen Lichtmeer und ihrer leuchtenden Reinheit erhöbe ... Und sein Herz ward erfüllt vom Gefühl einer stillen Freude.

Am Abend, wenn sie heimkehrten, betrat Ilja den Hof mit der wichtigen, selbstbewußten Miene eines Menschen, der sein Tagewerk ehrlich vollbracht hat. In dem berechtigten Wunsche nach Ruhe hegte er durchaus keine Lust mehr, sich mit solchen Albernheiten abzugeben, wie sie anderen kleinen Knaben und Mädchen gefallen. Allen Kindern auf dem Hofe flößte er durch seine solide Haltung und den Sack auf seinem Buckel, in dem verschiedene interessante Raritäten steckten, eine entschiedene Hochachtung ein.

Der Großvater lächelte den Kindern freundlich zu und scherzte mit ihnen:

»Seht, Kinder, da sind die Lazarusse heimgekommen! Die ganze Stadt haben sie abgesucht. Überall haben sie die Nase 'reingesteckt! ... Geh, Ilja, wasch dir das Gesicht und komm dann in die Schenke, Tee trinken ...«

Ilja ging mit gewichtigem Schritt nach seinem Winkel im Keller, und der Schwarm der Kinder folgte ihm dahin und befühlte unterwegs vorsichtig den Inhalt seines Sackes. Nur Paschka verstellte ihm den Weg und fragte keck:

»Na, Lumpensammler! Zeig' mal, was du mitgebracht hast ...«

»Wirst doch warten können«, versetzte Ilja streng. »Laß mich erst Tee trinken, dann zeig' ich's euch.«

In der Schenke empfing ihn Onkel Terentij mit freundlichem Lächeln:

»Na, Arbeitsmann, bist du da? Hast dich wohl müde gelaufen, kleiner Brausekopf?«

Ilja hörte es gerne, daß man ihn einen Arbeitsmann nannte, und er erhielt diesen Titel nicht bloß vom Onkel. Eines Tages hatte Paschka irgendeinen dummen Streich gemacht, und Vater Ssawel hatte seinen Kopf zwischen die Knie genommen und ihm eine gehörige Tracht Prügel verabfolgt.

»Dir will ich's besorgen, Schelm du! Du sollst mir noch mal frech werden. Da hast du – da ... und noch eins! Andre Kinder in deinen Jahren verdienen sich selber ihr Brot, und du kannst nichts als fressen und die Kleider zerreißen! ...«

Paschka schrie, daß es im ganzen Hause widerhallte, und zappelte mit den Beinen, während der Strick auf seinen Buckel niedersauste. Ilja hörte nicht ohne Genugtuung die Schmerzensschreie seines Feindes, und zugleich erfüllten ihn die Worte des Schmiedes, die er auf sich bezog, mit dem Bewußtsein seiner Überlegenheit über Paschka. Das weckte andrerseits in ihm das Mitleid mit dem Gezüchtigten.

»Onkel Ssawel, hör' auf!« rief er plötzlich.

Der Schmied versetzte seinem Sohne noch einen Hieb, sah sich dann nach Ilja um und sprach ärgerlich:

»Halt's Maul, du! Wird sich hier als Fürsprecher aufspielen ... Nimm dich in acht! ...«

Dann schleuderte er seinen Sohn zur Seite und ging in die Schmiede. Paschka erhob sich und schwankte mit strauchelnden Schritten, wie ein Blinder, nach einer dunklen Ecke des Hofes. Ilja folgte ihm mitleidig. In dem Winkel kniete Paschka hin, preßte seine Stirn gegen den Zaun und begann, während er mit den Händen seinen Rücken rieb, noch lauter zu schreien. Ilja fühlte das Verlangen, dem gedemütigten Feinde irgend etwas Freundliches zu sagen, doch brachte er nur die Frage heraus:

»Hat's weh getan?«

»Mach', daß du fortkommst!« schrie Paschka.

