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»Los«, sagte er. »Komm, fahr los.« Doch er blieb dort noch ein wenig länger stehen. Er wollte nicht über diesen Hügel. »Lieber Underhill als Overhill«, sagte er. Das schien irgendwas zu bedeuten, war wahrscheinlich aber nur wieder eine idiotische unlogische Folgerung. Und außerdem konnte er sonst nirgendwohin.

Er bückte sich und schaufelte mit beiden Händen wieder Schnee auf - in der Dunkelheit sah diese doppelte Hand voll wie ein kleines Kopfkissen aus. Er aß etwas von dem Schnee, nicht weil ihm danach war, sondern weil er wirklich noch nicht wieder aufbrechen wollte. Die Lichter, die aus Richtung Gosselin's kamen, ließen sich einfacher erklären als die Lichter, die Pete und er am Himmel hatten tanzen sehen (Sie sind wieder da!, hatte Becky gekreischt, wie das kleine Mädchen, das in diesem alten Spielberg-Film vor dem Fernseher saß), gefielen Henry aber aus irgendeinem Grund noch weniger. Diese ganzen Motoren und Generatoren klangen irgendwie ... hungrig.

»Das stimmt, Kaninchen«, sagte er. Und dann, da er wirklich keine andere Wahl hatte, kraxelte er den letzten Hügel hoch, der ihn noch von einer richtigen Straße trennte.

14

Er blieb auf der Hügelkuppe stehen und stützte sich, nach Luft schnappend, auf seine Skistöcker. Der Wind war hier oben frischer und schien ihm ohne weiteres durch die Kleidung zu dringen. Sein linkes Bein pochte, wo sich der Blinkerhebel hineingebohrt hatte, und er fragte sich wieder, ob er dort unter seinem improvisierten Verband eine kleine rotgoldene Pilzkolonie ausbrütete. Es war zu dunkel, um das zu überprüfen, und da die einzig mögliche gute Neuigkeit gar keine Neuigkeit war, war das vielleicht auch am besten so.

»Die Welt hing schief, die Zeit gerann, doch nichts hielt auf den Eiermann.« Und da ihm weiter nichts einfiel, fuhr er den Hügel hinab auf die T-Kreuzung zu, an der die Deep Cut Road endete.

Auf dieser Seite war der Hügel steiler, und bald fuhr er eher Abfahrt als Langlauf. Er wurde schneller und wusste nicht, ob er da nun Angst um sein Leben, ein ungeahntes Hochgefühl oder eine ungute Mischung aus beidem empfand. Ganz bestimmt fuhr er für die Sichtverhältnisse zu schnell, denn die Sicht war gleich null, und auch für seine Fähigkeiten, die gleichermaßen Rost angesetzt hatten wie die Skibindungen, die seine Stiefel hielten. Bäume huschten beiderseits vorbei, und plötzlich ging ihm auf, dass sich alle seine Probleme mit einem Schlag lösen ließen. Letztlich nun doch nicht die Hemingway-Lösung. Nennen wir diesen Abgang die Sonny-Bono-Lösung.

Die Mütze wehte ihm vom Kopf. Er griff instinktiv danach, einer seiner Skistöcker flog vor ihm in der Dunkelheit hoch, und mit einem Mal hatte er die Balance verloren. Er würde stürzen. Und das war möglicherweise gut so, solange er sich nicht das Bein brach. Ein Sturz würde ihn wenigstens bremsen. Er würde einfach wieder aufstehen und -

Lichter flammten auf, große, auf Lastern montierte Scheinwerfer, und ehe er völlig geblendet war, erkannte Henry noch vage die Umrisse eines Holztiefladers, der quer am Ende der Deep Cut Road stand. Die Scheinwerfer waren offenbar durch einen Bewegungsmelder aktiviert worden, und davor stand eine Reihe Männer.

»HALT!«, befahl eine Furcht einflößende, verstärkte Stimme. Es hätte die Stimme Gottes sein können. »HALT, ODER WIR SCHIESSEN!«

Henry ging abrupt und unbeholfen zu Boden. Die Skier brachen ihm von den Stiefeln. Ein Fußknöchel wurde so schmerzhaft verdreht, dass er aufschrie. Einen Skistock verlor er; der andere brach in der Mitte durch. Es schlug ihm mit einem kalten Japsen alle Luft aus der Lunge. Er schlitterte im Schneepflug mit weit gespreiztem Schritt, und als er dann zum Stillstand kam, bildeten seine verkrümmten Gliedmaßen so etwas wie ein Hakenkreuz.

Allmählich konnte er wieder sehen, und er hörte knirschende Schritte im Schnee. Er tastete um sich, und es gelang ihm, sich aufzusetzen. Er konnte noch nicht sagen, ob er sich etwas gebrochen hatte oder nicht.

Sechs Männer standen gut drei Meter hügelabwärts vor ihm, und ihre Schatten zeichneten sich auf dem wie mit Diamanten bestäubten Neuschnee ungewöhnlich lang und deutlich ab. Sie alle trugen Parkas. Sie alle hatten durchsichtige Atemmasken über Mund und Nase, die zwar leistungsfähiger aussahen als die Heimwerkermasken, die Henry im Schneemobilschuppen gefunden hatte, Henrys Vermutung nach aber dem gleichen Zweck dienten.

Die Männer hatten auch automatische Waffen, die jetzt alle auf ihn gerichtet waren. Jetzt kam es Henry eher wie ein Glücksfall vor, dass er Jonesys Garand und seine eigene Winchester beim Scout zurückgelassen hatte. Wäre er bewaffnet gewesen, dann hätte er jetzt wahrscheinlich ein Dutzend oder mehr Löcher im Leib gehabt.

