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»Jonesy«, sagte Biber mit trockener, fast flüsternder Stimme. »Siehst du das Zeug da am Duschvorhang?«

»Ja.« Auf den verschmierten Fingerabdrücken wuchsen Klümpchen rötlich goldenen Schimmels wie Mehltau. Auf dem Boden, nicht in dem breiten Blutrinnsal, sondern auf den schmalen Fugenstreifen, war noch mehr davon zu sehen. »Was ist das?«

»Keine Ahnung«, sagte Jonesy. »Das gleiche Zeug, das er auch im Gesicht hat, schätze ich mal. Sei jetzt mal still.« Dann: »Mr. McCarthy? ... Rick?«

McCarthy, der dort auf der Toilette saß, reagierte nicht. Aus irgendeinem Grund hatte er sich seine orangefarbene Mütze wieder aufgesetzt, deren Schirm nun etwas schräg vorragte. Davon abgesehen war er nackt. Sein Kinn lag, wie um eine Denkerpose zu parodieren, auf seinem Brustbein (aber vielleicht war es ja auch keine Parodie, wer wusste das schon?). Seine Augen waren fast geschlossen. Die Hände le 1 er uber seinem Unterleib zusammengepresst. Blut lief in stetem Strom am Toilettenbecken hinab, aber an McCarthy selbst konnte Jonesy kein Blut entdecken.

Dafür sah er etwas anderes: Die Haut über McCarthys Bauch hing in zwei schlaffen Lappen herab. Dieser Anblick erinnerte Jonesy an etwas, und einen Moment später fiel es ihm ein: So hatte Carlas Bauch immer ausgesehen, wenn sie gerade eines ihrer vier Kinder zur Welt gebracht hatte. Über McCarthys Hüfte, wo ein schmaler Rettungsring zu sehen war (und das Fleisch etwas ausgeleiert wirkte), war die Haut nur gerötet. Quer über den Bauch aber war sie in schmalen Striemen aufgeplatzt. Wenn McCarthy mit irgendwas schwanger gegangen war, dann musste es irgendeine Art von Parasit gewesen sein, ein Bandwurm oder Hakenwurm oder so etwas Ähnliches. Nur dass dort etwas aus seinem vergossenen Blut wuchs, und was hatte er noch gesagt, als er in Jonesys Bett gelegen und sich die Decke unters Kinn gezogen hatte? Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Und Jonesy wünschte, er hätte nie auf dieses Anklopfen reagiert. Ja, er wünschte, er hätte McCarthy erschossen. Ja. Jetzt sah er da klarer. Er verfügte jetzt über die Hellsichtigkeit, die einen bei abgrundtiefem Entsetzen manchmal befällt, und in diesem Zustand wünschte er, er hätte McCarthy eine Kugel ver-passt, bevor er die orangefarbene Mütze und die Warnweste gesehen hatte. Es hätte nicht schaden können und wäre vielleicht sogar gut gewesen.

»Von wegen - ich stehe an der Tür und klopfe an«, murmelte Jonesy.

»Jonesy? Lebt er noch?«

»Ich weiß nicht.«

Jonesy ging noch einen Schritt vor und spürte, wie Biber seine Hand losließ; der Biber war McCarthy offenbar so nah gekommen, wie er nur konnte.

»Rick?«, fragte Jonesy mit gedämpfter Stimme. Es war ein Weck-das-Baby-nicht-auf-Ton. Ein Ton wie bei einer Totenwache. »Rick, sind Sie -«

Unter dem Mann dort auf der Toilette erscholl ein lauter, widerlich feucht klingender Furz, und augenblicklich war das Zimmer erfüllt vom Gestank von Exkrementen und Modellbaukleber, der einem Tränen in die Augen trieb. Jonesy wunderte sich, dass sich der Duschvorhang dabei nicht auflöste.

Aus der Toilettenschüssel erklang ein Platschen. Nicht das Aufplatschen von Scheiße - glaubte zumindest Jonesy. Es klang eher nach einem umherspringenden Fisch.

»Allmächtiger! Stinkt das!«, rief Biber. Er hielt sich die Fland vor Mund und Nase, und seine Worte waren gedämpft. »Aber wenn er furzen kann, muss er doch noch am Leben sein. Oder, Jonesy? Dann muss er doch noch -«

»Still«, sagte Jonesy ganz ruhig. Er staunte selbst, wie ruhig er war. »Sei still, ja?« Und der Biber schwieg.

Jonesy beugte sich vor. Jetzt konnte er alles sehen: den kleinen Blutfleck auf McCarthys rechter Augenbraue, die rote Wucherung auf seiner Wange, das Blut auf dem blauen Kunststoffvorhang, das Witzschild - lamars denkstätte -, das dort schon gehangen hatte, als hier lediglich ein Chemieklo stand und man die Dusche vollpumpen musste, ehe man sie benutzen konnte. Er sah das matte, eisige Schimmern zwischen McCarthys Augenlidern und die Risse in seinen Lippen, die bei diesem Licht lila und leberkrank wirkten. Er roch den widerlichen Gestank des Gases, das McCar-thy von sich gegeben hatte, und konnte es förmlich sehen, wie es in schmutzig dunkelgelben Schwaden aufstieg wie Senfgas. »McCarthy? Rick? Hören Sie mich?«

Lr schnipste vor den fast geschlossenen Augen mit den Fingern. Nichts. Er leckte sich den Handrücken an und hielt ihn McCarthy erst unter die Nase, dann vor den Mund. Nichts.

