Er liegt bewusstlos in einem Krankenwagen, sieht sich aber selbst dabei zu, hat eine richtige außerkörperliche Erfahrung, und da ist noch etwas Neues, etwas, von dem ihn später niemand erzählt: Er bekommt Herzkammerflimmern,
während sie ihm die Hose aufschneiden und eine Hüfte frei-legen, die aussieht, als hätte jemand zwei große, unförmige Türknäufe darunter eingenäht. Herzkammerflimmern - er weiß ganz genau, was das ist, denn Carla und er verpassen keine Folge von Emergency Room, sie schauen sich sogar die Wiederholungen auf TNT an, und da sind die Kellen, und da ist die Schmiere, und einer der Rettungssanitäter trägt ein goldenes Kreuz an einer Halskette, und es streift Jonesys Nase, als sich der Mr. Rettungssanitäter über das beugt, was im Grunde eine Leiche ist, und: unfassbar! Er ist im Krankenwagen gestorben! Wieso hat ihm niemand je erzählt, dass er im Krankenwagen gestorben ist? Haben sie gemeint, das würde ihn nicht interessieren, da würde er eh nur sagen: Na ja, was soll's, kennen wir doch alles schon?
»Fertig!«, brüllt der erste Sani, und kurz vor dem Elektroschock dreht sich der Fahrer um, und Jonesy sieht, dass es Duddits' Mutter ist. Dann jagen sie Strom in ihn hinein, und sein Körper zuckt hoch, das ganze weiße Fleisch schlottert an den Knochen, wie Pete sagen würde, und obwohl der Jonesy, der zusieht, keinen Körper hat, spürt er doch den Strom, ein mächtiges Pow!, das noch die letzten Verästelungen seines Nervensystems erhellt wie eine Feuerwerksrakete. Gelobt sei der Herr! Und Halleluja!
Der Teil von ihm da auf der Bahre springt hoch wie ein Fisch, der aus dem Wasser gezerrt wird, und liegt dann wieder still. Der Sanitäter, der hinter Roberta Cavell kauert, schaut auf sein Kontrollpult und sagt: »Ah, nein, Mann, kein Puls, versuch's noch mal.« Und als der andere das macht, springt der Film wieder, und Jonesy befindet sich in einem Operationssaal.
Nein, Augenblick, so ganz stimmt das nicht. Ein Teil von ihm ist in dem OP, aber der Rest von ihm befindet sich hinter einer Glasscheibe und schaut hinein. Hier sind noch zwei Ärzte, die aber keinerlei Interesse an den Anstrengungen des Chirurgenteams zeigen, Jonesy-Dumpty wieder zusammenzuflicken. Sie spielen Karten. Über ihren Köpfen hängt der Traumfänger aus ihrer Hütte und dreht sich langsam im Luftstrom aus einem Heizungsgebläse.
Jonesy hat keine Lust zuzusehen, was da hinter der Glasscheibe vorgeht - er mag den blutigen Krater nicht sehen, der einmal seine Hüfte war, und auch nicht den zerschmetterten Knochen, der trüb schimmernd daraus hervorragt.
Obwohl er in seinem körperlosen Zustand keinen Magen hat, dem schlecht werden könnte, ist ihm speiübel.
Hinter ihm sagt einer der Karten spielenden Ärzte: Über Duddits haben wir uns definiert. Die Zeit mit ihm war unsere beste. Worauf der andere erwidert: Meinst du? Und da wird Jonesy klar, dass die Ärzte Henry und Pete sind.
Er dreht sich zu ihnen um, und jetzt ist er anscheinend überhaupt nicht mehr entkörpert, denn er erhascht auf dem Fenster zum Operationssaal einen Blick auf sein Spiegelbild. Er ist nicht mehr Jonesy. Er ist kein Mensch mehr. Seine Haut ist grau, und seine Augen sind schwarze Kolben, die aus einem nasenlosen Gesicht ragen. Er ist einer von denen geworden, einer der -
Einer der Grauen, denkt er. So nennen sie uns: die Grauen. Manche sagen auch Weltall-Nigger zu uns.
Er macht den Mund auf, um so etwas zu sagen oder vielleicht auch, um seine alten Freunde um Hilfe zu bitten - sie haben einander immer geholfen, wenn sie konnten —, aber da springt der Film wieder (Mist! Dieser Cutter! Säuft bei der Arbeit!), und er liegt in einem Bett, einem Krankenbett in einem Krankenhauszimmer, und jemand ruft: Wo ist Jonesy, ich will zu Jonesy.
Aha, denkt er kläglich erleichtert, wusste ich doch, dass es Jonesy hieß, nicht Marcy. Da ruft der Tod oder vielleicht der Tod, und ich muss jetzt ganz still sein, wenn ich ihm entgehen will, er hat mich in der Menge verfehlt, hat im Krankenwagen nach mir gegriffen und mich wieder verfehlt, und jetzt ist er hier im Krankenhaus und gibt sich als Patient aus.
