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Wusste er sonst noch etwas? Vielleicht schon und vielleicht sogar ein wenig mehr als die Männer, die die Hubschrauber und Exekutionskommandos befehligten. Sie glaubten eindeutig, es hier mit etwas Ansteckendem zu tun zu haben, aber Henry dachte nicht, dass es so gefährlich war, wie sie offenbar meinten. Das Zeug verbreitete sich und erblühte ... aber dann ging es ein. Selbst der Parasit, den die Frau in sich getragen hatte, war gestorben. Es war die falsche Jahreszeit und der falsche Ort für interstellaren Fußpilz - wenn es sich denn darum handeln sollte. Das alles deutete sehr auf eine Bruchlandung hin ... aber hatten die Trojaner das Holzpferd nicht auch für ein Geschenk gehalten? Und was war mit den Lichtern am Himmel? Was war mit diesen Implantaten? Seit Jahren hatten Leute, die behaupteten, von Außerirdischen entführt worden zu sein, auch erzählt, man habe sie ausgezogen ... untersucht ... habe ihnen etwas implantiert ... all diese Ideen waren derart freudianisch, dass sie schon fast lachhaft...

Henry merkte, dass er wegdämmerte, und schreckte so abrupt hoch, dass ihm das aufgerissene Päckchen mit den Würstchen vom Schoß in den Schnee fiel. Nein, er war nicht nur weggedämmert; er war eingenickt. Es war noch erheblich dunkler geworden, und die Welt war in ein fahles Schiefergrau gehüllt. Auf seiner Hose waren frische Schneeflocken. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte angefangen zu schnarchen.

Er wischte sich den Schnee ab und stand auf, zuckte zusammen, als seine Muskeln empört aufschrien. Er betrachtete die Hotdog-Würstchen, die dort im Schnee lagen, mit leichtem Widerwillen, bückte sich dann, packte sie wieder ein und steckte sie sich in eine Jackentasche. Vielleicht würde er später wieder Appetit darauf haben. Er hoffte es wirklich nicht, aber man wusste ja nie.

»Jonesy ist im Krankenhaus«, sagte er unvermittelt und ohne zu wissen, was er damit meinte. »Jonesy ist mit Mr. Gray im Krankenhaus, muss da bleiben. Auf der Intensivstation.«

Wahnsinn. Das Gefasel eines Wahnsinnigen. Er spannte sich die Skier wieder unter die Stiefel, inständig hoffend, dass er keinen Hexenschuss bekam, während er sich so bückte, und folgte dann der Spur aufs Neue. Der Schneefall wurde nun wieder dichter, und es wurde immer dunkler.

Als ihm aufging, dass er zwar an die Würstchen gedacht, aber Jonesys Gewehr vergessen hatte (von seinem eigenen ganz zu schweigen), war er schon zu weit, um noch mal umzukehren.

12

Gut eine Dreiviertelstunde später blieb er stehen und guckte dumm auf die Schneemobilspur hinab. Vom Tageslicht war nun kaum mehr als ein matter Schimmer über, aber es reichte, um zu sehen, dass die Spur (was davon noch blieb) abrupt nach rechts schwenkte und in den Wald führte.

Ausgerechnet in den Wald. Was wollten Jonesy und Pete (wenn Pete denn bei ihm war) im Wald? Was sollte das, wenn die Deep Cut Road doch ohne Hindernisse geradeaus verlief, eine weiße Fahrspur zwischen den dunklen Bäumen?

»Die Deep Cut führt nach Nordwesten«, sagte er, wie er da so stand, die Skier vorne leicht gekreuzt, und ihm die lose eingeschlagenen Würstchen aus der Jackentasche ragten. »Die Straße zu Gosselin's, die Asphaltstraße, ist höchstens noch drei Meilen entfernt. Jonesy weiß das. Pete weiß es auch. Und trotzdem ... fährt das Schneemobil ...« Er hob die Arme wie Uhrzeiger und schätzte es ab. »Das Schneemobil fährt fast genau nach Norden. Wieso?«

Vielleicht wusste er, wieso. Der Himmel wurde in Richtung Gosselin's heller, als hätte man dort Scheinwerferbatterien aufgebaut. Er konnte das an- und abschwellende Dröhnen der Hubschrauber hören, das immer aus der gleichen Richtung kam. Bald, dachte er, würde er auch anderes schweres Gerät hören: Versorgungsfahrzeuge und vielleicht

Generatoren. Im Osten hörte man immer noch vereinzelte Schüsse, aber der Dreh- und Angelpunkt des Geschehens befand sich eindeutig in der Richtung, in die er ging.

