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Auf halber Strecke zu Gosselin's, als Kurtz' schneller kleiner Kiowa nur noch ein Fleck am Flimmel war, den man abwechselnd gerade noch und nicht mehr sah, richtete sich Owens Blick auf Tony Edwards' rechte Fland, die den Y-för-migen Steuerknüppel des Chinook hielt. Am rechten Daumennagelansatz, hauchzart wie ein paar Sandkörnchen, war eine gekrümmte rötlich goldene Linie zu sehen. Owen betrachtete seine eigenen Hände, inspizierte sie so genau wie Mrs. Jankowski das in Persönliche Hygiene immer getan hatte, damals, vor langer Zeit, als die Rapeloews noch ihre Nachbarn gewesen waren. An seinen Händen konnte er nichts entdecken, noch nicht, aber Tony hatte sein Mal schon abbekommen, und Owen dachte, sein eigenes würde auch nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Die Underhills waren Baptisten, und Owen war mit der Geschichte von Kain und Abel vertraut. Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde, hatte Gott gesagt und Kain dann in das Land Nod verbannt, jenseits von Eden, im Osten. Zum Abschaum, wie Owens Mutter immer behauptet hatte. Doch ehe er Kain losschickte, zeichnete Gott ihn, damit ihn auch der Abschaum von Nod erkannte. Und jetzt, da er die rotgoldene Spur auf Eddies Daumennagel sah und danach auch an seinen eigenen Händen und Handgelenken suchte, glaubte Owen zu wissen, welche Farbe das Kainsmal gehabt hatte.

Die Reise des Eiermanns

Der Selbstmord, das hatte Henry entdeckt, hatte eine Stimme. Er wollte sich erklären. Das Dumme war nur, dass er kaum Englisch sprach; meistens verfiel er in das ihm eigene, abgehackte Kauderwelsch. Aber das war eigentlich egal; hauptsächlich kam es wohl aufs Reden an sich an. Seit Henry dem Selbstmord seine Stimme gelassen hatte, hatte sich sein Leben enorm verbessert. Er hatte sogar wieder ganze Nächte durchgeschlafen (nicht viele, aber immerhin) und hatte keine richtig schlimmen Tage mehr erlebt.

Bis heute.

Es war Jonesys Körper dort auf dem Arctic Cat gewesen, aber das Ding, das nun in ihm steckte, war voller fremder Bilder und fremder Absichten. Jonesy mochte immer noch dabei sein - Henry ging eigentlich davon aus -, aber wenn dem so war, dann war er jetzt zu tief verborgen, zu klein und schwach, um irgend hilfreich sein zu können. Bald würde Jonesy ganz verschwunden sein, und das wäre dann vermutlich eine Gnade.

Henry hatte befürchtet, das Ding, das Jonesy nun beherrschte, würde ihn bemerken, aber es fuhr vorbei, ohne abzubremsen. In Petes Richtung. Und dann? Wohin dann? Henry wollte nicht darüber nachdenken, wollte sich nicht dämm scheren.

Schließlich machte er sich wieder auf den Weg zum , nicht weil in ihrer Hütte noch irgendetwas auf ihn

wartete, sondern weil er sonst nirgends hinkonnte. Als er an das Tor mit dem Namensschild kam - clarendon -, spuckte er sich einen weiteren Zahn in die Hand, betrachtete ihn und warf ihn dann weg. Es schneite nicht mehr, aber der Himmel war immer noch bedeckt, und der Wind frischte anscheinend wieder auf. Hatten sie im Radio irgendwas von zwei aufeinander folgenden Stürmen gesagt? Er konnte sich nicht erinnern und wusste nicht, ob das noch eine Rolle spielte.

Irgendwo im Westen dröhnte eine mächtige Detonation. Henry schaute lustlos in diese Richtung, konnte aber nichts erkennen. Da war entweder etwas abgestürzt oder explodiert, und wenigstens einige der sonst keine Ruhe gebenden Stimmen in seinem Kopf waren verstummt. Er hatte keine Ahnung, ob es da einen Zusammenhang gab oder nicht und keine Ahnung, ob ihm das gleichgültig sein durfte. Er trat durch das offen stehende Tor und ging über den planierten Schnee, auf dem sich die Spur des davonbrausenden Schnee-mobils abzeichnete, auf ihre Hütte zu.

Der Generator dröhnte gleichmäßig, und über der Granitplatte, die als Fußmatte diente, stand die Tür offen. Henry blieb kurz draußen stehen und betrachtete den Granit. Erst dachte er, eine Blutspur darauf zu sehen, aber Blut, sei es nun frisch oder getrocknet, glänzte nicht so unverkennbar rotgolden. Nein, was er da sah, war irgendwie pflanzlich. Moos oder vielleicht ein Pilz. Und da war noch etwas ...