Hört bitte auf, stöhnt der clevere alte Mr. Tod mit dieser grauenhaft tückischen, monotonen Stimme, ich hält's nicht mehr aus, gebt mir 'ne Spritze, wo ist Jonesy, ich will zu Jonesy.
Ich bleibe einfach hier Hegen, bis er auf hört, denkt Jonesy, ich kann sowieso nicht aufstehen, sie haben mir gerade ein Kilo Metall in die Hüfte eingesetzt, und es wird Tage, wenn nicht Wochen dauern, bis ich wieder aufstehen kann.
Doch zu seinem Entsetzen sieht er, dass er trotzdem aufsteht, dass er die Bettdecke beiseite schlägt und aus dem Bett steigt, und obwohl er spürt, wie die Nähte an seiner Hüfte und quer über seinen Bauch reißen und aufplatzen und sich das, was zweifellos Spenderblut ist, sein Bein hinab und auch in sein Schamhaar ergießt und es durchtränkt, geht er ohne zu humpeln durchs Zimmer, durch einen Streifen Sonnenlicht, was kurz einen durchaus menschlichen Schatten auf den Boden wirft (er ist jetzt kein Grauer, wenigstens dafür kann er dankbar sein, denn die Grauen sind erledigt), und zur Tür. Er schlendert ungesehen einen Flur entlang, vorbei an einer abgestellten Bahre mit einer Bettpfanne drauf, vorbei an zwei lachenden, schwatzenden Krankenschwestern, die sich Fotos angucken, und immer auf die monotone Stimme zu. Er ist machtlos, kann nicht stehen bleiben, und da sieht er ein, dass er in der Wolke ist. Nicht aber in der rotschwarzen Wolke, wie Pete und Henry meinten; die Wolke ist grau, und er schwebt darin mit, als einziges Teilchen dieser Wolke, das nicht von ihr beeinflusst wird, und Jonesy denkt: Ich bin es, wonach sie gesucht haben. Ich weiß nicht, wie das angeht, aber ich bin genau das, wonach sie gesucht haben. Denn ... die Wolke ändert mich nicht?
Ja, irgendwie so.
Er kommt an drei offen stehenden Türen vorbei. Die vierte ist geschlossen. Auf einem Schild steht: treten sie
EIN. KEINE ANSTECKUNGSGEFAHR. IL n'yA PAS D'INFECTION ICI.
Das ist gelogen, denkt Jonesy. Cruise oder Curtis oder wie er auch heißt, mag ja ein Wahnsinniger sein, aber in einem hat er doch Recht: Es besteht sehr wohl eine Ansteckungsgefahr.
Blut fließt ihm die Beine hinab, die untere Hälfte seines Johnny ist jetzt tief scharlachrot (jetzt fließt der Bordeaux aber so richtig, wie die Boxreporter früher immer sagten), aber er empfindet keinen Schmerz. Und er befürchtet auch keine Ansteckung. Er ist einmalig, und die Wolke kann ihn nur tragen, nicht beeinflussen. Er öffnet die Tür und geht hinein.
Ist er überrascht, als er den grauen Mann mit den großen schwarzen Augen in einem Krankenhausbett liegen sieht? Nicht im Mindesten. Als sich Jonesy in der Hütte umgedreht und diesen Typ entdeckt hat, der hinter ihm stand, war dem Kerl der Kopf geplatzt. Danach hätte wohl jeder ins Krankenhaus gemusst. Jetzt aber sieht sein Kopf unversehrt aus; die moderne Medizin ist schon was Wunderbares.
Das ganze Zimmer ist mit Pilzen überwuchert, ist überzogen mit rotgoldenen Wucherungen. Es wächst auf dem Boden, dem Fensterbrett, den Leisten der Jalousie; es dämpft das Licht der Deckenbeleuchtung und hat sich auf der Glukose-Flasche (Jonesy nimmt an, dass es Glukose ist) auf dem Nachttisch ausgebreitet; rötlich goldene Barte hängen vom Türknauf der Badezimmertür und der Kurbel am Fußende des Betts.
Als sich Jonesy dem grauen Ding nähert, das sich die Decke bis zur schmalen, unbehaarten Brust hochgezogen hat, sieht er, dass auf dem Nachttisch nur eine einzige Karte mit Genesungswünschen steht, gute Besserung!, steht da über einem Cartoon mit einer bedrückt schauenden Schildkröte mit einem Pflaster auf dem Panzer. Und unter dem Bild:
WÜNSCHEN DIR STEVEN SPIELBERG UND ALLE DEINE FREUNDE IN HOLLYWOOD.
Das ist ein Traum, ein Traum voller symbolischer Bilder und In-Jokes, denkt Jonesy, weiß es aber besser. Sein Hirn vermischt Dinge, püriert sie, damit sie einfacher zu schlucken sind, und so ist das mit Träumen; Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind ineinander gequirlt, doch trotzdem weiß er, dass es ein Fehler wäre, das hier als bruch-stückhaftes Märchen aus seinem Unterbewusstsein abzutun. Denn einiges davon geschieht tatsächlich.