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Henry lachte wie Stubb in Moby Dick und ging weiter in die Hütte hinein.

Mit einer Ausnahme wuchs der Pilz als dünnes, sich hier und da verdickendes Geflecht. Diese Ausnahme befand sich vor der offen stehenden Badezimmertür, wo es einen richtigen Hügel davon gab, der dicht verflochten im Türrahmen hochwuchs und ihn bis zu einer Höhe von mindestens ein Meter zwanzig auch bedeckte. Diese hügelförmige Wucherung schien auf einem gräulichen, schwammigen Nährboden zu wachsen. Auf der Seite zum Wohnzimmer hin spaltete sich das graue Zeug V-förmig, was Henry auf unangenehme Weise an gespreizte Beine erinnerte. Als wäre dort jemand vor der Tür gestorben und der Pilz hätte die Leiche überwuchert. Henry fühlte sich aus seinem Medizinstudium an einen Sonderdruck erinnert, einen Artikel, den er einmal überflogen hatte, als er nach etwas ganz anderem gesucht hatte. Uarin war unter anderem auch ein schauriges Obduktions-ild abgedruckt, das er nie mehr vergessen hatte. Daraufwar ein im Wald abgeladenes Mordopfer zu sehen. Die nackte e'che hatte man schätzungsweise vier Tage nach dem Mord entdeckt. Pilze wuchsen ihr im Nacken, in den Falten der Kniekehlen und zwischen den Pobacken.

Nach vier Tagen, ja. Aber hier war an diesem Morgen noch alles sauber gewesen, und ...

Henry schaute auf seine Armbanduhr und sah, dass sie um zwanzig vor zwölf stehen geblieben war. Es war jetzt ganz genau irgendwann Eastern Standard Time.

Er drehte sich um und spähte aus der Tür, weil er plötzlich davon überzeugt war, dass dort etwas lauerte.

Nein. Nur Jonesys Garand, das da an der Wand lehnte.

Henry wollte sich schon abwenden, drehte sich dann aber doch noch mal um. Das Garand schien frei von der Schmiere zu sein, und Henry nahm es. Geladen, durchgeladen, gesichert. Gut. Henry hängte es sich am Riemen über die Schulter und wandte sich dann wieder dem widerlichen roten Haufen zu, der vor der Badezimmertür wuchs. In der Hütte stank es nach Äther, vermischt mit etwas Schwefligem und etwas noch Widerlicherem. Henry ging langsam quer durch den Raum auf das Badezimmer zu und musste sich dabei zu jedem Schritt zwingen, weil er befürchtete (und zusehends sicher war), dass der rote Hügel mit den beinförmigen Ausläufern alles war, was von seinem Freund Biber noch übrig war. Bald würde er die struppigen Reste von Bibers langem schwarzem Haar erblicken oder seine Doc Marten's, die Biber als sein »Lesben-Solidaritäts-Statement« bezeichnet hatte. Der Biber war der Ansicht gewesen, Doc Marten's wären Erkennungssignale für Lesben, und das hatte ihm keiner aus-reden können. Er war ebenso fest davon überzeugt, dass Leute namens Rothschild und Goldfarb die Welt regierten, und das wahrscheinlich von einem Felsbunker in Colorado aus. Biber, dessen Lieblingsausdruck »Kackorama« gewesen war.

Aber es war schier unmöglich zu sagen, ob der Haufen auf der Türschwelle einst der Biber oder überhaupt ein Mensch gewesen war. Nur der Umriss erweckte diesen Eindruck. Irgendetwas glitzerte in dem schwammig wuchernden Zeug, und Henry sah sich das ein bisschen näher an und fragte sich schon im gleichen Moment, ob mikroskopisch kleine Partikel des Pilzes nicht bereits auf der feuchten, ungeschützten Oberfläche seiner Augen wuchsen. Was er dort entdeckt hatte, erwies sich als der Türknauf der Badezimmertür. Daneben, ebenfalls fusslig überwuchert, lag eine Rolle Isolierband. Ihm fiel das Chaos draußen auf der Werkbank ein und die aufgerissenen Schubladen. War es das gewesen, wonach Jonesy draußen im Schuppen gesucht hatte? Eine blöde Rolle Klebeband? Etwas in seinem Kopf - vielleicht der Klick, vielleicht auch nicht - bestätigte das. Aber warum? Warum, um Gottes willen?

Im Laufe der vergangenen fünf Monate, während derer die Selbstmordgedanken immer häufiger zu Besuch gekommen und dann auch immer länger geblieben waren und in ihrem Kauderwelsch geplappert hatten, war Henry so gut wie alle Neugierde vergangen. Jetzt wütete die Neugier, als wäre sie hungrig erwacht. Und er hatte nichts, womit er sie speisen konnte. Hatte Jonesy die Tür zukleben wollen? Ja? Wogegen? Er und der Biber hätten doch wissen müssen, dass das gegen den Pilz nichts ausgerichtet hätte, der einfach unter der Tür durchgewachsen wäre.

