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Hilfe vom Himmel brauchte, dann doch wohl er -, doch der Helikopter sank nicht durch die niedrig hängende Wolkendecke. Für einen Moment sah er fast direkt über sich einen dunklen Umriss durch den trüben Wolkenbrei gleiten und auch verschwommene Lichter -, und dann entfernte sich das Hubschraubergeräusch in Richtung Osten, in die Richtung, in die auch die Tiere liefen. Zu seiner Bestürzung stellte er fest, dass unter seiner Enttäuschung eine abscheuliche Erleichterung hervorlugte: Wäre der Helikopter gelandet, dann wäre er nie zu seinem Bier gekommen, und dabei hatte er dafür doch schon so viel auf sich genommen.

Fünf Minuten später hockte er auf den Knien und kletterte vorsichtig in den umgestürzten Scout. Er bekam schnell mit, dass ihn sein verwundetes Knie nicht lange tragen würde (es war nun unter seiner Jeans angeschwollen wie ein dicker, schmerzgefüllter Brotlaib), und deshalb schwamm er förmlich in das eingeschneite Wageninnere hinein. Es gefiel ihm dort nicht; alle Gerüche waren zu intensiv, und es war viel zu eng. Es war fast, als würde man in ein Grab kriechen, und zwar in eines, das nach Henrys Parfüm roch.

Die Lebensmittel waren über den ganzen hinteren Teil des Wagens verstreut, aber Pete würdigte das Brot, die Dosen, den Senf und die Hotdog-Würstchen (rote Hotdog-Würstchen waren das einzige Fleisch, das es beim alten Gosselin gab) kaum eines Blickes. Einzig das Bier interessierte ihn, und offenbar war nur eine Flasche zu Bruch gegangen, als der Scout gekentert war. Säuferglück. Das ganze Wageninnere roch nach Bier - die Flasche, aus der er getrunken hatte, war natürlich auch ausgelaufen -, aber er mochte diesen Geruch. Henrys Parfüm hingegen ... puuh, lieber Gott. Das stank gewissermaßen genauso wie die Fürze der durchgeknallten Schreckschraube. Er wusste nicht, warum er beim Geruch dieses Parfüms an Särge und Gräber und Trauerkränze denken musste, aber so war es nun mal.

»Wieso legst du im Wald denn überhaupt Parfüm auf, alter Sportsfreund?«, fragte er, und die Worte kamen aus weißen Atemwölkchen hervor. Die Antwort war natürlich, dass Henry gar kein Parfüm getragen hatte - der Geruch war in Wirklichkeit gar nicht da, nur der Biergeruch. Zum ersten Mal seit langer Zeit dachte Pete wieder an die hübsche Immobilienmaklerin, die vor der Apotheke in Bridgton ihre Autoschlüssel verloren hatte, und daran, wie er gemerkt hatte, dass sie nicht zum Abendessen kommen würde und am liebsten meilenweit von ihm entfernt gewesen wäre. War es nicht so ähnlich, wenn man Parfüm roch, das gar nicht da war? Er wusste es nicht, nur dass es ihm gar nicht gefiel, dass dieser Geruch für ihn unauflöslich mit dem Gedanken an den Tod verbunden war.

Vergiss es, du Knallkopf. Du siehst Gespenster. Es ist ein großer Unterschied, ob man wirklich die Linie sieht oder nur Gespenster. Vergiss es, und hol dir, weshalb du hier bist.

»Tolle Idee«, sagte Pete.

Die Tragetüten waren aus Plastik, nicht aus Papier, und hatten Griffe; so weit hatte der alte Gosselin den Fortschritt durchaus mitgemacht. Pete langte nach einer und spürte sofort ein schmerzhaftes Reißen im linken Zeigefinger. Es war nur eine Flasche zerbrochen, und an der musste er sich natürlich schneiden, und dann auch noch ziemlich tief, so wie es sich anfühlte. Das war vielleicht die Strafe dafür, dass er die Frau allein zurückgelassen hatte. Wenn dem so war, dann würde er es tapfer wie ein Mann ertragen und sich sagen, dass er noch glimpflich davongekommen sei.

Er sammelte acht Flaschen ein und wollte eben wieder aus dem Scout kriechen, überlegte es sich aber noch einmal anders. Für lumpige acht Bier war er den weiten Weg hierher gehumpelt? »Wohl kaum«, murmelte er und holte dann auch noch die übrigen sieben, nahm sich die Zeit, sie alle einzusammeln, obwohl ihm im Scout so unheimlich zu Mute war. Dann kroch er rückwärts und sträubte sich gegen die plötzliche Idee, eines der fliehenden Tiere - ein kleines, aber mit großen Zähnen -, hätte hier Zuflucht gesucht und würde ihn gleich anfallen und ein schönes Stück aus seinen Eiern herausbeißen. Petes Strafe, Teil zwei.

