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»Ieba-od!«, fast ununterbrochen, von zwei bis fünf Uhr -Biber ist tot! Duddits war untröstlich gewesen und hatte schließlich Nasenbluten bekommen. Das hatte sie befürchtet. Wenn Duddits erst einmal blutete, ließ sich die Blutung manchmal erst im Krankenhaus stillen. Diesmal war es ihr jedoch gelungen, die Blutung zu stillen, indem sie ihm Wattebäusche in die Nasenlöcher gestopft und seine Nase dann oben, zwischen den Augen, zugedrückt hatte. Sie hatte Dr. Briscoe angerufen und ihn fragen wollen, ob sie Duddits eine dieser gelben Valium-Tabletten geben dürfe, aber Dr. Briscoe war nach Nassau verreist, soso. Irgendein anderer Arzt hatte Notdienst, irgendso ein Weißkittel-Johnny, der Duddits nie im Leben gesehen hatte, und Roberta rief ihn gar nicht erst an. Sie gab Duddits einfach das Valium und be-strich dann seine armen trockenen Lippen und seine Mundhöhle mit den Glyzerin-Tupfern mit Zitronengeschmack, die er so mochte -er bekam immer Geschwüre im Mund. Das blieb auch so, nachdem die Chemotherapie abgeschlossen war. Und sie war abgeschlossen. Keiner der Ärzte — weder Briscoe noch ein anderer - gab das zu, und deshalb blieb der Katheter drin, aber die Chemotherapie war vorbei. Roberta würde nicht zulassen, dass sie ihren Sohn noch mal durch diese Hölle schleiften.

Nachdem er seine Tablette genommen hatte, legte sie sich zu ihm ins Bett, hielt ihn im Arm (achtete dabei darauf, seine linke Seite nicht zu berühren, wo der Katheter unter einem Verband verborgen war) und sang ihm etwas vor. Aber nicht Bibers Wiegenlied, nein, heute nicht.

Irgendwann beruhigte er sich dann allmählich, und als sie dachte, er wäre eingeschlafen, zog sie ihm vorsichtig die Wattebäusche aus der Nase. Der zweite hing etwas fest, und Duddits schlug die Augen auf - diese schönen, strahlenden, grünen Augen. Seine Augen waren eine wahre Gottesgabe, dachte sie manchmal, und nicht das andere da ... dass er die Linie sah, und alles, was damit zusammenhing.

»Amma?«

»Ja, Duddie?«

»leba in Himmn?«

Große Trauer überkam sie, auch beim Gedanken an Bibers lächerliche Lederjacke, die er so geliebt und getragen hatte, bis sie in Fetzen gehangen hatte. Wäre es um jemand anderes gegangen, um irgendjemanden, und nicht um seine vier Kindheitsfreunde, dann hätte sie an Duddits' böser Vorahnung gezweifelt. Aber wenn Duddits sagte, Biber sei tot, dann stimmte das höchstwahrscheinlich.

»Ja, Schatz, er ist ganz bestimmt im Himmel. Schlaf jetzt.«

Für eine ganze Weile schauten diese grünen Augen sie noch an, und sie dachte schon, er würde wieder anfangen zu weinen. Und tatsächlich kullerte auch eine Träne, eine große runde Träne seine stoppelige Wange hinab. Das Rasieren fiel ihm jetzt so schwer, manchmal hinterließ auch der Elektrorasierer kleine Schnitte, die dann stundenlang bluteten. Doch schließlich machte er die Augen zu, und sie schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer.

Nach Sonnenuntergang, als sie ihm eben Haferbrei machte (nur die fadesten Speisen erbrach er jetzt nicht gleich wieder, auch ein Anzeichen, dass es zu Ende ging), ging der ganze Albtraum von vorne los. Ohnehin durch die immer seltsameren Nachrichten aus Jefferson Tract verängstigt, eilte sie mit pochendem Herzen in sein Zimmer. Duddits saß wieder aufrecht im Bett und schüttelte verzweifelt wie ein Kind den Kopf hin und her. Das Nasenbluten hatte wieder angefangen, und bei jeder Kopfbewegung spritzten scharlachrote Tropfen umher. Sie sprenkelten seinen Kissenbezug, seine Autogrammkarte von Austin Powers (»Groovy, Baby!«, stand unter dem Bild) und die Flaschen auf dem Nachttisch: Mundwasser,

Compazine, Percocet, die Multivitamin-Präparate, die keinerlei Wirkung zeigten, die große Schale mit Zitronen-Tupfern.

Jetzt war es Pete, der angeblich tot war, der süße (und nicht sehr helle) Peter Moore. Lieber Gott, konnte das wahr sein? Irgendwas davon? Alles?

