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»Henry?«, hatte er gesagt. »Wir hatten doch vorgehabt, Duddits zu besuchen, nicht wahr? Wir wollten am St. Patrick's Day hinfahren. Ich kann mich nicht daran erinnern, aber es steht so in meinem Terminkalender.«

»Ja«, hatte Henry erwidert. »Das wollten wir tatsächlich.«

»So viel zum Thema >Glück der Iren<, was?«

Angesichts all dieser Erinnerungen war sich Jonesy sicher, dass sich der fünfzehnte März bereits zugetragen hatte und weit zurücklag. Alle möglichen Beweismittel stützten diese These, und sein Terminkalender war Beweismittel A. Und trotzdem waren sie wieder da, diese schlimmen Iden ... und jetzt, o Mann, war das unfair, war anscheinend mehr vom Fünfzehnten da als je zuvor.

Bisher hatten seine Erinnerungen an diesen Tag bis ungefähr zehn Uhr morgens gereicht. Er war in seinem Büro gewesen, hatte Kaffee getrunken und einen Stapel Bücher zusammengesucht, die er hinunter ins Büro der historischen Fakultät mitnehmen wollte, wo es einen Büchertisch gab, an dem sich Studenten gratis bedienen konnten. Er hatte schlechte Laune gehabt, konnte sich aber beim besten Willen nicht mehr erinnern, warum. Laut seines Terminkalenders, in dem er die nicht eingehaltene Verabredung vom siebzehnten März, Duddits zu besuchen, entdeckt hatte, hatte er am fünfzehnten März einen Termin mit einem Studenten namens David Defuniak gehabt. Jonesy konnte sich nicht erinnern, worum es dabei gegangen war, aber später hatte er eine Notiz von einem seiner Tutoren über einen nachgereichten Aufsatz von Defuniak entdeckt, der die kurzfristigen Folgen des normannischen Eroberungszugs behandelte - also war es vermutlich darum gegangen. Doch was an einem nachgereichten Aufsatz hatte dem außerordentlichen Professor Gary Jones denn so die Laune verdorben?

Unglücklich oder nicht - er hatte etwas gesummt, hatte etwas gesummt und dann leise den Text des Songs gesungen, der ziemlich blödsinnig war: Yes we can, yes we can-can, great gosh a'mighty yes we can-can. Anschließend folgten dann nur noch ein paar Bruchstücke - wie er Colleen, der rothaarigen Fakultätssekretärin, einen schönes St. Paddy's

Day gewünscht hatte, wie er sich aus der Zeitungskiste vor dem Gebäude eine Boston Phoenix genommen hatte, wie er auf der Cambridge-Seite der Brücke einem glatzköpfigen Saxofonisten einen Vierteldollar in den Saxofonkoffer geworfen hatte, weil ihm der Typ Leid tat, denn er trug nur einen dünnen Pulli, und auf dem Charles River blies ein beißender Wind -, aber hauptsächlich erinnerte er sich, nachdem er den Stapel Bücher zum Weggeben zusammengesucht hatte, an Dunkelheit. Er war im Krankenhaus wieder zu Bewusstsein gekommen und hatte im Nebenzimmer diese monotone Stimme gehört: Hört auf, ich hält's nicht mehr aus, gebt mir 'ne Spritze, wo ist Marcy, ich will zu Marcy. Oder vielleicht war es auch: Wo ist Jonesy, ich will zujonesy. Der Tod, das alte Schreckgespenst. Der Tod, der sich für einen Patienten ausgab. Der Tod, der Schmerzen vortäuschte. Der Tod, der ihn aus den Augen verloren hatte - klar war das möglich, es war ein großes Krankenhaus, bis unters Dach voll mit Schmerzen und Todesqualen -, und jetzt wollte der Tod, das alte Schreckgespenst, ihn wiederfinden. Wollte ihn reinlegen. Wollte, dass er sich verriet.