Der erboste Ton dieser Worte kränkte Ilja, und er sagte schulmeisternd:

»Sonst haust du immer die andern, und diesmal ...«

Er hatte noch nicht geendet, als Paschka sich blitzschnell auf ihn warf und ihn zu Boden riß. Ilja wurde gleichfalls von Wut gepackt, und nun wälzten sich beide in einem Knäuel auf dem Boden. Paschka biß und kratzte, während Ilja den Feind an den Haaren gepackt hatte und so lange mit dem Kopfe gegen die Erde schlug, bis Paschka schrie:

»Laß los!«

»Siehst du!« meinte Ilja, stolz auf seinen Sieg, während er vom Boden aufstand. »Hast du gesehen? Ich bin stärker als du. Fang also nicht wieder mit mir an!«

Er entfernte sich, während er mit dem Ärmel sich das Blut von dem zerkratzten Gesicht wischte. Mitten im Hofe stand mit finster gerunzelten Brauen der Schmied. Als Ilja ihn sah, fuhr er vor Schreck zusammen und blieb stehen, überzeugt, daß der Schmied nur darauf brenne, Paschka an ihm zu rächen. Der Schmied aber zuckte nur mit den Achseln und sagte:

»Na, was guckst du mich so an mit deinen Glotzaugen? Hast mich noch nie gesehen? Geh deiner Wege!«

Am Abend jedoch, als Ilja durch das Tor schritt und Ssawel ihm wieder begegnete, tippte der Schmied ihm leicht mit dem Finger auf den Scheitel und fragte lächelnd:

»Na, kleiner Müllgräber, wie geht's Geschäft? He?«

Ilja kicherte freudig – er war glücklich. Der finstre Schmied, der stärkste Mann im Hofe, vor dem alle Furcht und Respekt hegten, hatte mit ihm gescherzt. Der Schmied faßte mit seinen ehernen Armen nach der Schulter des Knaben und erhöhte seine Freude noch, indem er sagte:

»Oho, du bist ja ein recht kräftiges Kerlchen! ... Bist nicht so leicht unterzukriegen, Junge! ... Wenn du erst größer geworden bist, nehm' ich dich zu mir in die Schmiede!«

Ilja umfaßte das kräftige Bein des Schmiedes und schmiegte sich fest mit seiner Brust daran. Der Riese Ssawel mußte wohl das Schlagen des kleinen Herzens spüren, das seine Liebkosung in Wallung gebracht hatte: er legte seine schwere Hand auf Iljas Kopf, schwieg eine Weile und sprach dann mit seiner tiefen Stimme:

»Ach, du arme Waise! ... Na, laß schon gut sein! ...« Strahlend vor Vergnügen, machte sich Ilja an diesem Abend an sein gewohntes Werk – die Verteilung der von ihm im Laufe des Tages gesammelten Raritäten. Die Kinder setzten sich rings um Ilja auf die Erde und schauten mit begehrlichen Augen nach seinem schmutzigen Sacke. Ilja holte aus dem Sacke ein paar Fetzen Kattun, einen von Wind und Wetter ausgebleichten Holzsoldaten, eine Wichsschachtel, eine Pomadebüchse und eine Teetasse ohne Henkel, mit zerbrochenem Rande, hervor.

»Das ist für mich, für mich, für mich!« hörte man die begehrlichen Rufe der Kinder, und die kleinen, schmutzigen Händchen griffen von allen Seiten nach den seltenen Dingen.

»Wartet! Nicht anfassen!« kommandierte Ilja. »Heißt denn das spielen, wenn ihr alles auf einmal wegschleppt? Na – ich mache also einen Laden auf! Ich verkaufe zuerst hier des Stück Kattun ... ganz wunderschöner Kattun! Kostet einen halben Rubel! ... Maschka, kauf doch!«

»Sie hat's gekauft!« rief Jakow statt der Schusterstochter, holte aus seiner Tasche eine bereit gehaltene Scherbe hervor und drückte sie dem Verkäufer in die Hand. Doch Ilja wollte sie nicht nehmen.

»Was ist denn das für'n Spiel! So handle doch was ab, zum Donnerwetter! Niemals handelst du! ... Auf dem Markte wird doch auch gehandelt!«

»Ich hab's vergessen«, suchte Jakow sich zu rechtfertigen. Ein leidenschaftliches Feilschen begann. Verkäufer und Käufer gerieten förmlich in Hitze, und während sie miteinander schacherten, wußte Paschka geschickt aus dem Haufen der Waren das, was ihm gefiel, herauszugreifen, lief damit weg und schrie höhnisch, während er lustig umherhüpfte: