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Und jetzt fing der Türknauf wieder an sich zu bewegen. Stöhnend hielt Jonesy ihn fest, aber allmählich ging ihm die Kraft aus, der Adrenalinspiegel seiner Muskeln sank und ließ sie bleiern werden, seine Handflächen waren glitschiger denn je, und der Geruch, dieser ätherartige Gestank, war jetzt deutlicher wahrzunehmen und irgendwie reiner, nicht vermengt mit den Fäkalien und Gasen in McCarthys Leib, aber wie konnte es denn auf dieser Seite der Tür so stinken? Das war doch höchstens möglich, wenn - r

In der knappen halben Sekunde, die noch blieb, bis die Achse brach, die den Türknauf innen mit dem Türknauf außen verband, merkte Jonesy, dass es dunkler geworden war. Nur ein bisschen. Als hätte sich jemand von hinten an ihn herangeschlichen und stünde jetzt zwischen ihm und dem Licht, zwischen ihm und der Hintertür -

Die Achse brach. Der Knauf in Jonesys Hand löste sich, und die Badezimmertür wurde augenblicklich ein Stück weit aufgerissen, gezogen von dem Gewicht des aalartigen Wesens, das daran hing. Jonesy kreischte auf und ließ den Türknauf fallen, der auf der Rolle Isolierband landete und davon abprallte.

Jonesy drehte sich um und wollte weglaufen, und da stand ein grauer Mann.

Er - es - war ein Fremder, andererseits aber überhaupt nicht fremd. Jonesy hatte ihn in hunderten Fernsehsendungen über »unerklärliche Phänomene« gesehen, auf den Titelseiten lausender Boulevardzeitungen (von der Sorte, die einem ihre tragikomischen Horrorgeschichten entgegen plärrten, wenn man gefangen in der Schlange an der Supermarktkasse stand), in Filmen wie ET und Unheimliche Begegnungen der dritten Art und Feuer am Himmel; Mr. Gray war das Ausgangsmaterial für Akte X.

Und bei allen Darstellungen waren zumindest die Augen gut getroffen, diese riesigen schwarzen Augen, genau wie die Augen des Dings, das sich aus McCarthys Arsch freigebissen hatte, und der Mund war auch fast getroffen, ein kümmerlicher Schlitz, mehr nicht - aber seine graue Haut hing in losen Falten und Wülsten herab wie die Haut eines altersschwachen Elefanten. Aus den Hautfalten sickerten Ströme einer gelblich weißen, eitrigen Substanz, und das gleiche Zeug lief ihm auch wie Tränen aus den Winkeln seiner ausdruckslos blickenden Augen. Klumpen und Schmierflecken davon waren über den Boden des großen Zimmers verteilt, quer über den Navajo-Teppich unter dem Traumfänger bis zur Küchentür, durch die er hereingekommen war. Wie lange war Mr. Gray schon hier? War er draußen gewesen und hatte zugesehen, wie Jonesy vom Schneemobilschuppen zur Hintertür gelaufen war, in der Hand die nutzlose Rolle Isolierband?

Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass Mr. Gray gerade starb und dass er an ihm vorbei musste, denn das Ding im Badezimmer war eben mit dumpfem Knall auf dem Boden gelandet. Und jetzt würde es auf ihn losgehen.

Marcy, sagte Mr. Gray.

Er sprach absolut deutlich, obwohl sich der rudimentäre Mund überhaupt nicht bewegte. Jonesy hörte das Wort mitten in seinem Kopf, genau an der Stelle, an der er Duddits immer hatte weinen hören.

»Was wollen Sie?«

Das Ding aus dem Badezimmer schlängelte sich über seine Füße, doch Jonesy bemerkte das kaum. Bemerkte auch kaum, wie es sich zwischen den nackten, zehenlosen Füßen des grauen Mannes wand.

Hört auf, sagte Mr. Gray in Jonesys Kopf. Es war der Klick. Mehr noch: Es war die Linie. Manchmal sah man die Linie, und manchmal hörte man sie, genau wie er damals Defuniaks schuldbewusste Gedanken gehört hatte. Ich hält's nicht mehr aus, gebt mir 'ne Spritze, wo ist Marcy?

Der Tod hat mich an diesem Tag verfolgt, dachte Jonesy. Er hat mich auf der Straße verfehlt, hat mich im Krankenhaus verfehlt - wenn auch nur um ein oder zwei Zimmer -und hat seitdem weiter nach mir gesucht. Und jetzt hat er mich gefunden.

Und dann platzte diesem Ding der Kopf, wurde weit aufgerissen und gab eine rot orangefarbene Wolke von nach Äther riechenden Partikeln frei.

Jonesy atmete sie ein.