»Ich glaube, ich habe es nicht«, krächzte er. »Wovor Sie auch Angst haben, ich glaube -«

»AUFSTEHEN!« Wiederum Gottes Stimme. Sie kam von dem Laster. Die vor ihm stehenden Männer verdeckten das grelle Licht wenigstens teilweise, und Henry sah weitere Männer am Fuße des Hügels an der Straßenkreuzung stehen. Auch sie waren bewaffnet, bis auf den, der das Megafon hielt.

»Ich weiß nicht, ob ich -«

»SOFORT AUFSTEHEN!«, befahl Gott, und einer der Männer vor ihm verlieh dem mit einer Bewegung seines Gewehrlaufs Nachdruck.

Henry stand schwankend auf. Seine Beine schlotterten, und das Fußgelenk, das er sich verrenkt hatte, tat höllisch weh, aber vorläufig war noch alles heil. Und so endet die Reise des Eiermanns, dachte er und fing an zu lachen. Die Männer vor ihm tauschten betretene Blicke, und obwohl sie ihre Gewehre auf ihn gerichtet hatten, tröstete ihn diese kleine menschliche Regung.

Im strahlenden Licht der auf den Tieflader montierten Scheinwerfer sah Henry etwas im Schnee liegen - es war ihm aus der Tasche gefallen, als er hingestürzt war. Da er wusste, dass sie ihn sowieso erschießen würden, bückte er sich langsam.

»NICHT ANFASSEN!«, schrie Gott mit seinem Megafon von der Fahrerkabine der Holzlasters herab, und jetzt hoben die Männer dort unten ebenfalls ihre Waffen, und aus der Mündung jedes Gewehrs guckte ein kleines Hello dark-ness, my old friend.

»Friss Scheiße und stirb«, sagte Henry - eine von Bibers besseren Leistungen - und hob das Päckchen auf. Mit einem Lächeln hielt er es den bewaffneten und maskierten Männer hin. »Ich komme in friedlicher Absicht, im Namen der gesamten Menschheit«, sagte er. »Möchte jemand ein Würstchen?«

Jonesy im Krankenhaus

Es war ein Traum.

Es kam ihm nicht wie einer vor, aber es musste einer sein. Zum einen hatte er den fünfzehnten März schon einmal durchgemacht, und es kam ihm fürchterlich unfair vor, das noch mal durchmachen zu müssen. Zum anderen konnte er sich aus den acht Monaten zwischen Mitte März und Mitte November an alles Mögliche erinnern - wie er den Kindern bei den Hausaufgaben geholfen hatte, wie Carla mit ihren Freunden (viele davon aus dem Narcotics-Anonymous-Pro-gramm) telefoniert hatte, wie er in Harvard einen Vortrag gehalten hatte ... und natürlich auch an die Monate der körperlichen Rehabilitation. Das ewige Beugen, das an den Nerven zehrende Kreischen, als sich seine Gelenke ganz, ganz widerwillig wieder streckten. Wie er zu Jeannie Morin, seiner Therapeutin, gesagt hatte, er könne das nicht. Wie sie ihm gesagt hatte, er könne das durchaus. Tränen auf seinem Gesicht, ein strahlendes Lächeln auf ihrem (dieses verhasste, durch nichts zu erschütternde Lächeln), und letztendlich hatte sie dann doch Recht behalten. Er konnte es, er war die kleine Dampflok, die das schon schaffen würde, aber was hatte es die kleine Dampflok gekostet.

An all das erinnerte er sich und auch noch an mehr: wie er zum ersten Mal aus dem Bett aufgestanden war, wie er sich zum ersten Mal den Hintern abgewischt hatte, die Nacht Anfang Mai, als er zum ersten Mal mit dem Gedanken Ich stehe das durch ins Bett gegangen war, die Nacht Ende Mai, in der er zum ersten Mal seit dem Unfall wieder mit Carla geschlafen und wie er ihr hinterher diesen alten Scherz erzählt hatte: Wie treiben es die Stachelschweine? - Gaaanz vorsichtig. Er konnte sich erinnern, wie er am Memorial Day dem Feuerwerk zugesehen hatte, während ihm Hüfte und Oberschenkel höllisch schmerzten; er konnte sich daran erinnern, wie er am vierten Juli Wassermelone gegessen hatte, Kerne ins Gras gespuckt und Carla und ihrer Schwester beim Badmintonspielen zugesehen hatte, während ihm Hüfte und Oberschenkel immer noch wehtaten, aber längst nicht mehr so schlimm; er konnte sich daran erinnern, wie Henry im September angerufen hatte - »Nur um mal zu hören«, hatte er gesagt - und mit ihm über alles Mögliche gesprochen hatte, auch über den alljährlichen Jagdausflug zur Hütte im November. »Klar komme ich mit«, hatte Jonesy gesagt und noch nicht gewusst, wie unangenehm es ihm sein würde, das Gar-and in Händen zu halten. Sie hatten über die Arbeit gesprochen (Jonesy hatte die letzten drei Wochen des Sommersemesters unterrichtet und war da schon ziemlich rüstig an einer Krücke herumgehumpelt), über ihre Familien, über die Bücher, die sie gelesen, und die Filme, die sie gesehen hatten; Henry hatte wieder, wie schon im Januar, erwähnt, dass Pete zu viel trank. Jonesy, der mit seiner Frau schon einen Drogenkrieg ausgefochten hatte, hatte nicht darüber reden wollen, aber als Henry von Bibers Vorschlag erzählt hatte, nach ihrem einwöchigen Jagdausflug in Derry vorbeizufahren und Duddits Cavell zu besuchen, hatte Jonesy begeistert zugestimmt. Das hatten sie schon viel zu lange nicht mehr gemacht, und es gab nichts Besseres als eine volle Dosis Duddits, um sich aufzumuntern. Und außerdem ...