Während er über diese Frage nachdachte, kam aus einem der beiden Schlafzimmer im Erdgeschoss ein Geräusch. Ein Rascheln. Dann war wieder alles still, eben lange genug, dass Henry überzeugt war, seine Fantasie habe ihm einen Streich gespielt. Dann ertönte eine Folge leiser Klick- und Schnarr -geräusche, es hörte sich fast wie ein mechanisches Spielzeug an - ein Blech-Affe oder -Papagei etwa -, dessen Uhrwerk eben ablief. Henry bekam schlagartig am ganzen Körper Gänsehaut. Sofort hatte er einen trockenen Mund. Seine Nackenhaare sträubten sich büschelweise.
Raus hier! Lauf!
Ehe er auf diese Stimme hören und sich von ihr leiten lassen konnte, ging er schon mit großen Schritten zur Schlafzimmertür und nahm dabei das Garand von der Schulter. Adrenalin schoss in sein Blut, und er sah alles hell und klar. Seine selektive Wahrnehmung, diese oft verkannte Gabe derer, denen es gut geht, fiel von ihm ab, und er sah alle Einzelheiten: die Blutspur, die vom Schlafzimmer zum Bad verlief, einen hingeworfenen Turnschuh, dieser abartige rote Schimmel, der in der Form eines Handabdrucks an der Wand wuchs. Dann betrat er das Schlafzimmer.
Es - was immer es auch war - war auf dem Bett. Für Henry sah es wie ein Wiesel oder Waldmurmeltier aus, dessen Beine amputiert waren, und aus dem hinten, wie eine Nachgeburt, ein langer, blutiger Schwanz hing. Nur dass kein Tier, das er je gesehen hatte - die Muräne im Seeaquarium von Boston vielleicht ausgenommen - derart unverhältnismäßig große schwarze Augen hatte. Und noch etwas war so ähnlich wie bei der Muräne: Als es den Strich aufriss, der sein Maul war, entblößte es ein Bündel schockierender Zähne, so lang und dünn wie Hutnadeln.
Hinter dem Vieh, pulsierend auf dem blutgetränkten Laken, lagen hundert oder mehr orangebraune Eier. Sie waren so groß wie Murmeln und in einen trüben, rotzeartigen Schleim gehüllt. Und in jedem einzelnen konnte Henry einen sich regenden, haarförmigen Schatten erkennen.
Das Wieselding richtete sich auf wie eine Schlange, die sich aus dem Korb eines Schlangenbeschwörers erhebt, und zischte ihn an. Es rutschte auf dem Bett - auf Jonesys Bett -hin und her, schien sich aber nicht groß bewegen zu können.
Seine glänzenden schwarzen Augen starrten zornig. Sein Schwanz (den Henry beim näheren Hinsehen eher für eine Art Fangarm hielt) schlug hin und her und breitete sich dann über so viele Eier, wie er erreichen konnte, wie um sie zu beschützen.
Henry wurde sich bewusst, dass er immer wieder das eine Wort sagte: Nein, und das in einem monotonen Singsang wie ein hilfloser, mit Thorazin voll gepumpter Neurotiker. Er legte mit dem Gewehr an und zielte auf den widerlichen Knoten, der den Kopf des Viehs bildete und zuckte und auswich. Es weiß, was das hier bedeutet, wenigstens so viel weiß es durchaus, dachte Henry ganz kalt, und dann drückte er ab.
Es war ein Schuss aus nächster Nähe, und das Wesen konnte nicht groß ausweichen; entweder war es vom Eierlegen erschöpft, oder die Kälte bekam ihm nicht - da die Haustür offen stand, war es ziemlich kalt in der Hütte geworden. Der Knall war sehr laut in diesem geschlossenen Raum, und der erhobene Kopf des Viehs zerplatzte klatschend und schlug in Strängen und Klumpen an die Wand. Sein Blut war genauso rotgolden wie der Pilz. Der geköpfte Leib taumelte vom Bett auf einen Kleiderhaufen, den Henry nicht erkannte: ein brauner Mantel, eine orangefarbene Warnweste, eine Jeans mit Aufschlägen (niemand von ihnen hatte je aufgekrempelte Jeans getragen; in der Junior High School wurden Jungs, die so was trugen, als Bauerntrampel abgestempelt). Etliche Eier fielen mit dem Kadaver vom Bett. Die meisten landeten auf den Klamotten und auf Jonesys Bücherhaufen und blieben heil dabei, aber ein paar fielen auch auf den Boden und platzten auf. Eine trübe Substanz, wie verdorbenes Eiweiß, sickerte heraus, knapp ein Esslöffel pro Ei. Und mit ihr diese Haare, die sich krümmten und zuckten und Henry mit ihren schwarzen stecknadelkopfgroßen Augen grimmig anzufunkeln schienen. Als er das sah, war ihm zum Schreien zu Mute.