Henry schaute ins Badezimmer und ächzte leise auf. Was für ein abscheulicher Wahnsinn sich hier in ihrer Hütte auch immer abgespielt hatte - hier hatte es begonnen, daran hatte er keinerlei Zweifel. Der Raum war eine rote Höhle, die blauen Fliesen fast vollständig unter Haufen von diesem Zeug verborgen. Es war auch am Waschbecken und der Toilettenschüssel hochgewuchert. Der Klodeckel lehnte am Spülkasten, und obwohl er das nicht so genau sehen konnte -dazu war es alles zu überwuchert -, hatte er den Eindruck, dass die Klobrille ins Becken hinein eingebrochen war. Der Duschvorhang war nun dick und rotgolden und nicht mehr auchdünn blau; größtenteils war er von den Ringen geris-sen (an denen auch pflanzliche Barte wuchsen) und lag in der Badewanne.

Seitlich aus der Wanne ragte, ebenfalls von Pilz überwuchert, ein Fuß mit einem Stiefel dran. Der Stiefel war ein Doc Marten's, da war sich Henry sicher. Er hatte Biber wohl endlich doch gefunden. Plötzlich kamen Erinnerungen hoch an den Tag, an dem sie Duddits gerettet hatten, so klar und deutlich, als wäre es gestern gewesen. Biber, wie er seine blöde alte Lederjacke trug, Biber, wie er Duddits' Lunchbox nahm und sagte: Magst du die Serie, Mann? Aber die ziehen sich doch nie um! Und dann, wie er sagte -

»Arschkrass«, sprach Henry zu der überwucherten Hütte. »Das hat er gesagt, das hat er immer gesagt.« Tränen liefen ihm über die Wangen. Wenn der Pilz denn nur Feuchtigkeit suchte - und dem Dschungelgestrüpp in der Toilettenschüssel nach zu urteilen, war er sehr auf Feuchtigkeit aus -, dann konnte er kommen und sich an ihm gütlich tun.

Henry stellte fest, dass es ihm ziemlich egal war. Er hatte Jonesys Gewehr. Der Pilz konnte bei ihm zwar mit der Vorspeise beginnen, aber Henry konnte dafür sorgen, dass er längst fort war, wenn der Pilz beim Dessert ankam. Wenn es denn so weit kommen würde.

Und wahrscheinlich würde es das.

Henry war sicher, in einer Ecke des Schuppens einen Haufen Teppichreste gesehen zu haben. Er überlegte, ob er rausgehen und sie holen sollte. Er konnte sie auf dem Badezimmerboden auslegen und darauf gehen, um so besser in die Badewanne gucken zu können. Aber was sollte das bringen? Er wusste, dass es Biber war, und er hegte kein großes Verlangen, seinen alten Freund, den Schöpfer so geistreicher Sprüche wie Knutsch mir die Kimme zu sehen, wie er von einem roten Pilz überwuchert war. Es hätte vielleicht einige seiner Fragen darüber beantwortet, was hier passiert war, ja, vielleicht. Aber Henry hielt das nicht für wahrscheinlich.

Eigentlich wollte er jetzt nur noch hier raus. Der Pilz war schon unheimlich genug, aber da war noch etwas: das noch unheimlichere Gefühl, hier nicht allein zu sein.

Henry wich von der Badezimmertür zurück. Auf dem Esstisch lag ein Taschenbuch, auf dessen Umschlag kleine Teufel mit Dreizacken Ringelreihen tanzten. Das war bestimmt einer von Jonesys Krimis, und auch darauf wuchs bereits dieses Zeug.

Er hörte ein ratterndes Geräusch, das sich aus westlicher Richtung näherte und schnell zu einem Donnern anwuchs. Hubschrauber, und diesmal nicht nur einer. Viele. Und große. Es hörte sich an, als würden sie auf Dachfirsthöhe ein-fliegen, und Henry duckte sich unwillkürlich. Bilder aus einem Dutzend Vietnamkriegsfilme schwirrten ihm durch den Kopf, und für einen Moment war er sicher, dass sie mit ihren Maschinengewehren das Feuer auf die Hütte eröffnen würden. Vielleicht würden sie sie auch mit Napalm bombardieren.

Sie flogen vorüber und taten weder das eine noch das andere, kamen aber so nah, dass die Tassen und Teller auf den Küchenregalen schepperten. Henry richtete sich wieder auf, als der Donner allmählich verklang und erst in ein Rattern und dann in ein harmloses Brummen überging. Vielleicht flogen sie auch zum Abschlachten der Tiere am Ostende des Jefferson Tract. Sollten sie doch. Er würde hier die Biege machen und dann -Und dann was? Was dann?