Diesmal jedoch fehlt die ganze gnädige Dunkelheit dazwischen. Diesmal wünscht er Colleen nicht nur einen schönen St. Paddy's Day, sondern erzählt ihr auch noch einen Witz: Was steht auf dem Grabstein einer Putzfrau? - Sie kehrt nie wieder. Er geht hinaus, und sein zukünftiges Ich - sein No-vember-Ich - geht wie ein blinder Passagier in seinem Kopf mit. Sein zukünftiges Ich hört das März-Ich denken Was für ein schöner Tag es doch noch geworden ist, während er zu seinem Rendezvous mit dem Schicksal in Cambridge geht. Er versucht seinem März-Ich klarzumachen, dass dies eine schlechte Idee sei, eine geradezu grotesk schlechte Idee, dass er sich monatelange Qualen ersparen könne, wenn er einfach ein Taxi herbeiwinke oder die U-Bahn nehme, aber er dringt nicht zu ihm durch. Vielleicht stimmte es ja, was in diesen ganzen Sciencefiction-Geschichten, die er in seiner Ju

gend gelesen hatte, über Zeitreisen behauptet wurde: Was man auch anstellte, die Vergangenheit konnte man nicht verändern.

Er geht über die Brücke, und der Wind ist zwar ein bisschen frisch, aber trotzdem genießt er die Sonne im Gesicht und wie sie sich millionenfach funkelnd auf dem Charles River spiegelt. Er singt einen Fetzen aus Here Comes the Sun und kehrt dann wieder zu den Pointer Sisters zurück: Yes we can-can, great gosh a'mighty. Rhythmisch dazu die Aktentasche schwenkend. Mit seinem Sandwich drin. Mit Eiersalat drauf. Mmmh, hat Henry gesagt. S SÄT, hat Henry gesagt.

Da ist der Saxofonist, und: Überraschung! Er steht nicht am Ende der Mass Ave Bridge, sondern weiter entfernt, auf dem MIT-Campus, vor einem dieser angesagten kleinen indischen Restaurants. Er zittert in der Kälte, ist glatzköpfig und hat Kerben auf der Kopfhaut, die darauf hindeuten, dass er nicht das Zeug zum Barbier hat. Und wie er da These Foolish Things spielt, deutet darauf hin, dass er auch nicht das Zeug zum Saxofonisten hat, und Jonesy will ihm vorschlagen, doch Tischler zu werden, Schauspieler oder Terrorist, alles, bloß nicht Musiker. Doch stattdessen ermutigt Jonesy ihn noch und wirft dem Typ nicht, wie er sich bisher immer zu erinnern meinte, einen Vierteldollar in den Koffer (der mit abgewetztem lila Samt ausgekleidet ist), sondern eine ganze Hand voll Kleingeld - so ein Blödsinn. Er macht den ersten Sonnenschein nach einem langen kalten Winter dafür verantwortlich und wie gut es mit Defuniak gelaufen ist.

Der Sax-Mann sieht Jonesy an, verdreht die Augen und dankt ihm so, während er weiterspielt. Jonesy fällt ein anderer Scherz ein: Wie nennt man einen Saxofonisten, der eine Kreditkarte bat? - Einen Optimisten.

Er geht weiter, schwenkt seine Tasche und hört nicht auf den Jonesy in seinem Kopf, der wie ein zeitreisender Lachs den Fluss aus dem November heraufgeschwommen ist. »Hey, Jonesy, bleib stehen. Ein paar Sekunden dürften reichen. Schnür dir die Schuhe oder so. (Bringt nichts. Er trägt Halbschuhe ohne Schnürsenkel. Bald wird er auch noch einen Gips tragen.) An dieser Kreuzung da vorne wird es passieren, bei der U-Bahn-Haltestelle, Mass Avenue und Prospect. Da kommt ein alter Mann, ein verblödeter Juraprofessor in einem dunkelblauen Lincoln Town Car und wird dich planieren. «