KAPITEL 8

Roberta

Mit jetzt gänzlich ergrautem Haar und mit achtundfünfzig schon verwitwet (aber immer noch eine zierliche Frau, die gern Kleider mit Blumenmuster trug, das hatte sich nicht geändert), saß Duddits' Mutter vor dem Fernseher in ihrer Parterrewohnung in West Derry Acres, wo sie nun mit ihrem Sohn lebte. Das Haus in der Maple Lane hatte sie nach Ai-fies Tod verkauft. Sie hätte es sich leisten können, es zu halten - Alfie hatte ihr viel Geld hinterlassen, die Lebensversicherung hatte noch viel mehr gezahlt, und dann war da auch noch ihr Anteil an dem Laden für importierte Autoersatzteile, den er 1975 noch zusätzlich aufgemacht hatte -, aber es war zu groß, und über und unter dem Wohnzimmer, in dem Duddits und sie sich meistens aufhielten, gab es zu viele Erinnerungen. Oben war das Schlafzimmer, in dem Alfie und sie geschlafen und miteinander geredet, in dem sie Pläne geschmiedet und sich geliebt hatten. Unten war das Freizeitzimmer, in dem Duddits und seine Freunde so viele Nachmittage und Abende verbracht hatten. Aus Robertas Sicht waren sie Freunde gewesen, die der Himmel geschickt hatte, Engel mit gütigem Herzen und losem Mundwerk, die ihr doch tatsächlich hatten einreden wollen, dass Duddits, als er anfing Fut zu sagen, eigentlich Fudd meinte, was, wie sie ihr allen Ernstes erklärten, der Name von Petes neuem Hund sei - Eimer Fudd, kurz Fudd genannt. Und sie hatte natürlich so getan, als würde sie es ihnen abkaufen.

Zu viele Erinnerungen, zu viele Geister aus glücklicheren Zeiten. Und dann war Duddits eben auch krank geworden. Seit zwei Jahren war er nun krank, und keiner seiner alten Freunde wusste davon, denn sie kamen ihn nicht mehr besuchen, und Roberta hatte es nicht übers Herz gebracht, zum Telefon zu greifen und Biber anzurufen, der den anderen Bescheid gesagt hätte.

Jetzt saß sie vor dem Fernseher. Die Nachrichtenleute des Lokalsenders hatten es endlich aufgegeben, die Nachmittagssendungen mit Sondermeldungen zu unterbrechen, und hatten das Programm ganz übernommen. Roberta hörte zu und fand es gleichwohl beängstigend wie faszinierend, was dort oben im Norden geschah. Das Unheimlichste daran war, dass anscheinend niemand genau wusste, was vor sich ging und wie die Sache überhaupt einzuschätzen war. In einer abgelegenen Gegend von Maine, hundertfünfzig Meilen nördlich von Derry, wurde ein Dutzend Jäger vermisst. So weit war es klar. Roberta war sich zwar nicht absolut, aber doch relativ sicher, dass die Reporter über Jefferson Tract sprachen, wo die Jungs immer auf die Jagd gingen und dann mit blutrünstigen Geschichten heimkehrten, die Duddits ebenso faszinierten wie ängstigten.

Waren diese Jäger nur durch einen Alberta-Clipper-Sturm, der über die Gegend hinweggezogen war und zwölf bis fünfzehn Zentimeter Schnee hinterlassen hatte, von der Außenwelt abgeschnitten worden? Schon möglich. Das konnte niemand mit Bestimmtheit sagen, aber eine Vierergruppe, die in der Gegend von Kineo auf die Jagd gegangen war, war anscheinend wirklich verschwunden. Bilder von ihnen flackerten über den Schirm, und ihre Namen wurden mit ernster Stimme verlesen: Otis, Roper, McCarthy, Shue. Shue, das war eine Frau.

Dass Jäger vermisst wurden, war nicht so wichtig, als dass man deswegen die Nachmittags-Soaps unterbrochen hätte, aber da waren ja auch noch andere Dinge. Man hatte seltsame mehrfarbige Lichter am Himmel gesehen. Zwei Jäger aus Millinocket, die zwei Tage zuvor in der Gegend von Kineo gewesen waren, behaupteten, sie hätten ein zigarrenförmiges Flugobjekt gesehen, das über einer Stromleitungs-Schnei-se im Wald schwebte. Das Fluggerät habe keine Rotoren gehabt, sagten sie, und auch keine anderen sichtbaren Antriebsmechanismen. Es habe dort einfach keine zehn Meter über der Stromleitung geschwebt und ein tiefes Brummen von sich gegeben, das einem durch Mark und Bein gegangen sei. Und durch die Zähne, wie es schien. Beide Jäger behaupteten, Zähne verloren zu haben, aber als sie den Mund aufgemacht hatten, um die Zahnlücken zu zeigen, fand Rober-ta, dass ihre übrigen Zähne auch so aussahen, als würden sie bald ausfallen. Die Jäger waren in einem alten Chevy-Pick-up unterwegs gewesen, und als sie näher heranfahren wollten, um besser sehen zu können, war ihnen der Motor abgesoffen. Einer der Männer hatte eine batteriebetriebene Armbanduhr, die nach diesem Ereignis ungefähr drei Stunden lang rückwärts gegangen war und dann gänzlich den Geist aufgegeben hatte (die Armbanduhr des anderen, ein altmodisches Modell zum Aufziehen, hatte nicht gelitten). Nach Angaben der Reporter hatten auch mehrere andere Jäger und Anwohner seit etwa einer Woche unidentifizierte Flugobjekte gesehen - manche zigarrenförmig, andere in der eher herkömmlichen Untertassen-Form.