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»Stehen Sie auf! Auf die Beine! Mit mir! Bei drei! Eins, zwei, drei!«

Er stand auf und hielt ihre Hände. Sie erhob sich, ihre Knie knackten, und sie rülpste wieder. Dann furzte sie auch noch. Die Mütze rutschte ihr über ein Auge. Als sie keine Anstalten machte, sie zu richten, sagte Henry: »Setz ihr die Mütze richtig auf.«

»Ha?« Pete war ebenfalls aufgestanden, sah aber nicht sonderlich sicher auf den Beinen aus.

»Ich will sie nicht loslassen. Rück ihr die Mütze zurecht, dass sie ihr nicht übers Auge hängt.«

Mit spitzen Fingern richtete Pete ihr die Mütze. Die Frau neigte leicht den Kopf, verzog das Gesicht und furzte wieder.

»Herzlichen Dank«, sagte Pete säuerlich. »Ihr wart ein wunderbares Publikum. Gute Nacht.«

Henry spürte, wie sie weiche Knie bekam, und packte fester

zu.

»Gehen Sie!«, schrie er und kam nun wieder ihrem Gesicht nahe. »Gehen Sie mit mir! Bei drei! Eins, zwei, drei!«

Er ging nun rückwärts auf den Scout zu. Sie sah ihn an, und er hielt Blickkontakt zu ihr. Ohne Pete anzusehen - er wollte nicht riskieren, ihre Aufmerksamkeit zu verlieren -sagte er: »Pack mich beim Gürtel. Führ mich.«

»Wohin?«

»Um den Scout herum.«

»Ich weiß nicht, ob ich das -«

»Du musst, Pete. Mach schon.«

Für einen Moment tat sich nichts, und dann spürte er, wie Petes Hand unter seinen Mantel glitt, dort nestelte und seinen Gürtel packte. Wie bei einer Polonäse schlurften sie unbeholfen über die schmale Straße, durch den glotzenden, gelben Scheinwerferstrahl des Scout. Hinter dem umgestürzten Fahrzeug waren sie zumindest teilweise vor dem Wind geschützt, und das war gut so.

Die Frau zog abrupt ihre Hände aus Henrys Griff und beugte sich mit offenem Mund vor. Henry trat einen Schritt zurück, wollte nicht davon getroffen werden, was sie von sich geben würde ... doch statt zu kotzen, rülpste sie, noch lauter als zuvor. Dann ließ sie, immer noch vorgebeugt, einen weiteren Furz. Das Geräusch dabei ähnelte nichts, was Henry je gehört hatte, und dabei hätte er geschworen, in den Krankenhäusern des westlichen Massachusetts schon alles gehört zu haben. Immerhin blieb sie auf den Beinen und schnaufte laut durch die Nase wie ein Pferd.

»Henry«, sagte Pete. Seine Stimme klang heiser vor Entsetzen, Ehrfurcht oder beidem. »Mein Gott, schau dir das an.«

Er starrte mit offenem Mund zum Himmel. Henry folgte seinem Blick und konnte kaum glauben, was er da sah. Strahlend helle Lichtkreise, neun oder zehn, zogen langsam über die niedrig hängenden Wolken. Sie waren so hell, dass Henry blinzeln musste. Er dachte kurz an die Strahler, die in Hollywood bei Filmpremieren den Nachthimmel furchten, aber natürlich gab es hier draußen im Wald keine solchen Scheinwerfer, und hätte es welche gegeben, dann hätte er auch die Lichtstrahlen in der Schneeluft gesehen. Was auch lrnmer diese Lichter aussandte - es befand sich über oder in en Wolken, nicht darunter. Sie bewegten sich hin und her, anscheinend ziellos, und Henry spürte, wie sich plötzlich eine Urangst in ihm breit machte, sich aus seinem tiefsten Innern zu erheben schien. Mit einem Mal fühlte sich sein Rückenmark wie eine Eissäule an.

»Was ist das?«, fragte Pete, den Tränen nah. »Herrgott, Henry, was ist das?«

»Ich habe keine -«

Die Frau sah hoch, sah die tanzenden Lichter und fing an zu kreischen. Sie kreischte erstaunlich laut, und es klang so entsetzt, dass Henry fast mitgekreischt hätte.

»Sie sind wieder da!«, schrie sie. »Sie sind wieder da! Sie sind wieder da!«

Dann hielt sie sich die Augen zu und lehnte den Kopf an den Vorderreifen des umgestürzten Scout. Sie hörte auf zu schreien und stöhnte nur noch, wie ein Tier in einer Falle, das nicht mehr hoffte, sich befreien zu können.