»Sie haben bei Gosselin's ein Basislager aufgeschlagen«, sagte Henry. »Und dem will Jonesy ausweichen.«

Das kam Henry sehr plausibel vor. Nur ... dass es keinen Jonesy mehr gab, nicht wahr? Da war nur noch die rotschwarze Wolke.

»Das stimmt nicht«, sagte er. »Jonesy ist immer noch da. Jonesy ist mit Mr. Gray im Krankenhaus. Das ist nämlich die Wolke — Mr. Gray.« Und dann, wie aus heiterem Himmel (zumindest kam es ihm so vor): »Was mahn? Pass nich?«

Henry schaute hoch in den trudelnden Schneefall (er war, zumindest bisher, viel weniger ergiebig als der Schneefall zuvor, dafür aber ausdauernd), als glaubte er, dort oben wäre irgendwo ein Gott, der ihn mit dem aufrichtigen, wenn auch distanzierten Interesse eines Forschers betrachtete, der ein zappelndes Pantoffeltierchen beobachtete. »Worüber rede ich hier? Was soll das?«

Keine Antwort. Dafür tauchte eine Erinnerung auf. Biber, Jonesys Frau und er hatten einander im vergangenen März versprochen, etwas geheim zu halten. Carla war der Ansicht gewesen, Jonesy brauchte nicht zu wissen, dass sein Herz zweimal stehen geblieben war, einmal kurz nach dem Eintreffen der Rettungssanitäter am Unfallort in Cambridge und einmal kurz nach seiner Ankunft im Krankenhaus. Jone-sy wusste, dass er dem Tod nur knapp entronnen war, wusste aber nicht (jedenfalls nicht, soweit Henry wusste), wie knapp es gewesen war. Und falls Jonesy irgendwelche ins Licht aufgehenden Erfahrungen ä la Kübler-Ross gemacht hatte, dann hatte er sie entweder verschwiegen oder dank wiederholter Anästhesie und jeder Menge Schmerzmittel vergessen.

Ein Dröhnen rollte mit erschreckendem Tempo aus dem Süden heran, und Henry duckte sich und hielt sich die Ohren zu. Es hörte sich nach einer ganzen Staffel Düsenjäger an, die durch die Wolken über ihm rasten. Sehen konnte er nichts, und als das Dröhnen der Jets so schnell verklang, wie es gekommen war, richtete er sich mit wild pochendem Herzen auf. Heiliger Strohsack! So musste es sich während der Tage vor Desert Storm auf den Luftwaffenstützpunkten rund um den Irak angehört haben.

Dieser Riesen-Knall. Bedeutete das, dass die Vereinigten Staaten von Amerika eben gegen Wesen aus einer anderen Welt in den Krieg eingetreten waren? Lebte er jetzt in einem Roman von Robert Heiniein? Henry spürte ein heftiges, drängendes Flattern in der Brust. Wenn dem so war, dann verfügte dieser Gegner doch wohl über mehr als nur ein paar hundert schrottfreife sowjetische Scud-Raketen, um sich damit gegen Uncle Sam zur Wehr zu setzen.

Lass es sein. Du kannst eh nichts daran ändern. Was machst du jetzt - das ist die Frage. Was machst du jetzt?

Das Dröhnen der Düsenjäger war schon zu einem fernen Brummen verklungen. Henry ging aber davon aus, dass sie wiederkommen würden. Vielleicht mit Verstärkung.

»Zwei Pfade führten durch den verschneiten Wald - heißt es nicht so? Na, so ähnlich jedenfalls.«

Doch der Schneemobilspur noch weiter zu folgen, kam wirklich nicht in Frage. Er würde sie binnen einer halben Stunde in der Dunkelheit nicht mehr sehen können, und der Schneefall würde sie ohnehin zudecken. Und er würde sich

verirren und wäre verloren - ganz wie Jonesy aller Wahrscheinlichkeit nach jetzt verloren war.

Mit einem Seufzer ließ Henry von der Schneemobilspur ab und fuhr weiter die Straße entlang.

13

Als er sich der Stelle näherte, an der die Deep Cut Road auf die zweispurige Asphaltstraße führte, die Swanny Pond Road hieß, war Henry fast schon zum Stehen zu müde, vom Skifahren ganz zu schweigen. Seine Oberschenkelmuskeln fühlten sich an wie alte, feuchte Teebeutel. Nicht einmal die Lichter am nordwestlichen Horizont, die nun viel heller waren, oder das Geräusch der Motoren und Hubschrauber konnte ihm viel Trost spenden. Vor ihm lag ein letzter steiler Hügel. Auf der anderen Seite des Hügels endete die Deep Cut Road und fing die Swanny Pond Road an. Dort würde er dann wohl anderen Menschen begegnen, schon gar, wenn Truppen an rückten.