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»Was soll das heißen?«, stöhnte Henry. Er hielt sich die Schläfen (er fühlte sich, als würde sein Kopf anschwellen, immer mehr anschwellen), und seine rostigen alten Skistöcker baumelten lose an den Handschlaufen wie abgebrochene Propellerblätter. »Herrgott, was soll das HEISSEN?«

Und nur der Song antwortete ihm: Pleased to meet you! Hope you guess my name!

Nur der Schnee: rot vom Blut der abgeschlachteten Tiere, und sie lagen überall, ein Dachau der Hirsche und Rehe und Waschbären und Kaninchen und Wiesel und Bären und Waldmurmeltiere und -

Henry schrie, hielt sich den Kopf und schrie so laut und so heftig, dass er sich einen Moment lang sicher war, ohnmächtig zu werden. Dann wich seine Benommenheit allmählich, und er schien wieder klar denken zu können, zumindest vorläufig. Ihm blieb ein strahlend helles Bild von Duddits, wie er war, als sie ihn kennen gelernt hatten, Duddits, nicht im Licht eines Blitzkriegswinters wie in dem Stones-Song, sondern im unscheinbaren Licht eines bewölkten Oktobernachmittags, Duddits, wie er mit seinen manchmal so weisen Chinesenaugen zu ihnen hochgeschaut hatte. Mit Duddits, das war unsere beste Zeit, hatte er zu Pete gesagt. »Was mahn?«, sagte Henry jetzt. »Pass nich?« Nein, pass nich. Dreh ihn um und zieh ihn andersrum an.

Matt lächelnd (obwohl seine Wangen noch feucht von den Tränen waren, die anfingen zu gefrieren), folgte Henry auf den Skiern weiter der sich windenden Spur des Schneemobils.

10

Zehn Minuten später kam er zu dem umgestürzten Wrack des Scout. Mit einem Mal wurden ihm zwei Dinge bewusst: dass er jetzt doch einen Bärenhunger hatte und dass sich Essen im Auto befand. Er hatte die hierher und von hier fort führenden Spuren gesehen und hatte keinen Natty Bumppo gebraucht, um zu wissen, dass Pete die Frau allein gelassen hatte und zum Scout zurückgegangen war. Und er brauchte auch keinen Hercule Poirot, um zu wissen, dass die Lebensmittel, die sie eingekauft hatten - wenigstens größtenteils -, noch da waren. Er wusste, weshalb Pete wiedergekommen war.

Er stapfte, Petes Spuren folgend, zur Beifahrerseite und erstarrte dann, als er sich die Bindungen aufmachte. Diese Seite des Autos war vom Wind abgewandt, und was Pete in den Schnee geschrieben hatte, während er dort gesessen und Bier getrunken hatte, war größtenteils noch erhalten: dud-dus, immer und immer wieder. Als er den Namen im Schnee sah, fing Henry an zu zittern. Es war, als käme man ans Grab eines geliebten Menschen und würde daraus eine Stimme hören.

11

Im Scout lagen Glasscherben. Und da war auch Blut. Da sich das Blut hauptsächlich auf der Rückbank befand, ging Henry davon aus, dass es nicht bei ihrem Unfall vergossen worden war; Pete hatte sich bei seiner Rückkehr hier geschnitten. Interessanterweise wuchs auf dem Blut nichts von dem rotgoldenen Flaum. Da er sonst schnell wuchs, lautete der logische Schluss, dass sich Pete noch nicht angesteckt hatte, als er zurückgekommen war, um das Bier zu holen. Später vielleicht schon, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Er nahm sich das Brot, die Erdnussbutter, die Milch und die Tüte Orangensaft. Dann kroch er rückwärts wieder aus dem Scout und saß dann mit den Schultern an das Wagenheck gelehnt da, sah dem Trudeln der Schneeflocken zu und verschlang das Brot und die Erdnussbutter so schnell er konnte, wobei er seinen Zeigefinger als Streichmesser einsetzte und zwischendurch ableckte. Die Erdnussbutter war köstlich, und den Orangensaft trank er mit zwei tiefen Schlucken leer, aber das reichte nicht.