Henry legte den Kopf in den Nacken und schnupperte -absurderweise hatte er in diesem Moment wieder ganz deutlich vor Augen, wie er einen Monat zuvor mit seiner Ex-Frau bei Maurice's gewesen war und am Wein gerochen hatte, den der Sommelier eben eingeschenkt hatte, und wie er Rhonda dabei angeschaut und gedacht hatte: Wir schnuppern am Wein, und Hunde schnuppern einander am Arsch herum, und es läuft ungefähr aufs Gleiche hinaus. Und dann blitzte die Erinnerung auf, wie seinem Vater die Milch übers

Kinn gelaufen war. Er hatte Rhonda zugelächelt, und sie hatte sein Lächeln erwidert, und er hatte gedacht, was für eine Erleichterung das Ende sein würde und dass er es am besten schnell hinter sich brachte.

Doch jetzt roch er keinen Wein, sondern einen sumpfigen, schwefligen Gestank. Für einen Moment konnte er ihn nicht einordnen, und dann fiel es ihm wieder ein: die Frau, die den Unfall verursacht hatte. Auch hier stank es nach ihren verdorbenen Innereien.

Henry betrat die Granitplatte und war sich bewusst, dass er zum letzten Mal hier war. Er spürte die Last all der Jahre -das Gelächter, die Gespräche, die Biere, ab und zu auch mal einen schönen Joint, die Wurfschlacht mit Lebensmitteln von Anno '96 (vielleicht war es auch '97 gewesen), die Gewehrschüsse, diese bittere Geruchsmischung aus Schießpulver und Blut, die die Jagdsaison für Hirsche verhieß, der Geruch von Tod und Freundschaft und der Freuden der Kindheit.

Und als er dort so stand, schnupperte er noch mal. Der Gestank war jetzt viel stärker und wirkte eher chemisch als organisch, vielleicht weil er so übermächtig war. Er schaute in die Hütte. Auf dem Boden war noch mehr von diesem fussligen, schimmelartigen Zeug, aber die Dielen konnte man noch sehen. Auf dem Navajo-Teppich aber wuchs es bereits so dicht, dass man kaum mehr das Teppichmuster erkannte. Was es auch war - es gedieh im Warmen eindeutig besser, und es war unheimlich, wie schnell es wuchs.

Henry wollte eben hineingehen, überlegte es sich dann aber anders. Er ging zwei, drei Schritte von der Tür zurück und stand dann dort im Schnee und dachte an seine blutende Nase und an die Löcher in seinem Zahnfleisch, wo noch Zähne gewesen waren, als er an diesem Morgen erwacht war. Wenn von diesem moosartigen Zeug ein durch die Luft übertragbarer Virus ausging, wie Ebola oder Hanta, hatte er sich wahrscheinlich längst angesteckt und konnte jetzt nur noch die Stalltür schließen, nachdem das Pferd gestohlen war. Aber es war ja nicht nötig, unnötige Risiken einzugehen, nicht wahr?

Er machte kehrt und ging um die Hütte herum zur Schlucht-Seite. Dabei hielt er sich in der Spur des Schneemo-bils, um nicht im Neuschnee einzusinken.

Die Schuppentür stand ebenfalls offen. Und Henry konnte Jonesy sehen, ja, ganz klar und deutlich, wie Jonesy kurz an der Tür stehen blieb, ehe er hineinging, um das Schneemobil zu holen; wie sich Jonesy im Vorbeigehen am Türrahmen festhielt, wie Jonesy lauschte ... worauf lauschte?

Es war nichts zu hören. Keine Krähen krächzten, keine Eichelhäher schimpften, keine Spechte hämmerten, keine Eichhörnchen keckerten. Man hörte nur den Wind und hin und wieder ein gedämpftes Wopp, wenn ein Schneeballen von einer Kiefer oder Fichte rutschte und unten auf dem Neuschnee landete. Die einheimische Tierwelt war verschwunden, war fortgezogen wie die blöden Viecher in einem Cartoon von Gary Larson.

Er blieb dort für einen Moment stehen und rief sich das Innere des Schuppens ins Gedächtnis. Pete hätte das besser gekonnt - Pete hätte mit geschlossenen Augen und pendelndem Zeigefinger dagestanden und einem dann gesagt, wo alles war, bis zur kleinsten Schale mit Schrauben -, aber in diesem Fall glaubte Henry, ohne Petes besondere Gabe auszukommen. Er war gerade am Vortag erst hier draußen gewesen und hatte etwas gesucht, womit er die Küchenschranktür öffnen konnte, die sich verzogen hatte. Da hatte er gesehen, wonach er jetzt suchte.