Für eine Ungewisse Zeitspanne (wahrscheinlich aber höchstens fünf Minuten lang, wenn es ihnen auch länger vorkam) sahen sie den strahlend hellen Lichtern am Himmel zu - wie sie kreisten, dahinglitten, nach links und rechts auswichen und Bocksprünge miteinander zu vollführen schienen. Irgendwann fiel Henry auf, dass es nur noch fünf waren und kein knappes Dutzend mehr, und dann waren es nur noch drei. Die Frau, die neben ihm das Gesicht an den Reifen lehnte, furzte wieder, und da wurde Henry klar, dass sie hier mitten in der Wildnis standen und ein irgendwie durch den Sturm ausgelöstes Himmelsphänomen begafften, das zwar ganz interessant war, ihnen aber auch nicht dabei half, an einen warmen und trockenen Ort zu gelangen. Er konnte sich an den letzten Blick auf den Tageskilometerzähler ganz genau erinnern: 12,7. Sie waren noch fast zehn Meilen von

ihrer Hütte entfernt, unter idealen Wetterbedingungen auch schon ein anständiger Fußmarsch, und um sie her brauste ein Sturm, dem nicht mehr viel zum Blizzard fehlte. Noch dazu, dachte er, bin ich hier der Einzige, der gehen kann. »Pete.«

»Das ist was, hm?«, hauchte Pete. »Das sind echte UFOs, genau wie in Akte X. Was soll man -«

»Pete.« Er fasste Pete am Kinn und drehte sein Gesicht vom Himmel weg zu sich her. Dort oben verblassten die letzten beiden Lichter. »Das ist irgendein elektrisches Phänomen, weiter nichts.«

»Meinst du?« Pete wirkte absurderweise enttäuscht.

»Ja - das hat irgendwas mit dem Sturm zu tun. Aber auch wenn das die erste Angriffswelle der Schmetterlings-Aliens vom Planeten Alnitak sein sollte, kann uns das egal sein, wenn wir uns hier draußen in Eis am Stil verwandeln. Du musst mir jetzt helfen. Du musst deinen kleinen Trick anwenden. Kannst du das?«

»Ich weiß nicht«, sagte Pete und warf noch einen letzten Blick gen Himmel. Es war jetzt nur noch ein Licht zu sehen, und das war so blass, dass man es nicht erkannt hätte, hätte man nicht danach gesucht. »Ma'am? Ma'am, sie sind gleich weg. Beruhigen Sie sich, ja?«

Sie erwiderte nichts, stand einfach nur mit dem Gesicht an den Reifen gelehnt da. Die Bänder an ihrer Mütze flatterten im Wind. Pete seufzte und drehte sich wieder zu Henry um. »Was willst du?«

»Du kennst doch die Holzfällerschuppen an dieser Straße?« Es gab acht oder neun davon, und sie bestanden lediglich aus vier Pfosten und einem rostigen Wellblechdach. Die Holzfäller bewahrten darin über den Winter Holzklötze und Ausrüstungsgegenstände auf.

»Klar«, sagte Pete.

»Wo ist der nächste? Kannst du mir das sagen?« 61:6 schloss die Augen, hob einen Finger und bewegte ihn

vor und zurück. Dazu machte er mit der Zungenspitze am Gaumen ein leises tickendes Geräusch. Das machte Pete schon seit der High School so. Er machte es noch nicht so lange, wie Biber Bleistifte annagte und Zahnstocher kaute oder wie Jonesy für Horrorfilme und Mordgeschichten schwärmte, aber doch schon ziemlich lange. Und normalerweise klappte es. Henry wartete ab und hoffte, es würde auch diesmal klappen.

Die Frau, die anscheinend trotz des brausenden Winds das leise, rhythmische Ticken aufgeschnappt hatte, hob den Kopf und sah sich um. Von dem Reifen hatte sie eine große dunkle Schmierspur auf der Stirn.

Schließlich schlug Pete wieder die Augen auf. »Gleich da vorne«, sagte er und wies in Richtung ihrer Hütte. »Geh um die Kurve, dann kommt ein Hügel. Auf der anderen Seite des Hügels kommt ein gerades Stück. Und am Ende dieses geraden Stücks steht einer dieser Schuppen. Er steht links neben der Straße. Das Dach ist zum Teil eingestürzt. Ein Mann namens Stevenson hatte da mal Nasenbluten.«

»Tatsächlich?«

»Ach, Mann, was weiß denn ich ...« Pete schaute weg, als genierte er sich.

Henry erinnerte sich vage an diesen Schuppen ... und vielleicht war es gut, dass das Dach teilweise eingestürzt war. Wenn es in die richtige Richtung gefallen war, hatte es den wandlosen Unterstand vielleicht in einen Wetterschutz verwandelt.

»Wie weit?«