"Er ist tot, Biber«, sagte er und wich zurück.

»Red keinen Stuss«, entgegnete Biber. Er klang schroff,

absurderweise beleidigt, als hätte McCarthy damit sämtliche Regeln der Gastfreundschaft missachtet. »Er hat doch gerade noch ’ne Wurst gelegt, das hab ich doch gehört.«

»Ich glaube nicht, dass das eine -«

Biber ging an ihm vorbei und stieß dabei Jonesys schlimme Hüfte so an das Waschbecken, dass es wehtat. »Jetzt reicht's, Mann!«, brüllte Biber. Er packte McCarthys runde, sommersprossige Schulter und rüttelte daran. »Reiß dich mal zusammen! Hey!«

McCarthy kippte langsam Richtung Badewanne, und für einen Moment dachte Jonesy, Biber hätte doch Recht gehabt, und der Mann wäre noch am Leben und würde versuchen aufzustehen. Dann fiel McCarthy vom Thron in die Badewanne und stieß dabei gegen den Duschvorhang, der sich blau blähte. Die orangefarbene Mütze fiel ihm vom Kopf. Sein Schädel knackte, als er auf dem Porzellan aufschlug, und dann schrien Jonesy und Biber und umklammerten einander, und ihre entsetzten Schreie waren in dem kleinen, gefliesten Raum ohrenbetäubend laut. McCarthys Hintern glich einem schiefen Vollmond mit einem riesigen blutigen Krater in der Mitte, so als wäre dort etwas mit großer Wucht eingeschlagen. Jonesy sah das nur für eine Sekunde, ehe McCarthy mit dem Gesicht voran in die Badewanne fiel und ihn der zurückfallende Duschvorhang verdeckte; aber in dieser einen Sekunde kam es ihm vor, als wäre dieses Loch mindestens dreißig Zentimeter groß. Konnte das sein? Dreißig Zentimeter? Unmöglich.

In der Toilettenschüssel platschte es wieder, diesmal so heftig, dass blutige Wasserspritzer auf der ebenfalls blauen Klobrille landeten. Biber war schon drauf und dran, sich vorzubeugen und hineinzugucken, aber Jonesy knallte instinktiv den Deckel auf die Brille. »Nein«, sagte er.

»Nein?«

»Nein.«

Biber wollte sich einen Zahnstocher aus der Brusttasche seines Overalls nehmen, bekam ein halbes Dutzend zu fassen und ließ sie auf den Boden fallen. Sie kullerten wie Mikadostäbe über die blutigen blauen Fliesen. Der Biber schaute sich das an und sah dann wieder zu Jonesy hoch. Er hatte Tränen in den Augen. »Wie Duddits, Mann«, sagte er.

»Um Himmels willen, wovon redest du?«

»Weißt du nicht mehr? Er war auch fast nackt. Diese Scheißkerle haben ihm sein Hemd und seine Hose weggenommen und nur seine Unterhose gelassen. Aber wir haben ihn gerettet.« Biber nickte energisch, als hätte Jonesy - oder irgendeine zweifelnde Stimme in ihm selbst - dem widersprochen.

Jonesy widersprach keineswegs, obwohl ihn McCarthy nicht im Mindesten an Duddits erinnerte. Er sah McCarthy immer noch vor sich, wie er schräg in die Badewanne kippte, wie ihm die orangefarbene Mütze vom Kopf fiel und die Fettpolster auf seiner Brust schwabbelten (Fettlebetitten nannte Henry die immer, wenn er sah, wie sie sich bei irgendeinem Mann unterm Polohemd abzeichneten). Und dann kehrte sich sein Arsch nach oben ins Licht - ins grelle Neonlicht, das nichts verbarg, sondern mit monotoner Stimme alles ausplauderte. Dieser kalkweiße unbehaarte Männerarsch, der eben anfing zu erschlaffen und sich auf die hinteren Oberschenkel zu senken; er hatte Tausende solcher Ärsche in den diversen Umkleideräumen gesehen, in denen er sich an- und ausgezogen und geduscht hatte, und bekam allmählich selbst so einen (oder hatte vielmehr so einen bekommen, doch sein Unfall hatte die Gestalt seines Hinterns wahrscheinlich für alle Zeit verändert), aber nie hatte er einen in dem Zustand gesehen, in dem sich McCarthys nun befand, einen, der aussah, als hätte darin etwas eine Leuchtkugel oder eine Schrotpatrone abgefeuert, um - tja, wozu?