»Woran du da denkst«, verkündete er dem dämmerigen Nachmittag, »ist absurd. Von dem Rot ganz zu schweigen. Rotes Essen.«

Rot oder nicht rot, er dachte nun mal daran, und so absurd war es auch gar nicht; er hatte schließlich lange Nächte damit zugebracht, an Schusswaffen und Stricke und Plastiktuten zu denken. Das alles kam ihm jetzt ein wenig kindisch vor, aber so war es nun mal, das kostbare Selbstbild des Henry Devlin. Und deshalb -

»Lassen Sie mich schließen, meine Damen und Herren von der psychiatrischen Akademie, indem ich den verstorbenen Joseph >Biber< Clarendon zitiere: >Da ist drauf geschissen. Jetzt oder nie. Und wenn's euch nicht passt, dann fickt euch ins Knie.< Herzlichen Dank.«

Derart seinen Vortrag vor der psychiatrischen Akademie beendend, kroch Henry zurück in den Scout, wich dabei wieder erfolgreich den Glasscherben aus und holte das in Wachspapier eingeschlagene Päckchen ($ 2,79, stand in der zittrigen Handschrift des alten Gosselin darauf). Er kroch mit dem Päckchen in der Tasche rückwärts aus dem Wagen, nahm es dann heraus und riss den Bindfaden auf. Darin befanden sich neun ansehnliche Hotdog-Würstchen. Die von der roten Sorte.

Sein inneres Auge versuchte ihm Bilder des beinlosen Reptilienwesens zu zeigen, das sich auf Jonesys Bett gewunden und ihn mit seinen ausdruckslosen schwarzen Augen angeschaut hatte, aber er drängte das beiseite, mit der Behendigkeit und Leichtigkeit eines Menschen, dessen Selbsterhaltungstrieb nie nachgelassen hatte.

Die Würstchen waren zwar vorgekocht, aber er wärmte sie trotzdem auf, strich mit der Flamme seines Butanfeuerzeugs daran entlang, immer hin und her, bis sie wenigstens warm waren, packte sie dann in Hotdog-Brötchen und schlang sie hinunter. Dabei lächelte er, und ihm war klar, wie lächerlich er für einen Außenstehenden aussehen musste. Tja, hieß es nicht immer, dass Psychiater eines Tages genauso verrückt würden wie ihre Patienten, wenn nicht gar noch verrückter?

Aber wichtig dabei war, dass er endlich satt war. Und noch wichtiger war, dass all die unzusammenhängenden Gedanken und Bilderschnipsel seinen Kopf verlassen hatten. Auch der Song. Er hoffte nun, dieser ganze Mist würde nie wiederkommen. Nie wieder, bitte, lieber Gott.

Er schluckte noch mehr Milch, rülpste, lehnte dann den

Kopf an den Scout und schloss die Augen. Einschlafen aber wollte er nicht; dieser Wald war so richtig schön tief und dunkel, und er hatte noch 12,7 Meilen vor sich, ehe er schlafen konnte.

Ihm fiel wieder ein, wie Pete den Tratsch bei Gosselin's angesprochen hatte - die vermissten Jäger, die Lichter am Himmel - und wie rundheraus der Große Amerikanische Psychiater das alles abgetan, über die Satanismus-Hysterie in Washington geschwafelt hatte und über die Missbrauchs-Hysterie in Delaware. Wie er mit dem Mund den Mr. Klugscheißer Seelenklempner gegeben hatte, während er im Hinterkopf weiter mit Selbstmordgedanken gespielt hatte wie ein Baby, das in der Badewanne eben erst seine Zehen entdeckt hat. Was er gesagt hatte, hatte vollkommen plausibel geklungen, gut genug für jede beliebige Diskussionsrunde im Fernsehen, die sich sechzig Minuten lang mit den Berührungspunkten zwischen Unbewusstem und Unbekanntem beschäftigen wollte, aber dem war jetzt nicht mehr so. Jetzt war er selbst ein vermisster Jäger. Und er hatte Dinge gesehen, die man auch im Internet nicht fand, ganz egal, wie gut die Suchmaschine war.

Er saß da, den Kopf im Nacken, die Augen geschlossen, den Bauch vollgeschlagen. Jonesys Garand lehnte an einem Reifen des Scout. Die Schneeflocken ließen sich auf seiner Stirn und seinen Wangen nieder, zart wie Kätzchenpfoten. »Das ist es, worauf die ganzen Idioten immer gewartet haben«, sagte er. »Begegnungen der dritten Art. Mann, vielleicht sogar der vierten oder fünften Art. Tschuldige, dass ich mich über dich lustig gemacht habe, Pete. Du hattest Recht, und ich hatte Unrecht. Nein, es ist noch schlimmer. Der alte Gosselin hatte Recht, und ich hatte Unrecht. So viel zum Thema Harvard-Studium.«

Und als er das laut ausgesprochen hatte, fügte sich plötzlich eins zum anderen. Da war etwas gelandet oder abgestürzt. Es hatte eine militärische Reaktion der US-Regierung gegeben. Erzählten sie der Außenwelt, was hier vor sich ging? Wahrscheinlich nicht, das wäre nicht ihr Stil, aber Henry hatte so das Gefühl, dass ihnen bald nichts anderes mehr übrig bliebe. Man konnte schließlich nicht den gesamten Jefferson Tract in Hangar 57 unterbringen.