Er brach nicht direkt in Panik aus, kroch aber schneller hinaus, als er hineingekrochen war, und sein Knie blockierte wieder, als er gerade das Auto verließ. Er drehte sich wimmernd auf den Rücken, schaute hinauf in den Schnee - nun fielen die letzten, großen Flocken, wie die Spitze feinster Damenunterwäsche -, massierte sich das Knie und redete ihm gut zu: Komm Baby, mach Schatzi, entspann dich, du verdammtes Scheißteil. Und als er schon dachte, diesmal würde es nicht mehr gehen, ging es doch. Er sog zischend durch zusammengebissene Zähne Luft ein, setzte sich auf und betrachtete die Tüte, auf der in Rot stand: vielen dank, dass

SIE BEI UNS EINGEKAUFT HABEN!

»Wo hätte ich denn sonst hinfahren sollen, du alter Sack?«, fragte er. Er beschloss, sich ein Bier zu gönnen, ehe er zurück zu der Frau aufbrach. Dann hatte er auch nicht mehr so viel zu tragen.

Pete angelte sich eins aus der Tüte, machte es auf und goss sich die halbe Flasche mit vier Schluck in den Hals. Es war kalt, und der Schnee, auf dem er saß, war noch kälter, aber trotzdem tat es ihm gut. Das war die Magie des Bieres. Es war auch die Magie von Scotch, Wodka und Gin, aber wenn es um Alkohol ging, war er wie Tom T. Halclass="underline" Er trank gern Bier.

Als er so die Tüte betrachtete, fiel ihm wieder der Junge mit den karottenfarbenen Haaren im Laden ein - das verwunderte Lächeln, die Schlitzaugen, die solchen Menschen ursprünglich die Bezeichnung Mongoloide eingetragen hatten. Das brachte ihn wieder auf Duddits, auf Douglas Ca-veil, wenn's denn formell sein sollte. Warum er in letzter Zeit so oft an Duds hatte denken müssen, wusste Pete nicht zu sagen, aber er hatte oft an ihn gedacht und nahm sich nun selbst ein Versprechen ab: Wenn das hier alles vorüber war, würde er in Derry vorbeifahren und den alten Duddits besuchen. Er würde die anderen bitten mitzukommen, und irgendwie hatte er so das Gefühl, dass er sie nicht groß würde überreden müssen. Duddits war wahrscheinlich der Grund dafür, dass sie nach so vielen Jahren immer noch befreundet waren. Mann, die meisten Leute dachten nicht mal mehr an ihre Freunde aus der College- oder High-School-Zeit, von ihren Kumpeln von der Junior High School mal ganz zu schweigen. Middle School nannte man sie heute, was aber, da hatte Pete nicht den mindesten Zweifel, genauso ein düsterer Dschungel aus Schüchternheit, Verwirrung, muffelnden Achselhöhlen, blödsinnigen Ticks und halbgaren Ideen war. Sie kannten Duddits natürlich nicht aus der Schule, denn Duddits ging nicht auf die Derry Junior High. Duds ging auf die Mary-M.-Snowe-Sonderschule, die bei den Kindern in der Nachbarschaft auch Behindi-Akademie genannt wurde oder schlicht und einfach Dummschule. Unter normalen Umständen hätten sich ihre Wege nie gekreuzt, aber es gab da diese Brache an der Kansas Street und das leer stehende Ziegelsteingebäude davor. Von der Straße aus konnte man immer noch in verblichener weißer Farbe Spedition & Lagerhaus gebr. TRACKER auf den alten roten Ziegeln lesen. Und auf der anderen Seite, an der großen Rampe, wo früher die Laster entladen wurden ... da stand etwas anderes geschrieben.

Jetzt, da er im Schnee hockte und nicht mehr spürte, wie er unter seinem Hintern zu kaltem Schneematsch schmolz, und er sein zweites Bier trank, ohne sich überhaupt daran erinnern zu können, es aufgemacht zu haben (das erste leere atte er in den Wald geworfen, wo er immer noch Tiere nach Osten wandern sah), erinnerte sich Pete an den Tag, an dem sie Duds kennen gelernt hatten. Er erinnerte sich an Bibers blöde Jacke, die der Biber damals so geliebt hatte, und an Bibers Stimme, so dünn, aber doch auch so kräftig, wie sie das Ende von etwas und den Anfang von etwas anderem verkündet hatte, wie sie auf eine unfassbare, dennoch aber ganz reale und wahrnehmbare Weise verkündet hatte, dass sich der Lauf ihres ganzen Lebens an einem Dienstagnachmittag änderte, als sie lediglich vorhatten, bei Jonesy in der Auffahrt ein wenig Zwei-gegen-zwei und anschließend vor dem Fernseher dann vielleicht etwas Parcheesi zu spielen; jetzt, da er hier im Wald neben dem umgestürzten Scout saß und immer noch das Parfüm roch, das Henry gar nicht getragen hatte, und das beglückende Gift seines Lebens trank, erinnerte sich der Autoverkäufer an den Jungen, der seinen Traum, Astronaut zu werden, noch nicht aufgegeben hatte, obwohl ihm Mathe zusehends schwer fiel (Jonesy hatte ihm geholfen, und dann hatte Henry ihm geholfen, und dann, in der zehnten Klasse, war ihm nicht mehr zu helfen gewesen), und er erinnerte sich auch an die anderen Jungen und vor allem an den Biber, der mit einem kieksigen Schrei seiner Stimmbruchstimme die ganze Welt auf den Kopf gestellt hatte: He, ihr da! Lasst das! Hört sofort auf damit!