Er machte kehrt und ging ruckartig aus dem Zimmer, auf Beinen, in denen er etwa so viel Gefühl hatte, als wären es Tischbeine. Er kam sich wie eine Marionette vor, die von jemandem gesteuert wurde, der es zwar gut meinte, sein Handwerk aber eben erst erlernte. Er hatte keine Ahnung, wohin er ging, bis er dann in der Küche war und sich vor dem Schrank unter der Spüle bückte.
»I am the eggman, I am the eggman, I am the walrus! Goo-goo-joob!«
Das sang er nicht, sondern deklamierte es mit lauter, anfeuernder Stimme, von der er gar nicht gewusst hatte, dass er sie in seinem Repertoire hatte. Es war die Stimme eines Schmierenkomödianten aus dem 19. Jahrhundert. Dieser Gedanke beschwor - Gott allein wusste, warum - ein Bild von Edwin Booth herauf, als d'Artagnan gekleidet, komplett mit Federhut und allem, wie er die Verse von John Lennon rezitierte, und Henry stieß ein lautes, zweisilbiges Lachen aus: Ha! Ha!
Ich werde verrückt, dachte er ... aber das war schon in Ordnung. Lieber d'Artagnan, der / Am The Walrus rezitierte, als das Bild, wie das Blut dieses Viehs an die Wand spritzte, oder die mit Schimmelpilz bedeckten Doc Marten's, die aus der Badewanne ragten, oder, am schlimmsten, diese Eier, wie sie aufplatzten und eine Ladung zuckender Haare mit Stecknadelkopfaugen freisetzten. Und wie ihn alle diese Augen angestarrt hatten.
Er schob das Geschirrspülmittel und den Wischeimer beiseite, und da war sie: die gelbe Dose Sparx-Grillanzünder. Der unfähige Puppenspieler, der ihn hierher geführt hatte, streckte Henrys Arm mehrmals ruckartig aus und schloss dann Henrys rechte Hand um die Sparx-Dose. Er trug sie quer durchs Wohnzimmer zurück und dachte auch daran, die Streichholzschachtel vom Kaminsims mitzunehmen.
»I am he and you are me and we are all together!«, deklamierte er und betrat wagemutig Jonesys Zimmer, ehe der verängstigte Mensch in seinem Kopf die Kontrolle wieder an sich reißen und ihn dazu bringen konnte wegzulaufen. Dieser Mensch wollte, dass er lief, bis er bewusstlos umfiel. Bewusstlos oder tot.
Die Eier auf dem Bett platzten nun ebenfalls auf. Zwei Dutzend oder mehr dieser Haare krochen jetzt auf dem blutgetränkten Laken und auf Jonesys Kissen herum. Eins davon hob seinen Knubbel von einem Kopf und zischte Henry an, ein fast unhörbares Geräusch, so dünn und hoch war es.
Sich immer noch keine Atempause gönnend - hätte er eine Pause gemacht, dann hätte er nie wieder losgelegt, wäre höchstens noch zur Tür gelaufen -, eilte Henry mit zwei Schritten ans Bett. Eines der Haare kam auf dem Boden auf ihn zugeglitten und bewegte sich dabei mit seinem Schwanz fort wie ein Spermium unterm Mikroskop.
Henry zertrat es und zupfte den roten Plastikdeckel von der Düse der Dose. Er richtete die Düse aufs Bett und sprühte hin und her und achtete darauf, auch den Fußboden gut zu erwischen. Als die haarartigen Wesen mit dem Grillanzünder in Berührung kamen, gaben sie ein hohen Wimmern von sich wie frisch geborene Kätzchen.
»Eggman ... eggman ... walrusl«
Er zertrat noch ein weiteres Haarwesen und sah, dass sich ein drittes an das Hosenbein seiner Jeans klammerte, sich mit seinem winzigen Schwanz daran festhielt und versuchte, mit seinen noch nicht festen Zähnen durch das Gewebe zu beißen.
»Eggman«, murmelte Henry und schabte es mit der Sohle des anderen Stiefels ab. Als es sich wegschlängeln wollte, zertrat er es. Plötzlich merkte er, dass er von Kopf bis Fuß klatsch-nass von Schweiß war und dass er sich, wenn er so in die Kälte hinausginge (und das würde er tun müssen, hier konnte er nicht bleiben), wahrscheinlich den Tod holen würde.
Ich kann nicht hier bleiben, darf mich nicht ausruhen!«, Henry in seinem neuen, anfeuernden Ton.
Er schob die Streichholzschachtel auf, aber seine Hände zitterten so, dass er die Hälfte der Streichhölzer zu Boden fallen ließ. Weitere fadenartige Würmer krochen auf ihn zu. Sie wussten vielleicht nicht viel, aber dass er der Feind war, das wussten sie durchaus.