Der zweite hysterische Traueranfall dauerte nicht so lange an wie der erste, wahrscheinlich weil Duddits vom ersten noch erschöpft war. Sie konnte das Nasenbluten wieder stillen, die Glückliche, und wechselte seine Bettwäsche, nachdem sie ihm auf den Stuhl am Fenster geholfen hatte. Dort saß er dann, schaute mit tränenden Augen hinaus in den wieder auffrischenden Sturm, schluchzte hin und wieder und gab ab und zu laute Seufzer von sich, die ihr im Herz wehtaten. Es tat ihr schon weh, wenn sie ihn nur ansah: wie dünn er war, wie blass er war, wie kahl er war. Sie gab ihm seine Red-Sox-Kappe - auf dem Schirm vom großen Pedro Marti-nez signiert (man bekommt so viele hübsche Dinge geschenkt, wenn man stirbt, dachte sie manchmal) -, falls es ihm, so nah an der Fensterscheibe, am Kopf fror, aber ausnahmsweise wollte Duddits sie nicht aufsetzen. Er hielt sie nur im Schoß und schaute mit großen, traurigen Augen hinaus in die Dunkelheit.

Schließlich brachte sie ihn wieder ins Bett, und wieder leuchteten die grünen Augen ihres Sohns in ihrem ersterbenden Glanz zu ihr hoch.

»let auch in Himmn?«

»Ganz bestimmt ist er das.« Sie wollte auf keinen Fall weinen - dann wäre bei ihm vielleicht alles von vorne losgegangen —, aber ihre Augen schwammen in Tränen. Ihr ganzer Kopf war tränenschwanger, und wenn sie einatmete, roch es in ihrer Nase nach Seeluft.

»Im Himmn bei leba?«

»Ja, Schatz.«

»Eff ich leba un let im Himmn?«

»Ja, das wirst du. Natürlich wirst du das. Aber das ist noch lange hin.«

Er schloss die Augen. Roberta saß neben ihm auf dem Bett, betrachtete ihre Hände und war trauriger als traurig, fühlte sich einsamer als einsam.

Jetzt eilte sie nach unten, und tatsächlich: Er sang. Da sie die Duddits-Sprache fließend beherrschte (wieso auch nicht? Es war seit über dreißig Jahren ihre zweite Mutter-Sprache), dolmetschte sie sich die gelallten Silben, ohne sich groß etwas dabei zu denken: Scooby-Dooby-Doo, wo bist du? Wir haben jetzt was zu tun. Ich hab's dir doch gesagt, Scooby-Doo, wir brauchen deine Hilfe.

Als sie sein Zimmer betrat, wusste sie nicht, was sie dort zu erwarten hatte. Ganz bestimmt nicht, was sie dann vorfand: Alle Lichter brannten, und Duddits war zum ersten Mal wieder komplett bekleidet, seit es ihm das letzte Mal (und laut Dr. Briscoe war es wahrscheinlich wirklich das letzte Mal gewesen) etwas besser gegangen war. Er hatte sich seine Lieblings-Kordhose angezogen, sein Grinch-T-Shirt und seine Daunenweste und dazu seine Red-Sox-Kappe aufgesetzt. Er saß auf dem Stuhl am Fenster und schaute hinaus in die Nacht. Ohne eine Miene zu verziehen und ohne zu weinen. Er schaute mit strahlenden Augen und einer Beflissenheit hinaus in den Sturm, die Roberta an die Zeit lange vor seiner Erkrankung erinnerte, als sich die Krankheit erst mit unterschwelligen und leicht zu übersehenden Symptomen angedeutet hatte: wie kaputt und außer Atem er nach ein wenig Frisbee-Spielen im Garten war, was für große Schrammen selbst die leichtesten Rempler und Stürze hinterließen und wie langsam sie verheilten. So hatte er immer geguckt, wenn ...

Aber sie konnte nicht weiterdenken. Sie war zu durcheinander, um klar denken zu können.

»Duddits! Duddie, was —«

»Amma! O-s eine Anschocks?«

Mama! Wo ist meine Lunchbox?

»In der Küche, aber Duddie, es ist mitten in der Nacht. Es schneit draußen! Du gehst nicht...«

Raus, endete dieser Satz natürlich sonst immer, aber dieses Wort kam ihr nicht über die Lippen. Seine Augen leuchteten so, sein Blick war so lebendig. Vielleicht hätte sie sich darüber freuen sollen, dieses Strahlen, diese Kraft so deutlich in seinen Augen zu sehen, aber stattdessen war sie entsetzt.

»I muss mein Anschocks harn! Ich muss mein Ansch harn!«

Ich muss meine Lunchbox haben! Ich muss mein Lunch haben!

»Nein, Duddits.« Sie gab sich Mühe, streng zu sein. »Du musst dich ausziehen und wieder ins Bett gehen. Das musst du, und sonst musst du gar nichts. Komm, ich helfe dir.«

Aber als sie näher kam, hob er die Arme und verschränkte sie vor seiner schmalen Brust, drückte seine rechte Handfläche an seine linke Wange und die linke Handfläche an die rechte Wange. Von frühester Kindheit an war diese Pose das Äußerste, was er an Trotz aufbringen konnte. Es reichte normalerweise, und so auch jetzt. Sie wollte nicht, dass er sich schon wieder aufregte und vielleicht wieder Nasenbluten bekam. Aber sie würde ihm um Viertel nach eins nicht seine Scooby-Doo-Lunchbox packen. Das kam nicht in Frage.